Buchtipp des Monats von Roman Pfefferle

Im Interview erzählt Roman Pfefferle, Politologe am Institut für Staatswissenschaft, über seine – gemeinsam mit Hans Pfefferle verfasste – Publikation, die die Entnazifizierung der Professorenschaft der Universität Wien nach 1945 zum Thema hat. Auch einen spannenden Buchtipp hat er parat.

uni:view: Kürzlich ist Ihre mit Hans Pfefferle verfasste Publikation "Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren" bei Vienna University Press erschienen. Warum ist dieses Thema für die Universität Wien wichtig?

Roman Pfefferle: Ausgangspunkt für das der Studie zugrundeliegende Forschungsprojekt war die Feststellung, dass bisher noch keine Gesamtschau zu diesem Thema existierte und dieses heikle Kapitel Universitätsgeschichte noch einer grundlegenden Aufarbeitung bedurfte.
Der gesellschaftliche und wissenschaftliche Paradigmenwechsel von einer Opfer- hin zu einer Täterperspektive, der seit Mitte der 1980er Jahre in Österreich stattfindet, war in puncto Entnazifizierung an der Universität Wien bisher noch nicht vollzogen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es war nicht zuletzt ein reaktionärer akademischer Korpsgeist, der eine kritische wissenschaftliche Analyse der Reintegration der NS-belasteten Elite in die Universität Wien verhindert hat.

Die nun rechtzeitig zum Jubiläumsjahr und 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus vorliegende Studie ist für die Universität Wien in zweierlei Weise von identitärer Bedeutung. Zum einen trägt sie zu einem erweiterten Selbstbild bei und macht deutlich, von wem Generationen von Nachkriegsstudierenden bis in die 1980er Jahre unterrichtet und ausgebildet wurden und an welche unausgesprochene und unreflektierte Tradition nachfolgende Universitätslehrenden anschlossen. Zum anderen stärkt die erfolgte Aufarbeitung dieser wenig ruhmreichen Phase Universitätsgeschichte die positivere Fremdwahrnehmung der Universität Wien innerhalb der Gesellschaft.

uni:view: Können Sie kurz Tendenzen skizzieren, wie die Entnazifizierung an der Universität Wien vor sich gegangen ist?

Roman Pfefferle: Ab Ende April 1945 lassen sich zwei gegenläufige Prozesse feststellen, mit denen drei Viertel der Professorenschaft als Anwärter oder Mitglieder der NSDAP konfrontiert waren. Der erste führte dazu, dass 21 der 92 NS-belasteten Professoren als "Reichsdeutsche" "außer Dienst gestellt wurden" und sich 29 der restlichen einer Überprüfung durch eine Sonderkommission unterziehen mussten, die über ihre mögliche Weiterverwendung entschied und im Verhältnis 4:1 positive Erkenntnisse für die Betroffenen aussprach.

Eine gelinde und gebräuchliche Maßnahme der Entnazifizierung war die vorzeitige Pensionierung mit teilweise symbolischen Bezugskürzungen. Schon 1947/48 setzte mit dem neuen NS-Gesetz und der Minderbelastetenamnestie die Phase der Rehabilitierung und Re-Integration ein und 56 von 92 der NS-belasteten Professoren konnten bis spätestens Ende der 1950er Jahre ihre Laufbahnen an Universitäten – 30 an der Universität Wien – fortsetzen und ausbauen. Unter Berücksichtigung der Todesfälle und erreichtem Emeritierungsalter führte dies zu einer starken Kontinuität innerhalb der akademischen Eliten im Nachkriegsösterreich.

Die Entnazifizierung bedeutete für einen beträchtlichen Teil der NS-belasteten Professoren also grundsätzlich keinen Bruch, man muss viel eher von einem vorübergehenden "Einbruch" sprechen, der für viele nach wenigen Jahren zur Episode geraten war.

uni:view: Das Buch basiert auf intensiven Recherchen in Archiven, etc, im Rahmen eines Forschungsprojekts. Sind Sie auch auf für Sie überraschende Ergebnisse im Zuge der Recherchen gestoßen?

Roman Pfefferle: Sowohl Entnazifizierung als auch Rehabilitierung liefen vordergründig als rein juristisch, behördlich gesteuerte Prozesse und auf formalen Kriterien wie Parteimitgliedschaft oder -anwärterschaft beruhende Prozesse ab. Überraschend wenig wurde das tatsächliche Verhalten der Betroffenen in Lehre und Forschung in die Beurteilungen der Sonderkommission miteinbezogen. Diese waren vielmehr durch das weltanschauliche und parteipolitische Agieren ihres Vorsitzenden Otto Skrbensky – Sektionschef im Unterrichtsministerium – geprägt, der einem katholisch-konservativ zusammengesetzten Lehrkörper den Weg bereitete.

uni:view: Gibt es noch viel aufzuarbeiten in diese Richtung?

Roman Pfefferle: Genau hier eröffnet sich der Raum für weitere Forschung. Obwohl unser Buch ein Kapitel über die wissenschaftliche Arbeit ausgewählter NS-belasteter Professoren vor und nach 1945 und einige Fallstudien enthält, muss dieser Bereich noch genauer unter die Lupe genommen werden. Inwiefern versuchten die Uni Wien Professoren – auch jene ohne Parteimitgliedschaft – ihre Wissenschaft NS-kompatibel auszurichten? Zu welchen Schwerpunktsetzungen führten diese Prozesse in Lehre und Forschung? Voraussetzungen, Methoden, Bereiche und Themen von Wissenschaft an der Universität Wien rund um diese tiefgehende weltanschauliche Zäsur vergleichend zu betrachten – da eröffnet sich ein weites Feld.


Gewinnspiel
Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung.


"Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren" von Roman Pfefferle, Hans Pfefferle



uni:view:
Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?


Roman Pfefferle: Ich empfehle den Roman "An Officer and a Spy" von Robert Harris, der 2013 auf Deutsch mit dem Titel "Intrige" beim Heyne-Verlag erschienen ist.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?

Roman Pfefferle: Das Buch erzählt die Geschichte der Dreyfus-Affäre in Frankreich um 1900 als hoch spannenden und erschütternden Spionagethriller. Alfred Dreyfus wird als Jude im französischen Generalstab des Verrats von Militärgeheimnissen bezichtigt und zu Unrecht als deutscher Spion verurteilt und auf die Teufelsinsel verbannt. Nach und nach von dessen Unschuld überzeugt, setzt Geheimdienstchef Picquart – aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird – alles daran Dreyfuss zu rehabilitieren und auch sein eigenes Leben aufs Spiel. Dabei eindrucksvoll thematisiert werden der latente Antisemitismus im damaligen Frankreich, seine berechtigte Angst vor dem Erbfeind Deutschland, aber auch außer Kontrolle geratene Geheimdienste, korrupte Richter und Politiker und hetzende und vertuschende Zeitungen.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?

Roman Pfefferle: Es bleibt das mulmige Gefühl, dass sich die im Buch beschriebenen Prozesse auch auf die heutige Zeit übertragen lassen – man denke an die Whistleblower-Affäre und ihre Folgen.