Buchtipp des Monats von Philipp Ther
| 15. Januar 2015Zur Zeit des Umbruchs 1989 war der Osteuropa-Experte Philipp Ther in Prag, später lebte er in Polen und der Ukraine. In seiner jüngsten Publikation beschreibt Ther die Ereignisse von und seit damals – eine umfassende zeithistorische Analyse der neuen Ordnung auf dem alten Kontinent.
uni:view: Ihre Publikation "Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent – Eine
Geschichte des neoliberalen Europa " ist soeben bei Suhrkamp erschienen. Sie waren 1989 selbst vor Ort in Prag. Wie haben Sie persönlich die Zeit des Umbruchs erlebt?
Philipp Ther: Es war eine tolle Zeit, die mein ganzes Leben geprägt hat. Schon am 1. Mai 1989 bekam ich während einer Reise nach Prag mit, dass es politisch gärte. Aus der offiziellen Maikundgebung löste sich eine Gegendemonstration, die Gruppe rief regimekritische Slogans. Ehe die Sicherheitskräfte einschreiten konnten, hatten sich diese Demonstranten wieder in die offizielle Kundgebung eingereiht. In der Nacht gab es dann schwere Krawalle. Im November 1989 bin ich wieder nach Prag gereist (u.a. weil wir dort Verwandte hatten). Damals war die Anspannung sehr groß, denn es stand eine "chinesische Lösung" wie auf dem Pekinger Tianenmen-Platz im Raum. Aber wie Historiker dann später herausgefunden haben, konnten sich die Hardliner nicht durchsetzen. Ohne Rückendeckung aus Moskau erschien eine gewaltsame Lösung als zu riskant und die damalige Parteiführung ahnte nicht, dass sie bald die ganze Macht verlieren würde. Umso größer war die Freude, als der Kommunismus vorbei war, das war fast schon wunderbar und wurde entsprechend gefeiert. Ich habe mich damals entschieden, Tschechisch zu lernen und habe dann 1992 einige Zeit in Prag gelebt und gearbeitet, später in Polen und für Forschungsaufenthalte in der Ukraine.
uni:view: 25 Jahre sind seit 1989 vergangen. Hat der Umbau bzw. die neue Ordnung, wie Sie es nennen, der mittel- und osteuropäischen Ökonomien funktioniert?
Philipp Ther: Das hängt sehr davon ab, wie man Erfolge bemisst. Am besten hat es vielleicht in Polen funktioniert, vor allem gemessen an der damaligen Armut und den oft skeptischen Prognosen aus dem Westen. Polen hat inzwischen 22 Jahre ununterbrochenes und teilweise hohes Wirtschaftswachstum erlebt. Auch die Slowakei zählt zu den positiven Überraschungen.
uni:view: Und wo hat die Transformation weniger oder nicht funktioniert?
Philipp Ther: Es gab auch viele Schattenseiten, gerade in den ersten Jahren nach dem Umbruch und auf dem Land. In Russland war die Entwicklung in den neunziger Jahren eine Katastrophe und hat zum autoritären Staatskapitalismus von Wladimir Putin geführt. Außerdem hat die Krise von 2008/09 viele vorherigen Erfolge in Frage gestellt oder zunichte gemacht. Ungarn ist dafür ein Beispiel. Aber auch in der ehemaligen DDR gab es viele Probleme, die dann letztlich zu den deutschen Arbeitsmarktreformen von 2001-05 führten. Der Westen wurde also gewissermaßen cotransformiert. Übrigens hat kein Land so vom Umbruch profitiert wie Österreich.
"Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent" wurde mit dem Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. |
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uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Philipp Ther: Ich empfehle von Włodzimierz Borodziej die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert (München: C.H. Beck, 2010).
uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Philipp Ther: Es ist eine luzide geschriebene Gesamtdarstellung der turbulenten Geschichte Polens und zeugt davon, wie die polnische Gesellschaft unvorstellbare Katastrophen überwunden und zum Ende des Kommunismus und des Ostblocks beigetragen hat.