Von der Anthropogeologie zur Umweltgeoforschung
| 30. November 2017Der Mensch hinterlässt gravierende Spuren auf der Erde. Diese sind mittlerweile derart massiv, dass sie sogar in geologische Prozesse eingreifen. Über die Menschheit als geologischen Faktor im Anthropozän stellt Umweltgeowissenschafter Hermann Häusler in seinem Gastbeitrag Überlegungen an.
Definiert man Anthropogeographie als Geographie des Menschen, so kann Anthropogeologie als Geologie des Menschen bezeichnet werden. Eine Wechselbeziehung zwischen Mensch und geologischen Prozessen bedeutet auch, dass wir einerseits natürliche Ressourcen wie etwa mineralische Rohstoffe, Grundwasser und Boden nutzen, und andererseits – oft unbewusst – unsere Umwelt, also die Geosphäre, Hydrosphäre, Pedosphäre und Biosphäre, intensiv schädigen. Sowohl bei konkreten Projekten auf Landesebene als auch in seinen globalen Auswirkungen agiert der Mensch im heutigen geologischen Kreislauf selbst als ökologischer Faktor in einer geologischen Dimension, was bekanntlich zu Umweltkatastrophen geführt hat, die größenordnungsmäßig wiederum mit geogenen Katastrophen vergleichbar sind.
Die Menschheit hat mittlerweile einen zunehmend größeren Einfluss auf die Landschaftsformung als natürliche Prozesse. In den USA entfallen auf eine Person jährlich etwa 30 Tonnen Erd- und Gesteinsaushub, im weltweiten Mittel etwa sechs Tonnen je Person. Das Volumen der mittleren Jahresmenge pro Person während der letzten 5000 Jahre entspricht einer 4.000 Meter hohen Gebirgskette von 40 Kilometer Breite und 100 Kilometer Länge. (Foto: Pexels/Ivan/CC0 1.0)
Während der methodische Ansatz der Anthropogeologie grundsätzlich eher auf eine Vermeidung langfristiger Umweltschäden abzielte, widmet sich die Umweltgeologie methodisch der Analyse und Reduzierung organischer und anorganischer Schadstoffe im geologischen Kreislauf. Im Mensch‐ Umweltsystem könnten jedenfalls künftig die Umweltgeowissenschaften unter Berücksichtigung anthropogeologischer Erfahrungen eine wichtige integrierende Forschungsdisziplin einnehmen.
Wechselbeziehung Mensch und Umwelt
Die Anthropogeologie kann als jenes Teilgebiet der Angewandten Geologie bezeichnet werden, das die Beziehungen zwischen Mensch und geologischem Geschehen bzw. die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und geologischer Umwelt zum Inhalt hat. Der einzelne im Büro planende oder in der Industrie produzierende Mensch, die exponentiell wachsende und natürliche Ressourcen verbrauchende Bevölkerung, alle Menschen, sind direkt oder indirekt AkteurInnen, die unsere Umwelt in einem Ausmaß prägen, das jährlich größenordnungsmäßig geologischen Prozessen entspricht.
Seit 100 Jahren wird aus diesem Grund der Mensch als geologischer Faktor bezeichnet. Handlungsbedarf besteht in der Zivilgesellschaft heute vor allem aus vier Beweggründen: Erstens bei einer ökonomisch dominierten Rohstoffgewinnung, zweitens bei der Beurteilung des Umweltrisikos von Nuklearanlagen (bisherige Beispiele Tschernobyl, 1986 und Fukushima, 2011), drittens bei der weltweit ungelösten Problematik einer mittel‐ bis langfristigen Lagerung von radioaktivem Sondermüll sowie viertens bei der Umsetzung künftiger Projekte des Geoengineering.
Die jährlich bei der Rohstoffgewinnung bewegten Erd- und Gesteinsmassen von rund 57.000 Megatonnen übertreffen bereits die jährliche Sedimentfracht von Flüssen in die Ozeane von etwa 22.000 Megatonnen um das Dreifache. Zusätzlich werden weltweit noch Rohstoffe für die Erzeugung von 270 Millionen Tonnen Plastik bzw. 3,4 Milliarden Tonnen Beton – mit steigender Tendenz – gewonnen und verarbeitet. (Grafik: Hermann Häusler)
Es sollte somit im Anthropozän leichter fallen, die Menschheit als geologischen Faktor zu erkennen, in seinen Auswirkungen jährlich größenordnungsmäßig vergleichbar mit Mengen globaler Massenverlagerungen, etwa bei der Rohstoffgewinnung, die natürlichen Erosions-, Transport und Ablagerungsprozessen entsprechen. Dass der weltweit steigende Energie- und Ressourcenverbrauch sowie die Auswirkung von Massenvernichtungswaffen ebenfalls das Ausmaß von Naturkatastrophen (z.B. durch tektonische Bewegungen, Vulkanismus und Erdbeben) erreicht, ist nun ebenso bekannt, wie die Begrenztheit der globalen Ressourcen.
Die mit dem exponentiell anwachsenden Bevölkerungsdruck einhergehenden globalen Probleme, wie z.B. Degradation von Ökosystemen, Übernutzung natürlicher Ressourcen, Klimaänderungen und humanitäre Konflikte fordern neue Forschungsansätze quer durch alle Disziplinen sowie erweiterte sozio-ökonomische Forschungsansätze, die als transdisziplinär bezeichnet werden können.
Hermann Häusler ist Professor am Department für Umweltgeowissenschaften an der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie der Universität Wien.