Judith Butler: "Unbequeme Denkerin"

Am Dienstag, 6. Mai 2014, spricht die US-amerikanische Philosophin Judith Butler im Rahmen der Sigmund Freud Lecture an der Universität Wien. In ihrem Gastbeitrag beschreiben Anna Babka und Gerald Posselt von der Universität Wien das Werk "einer der prominentesten DenkerInnen der Gegenwart".

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, die u.a. an der University of California in Berkeley und der Columbia University in New York lehrt, ist zweifellos eine der prominentesten DenkerInnen der Gegenwart. Butlers Arbeiten werden im Bereich der Philosophie, der Feministischen Theorie, der Gender und Queer Studies, der Politischen Theorie, der Sozialtheorie, der Kulturwissenschaften und der Psychoanalyse auf breiter Ebene rezipiert und diskutiert.

Butlers Thesen und Positionen, die sie seit Ende der 1980er Jahre in mehr als einem Dutzend Monographien sowie in zahllosen Artikel und Vorträgen entwickelt hat, sind dabei gleichermaßen originär wie provozierend, insofern sie unsere gängigen Überzeugungen und gewohnten Vorstellungen herausfordern und unterminieren.

Vorlesung zum Thema Todesstrafe

Butler selbst versteht sich als eine unbequeme Denkerin, die die zentralen Begriffe, Kategorien, Normen und Ausschlüsse unseres Denkens kritisch reflektiert und in Frage stellt, wie etwa den klassischen Begriff des Subjekts, die vermeintlich einheitliche Kategorie der "Frauen", die Eindeutigkeit der Geschlechterdifferenz oder die Normen der Heterosexualität. Zugleich bezieht sie immer wieder zu aktuellen Fragen und politischen Problemen unserer Zeit Stellung, wie zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan, zu den Demokratiebewegungen in der arabischen Welt und in Europa, zum Israel-Palästina-Konflikt, zur Gewalt gegen sexuelle und religiöse Minderheiten – und aktuell zur Todesstrafe. Dieses Thema wird sie in ihrer Freud-Vorlesung am 6. Mai im Audimax der Universität Wien behandeln.

Dabei geht es Butler gerade nicht darum, klare Antworten oder gar fertige Anleitungen zum politischen Handeln zu liefern. Vielmehr erweisen sich Butlers Texte als behutsame und hoch reflexive Interventionen in einem theoretisch-politischen Feld, die stets mit dem Impetus auftreten, die Voraussetzungen, Bedingungen und – letztlich immer unabsehbaren – Konsequenzen unseres Sprechens und Handelns in den Fokus zu rücken. In ihren Arbeiten zur Kritik des Subjekts und der Geschlechtsidentität, zu den Grenzen des Menschlichen, zur Frage lebbaren Lebens und zu den ambivalenten Motivlagen im Diskurs über die Todesstrafe geht es ihr darum, den Fragen und Problemen, die uns in der Gegenwart bedrängen, in ihrer Komplexität und Verschränktheit mit anderen Problemfeldern gerecht zu werden und dabei zugleich die eigene Sprechposition stets mitzubedenken.

Eine weniger gewaltsame Welt denken

Eine solche Herangehensweise bringt diejenigen, die sie unternehmen, nicht selten in Schwierigkeiten, wie es Butler selbst mit dem Titel ihres einschlägigen Werks "Gender Trouble" (1990, dt. "Das Unbehagen der Geschlechter", Frankfurt/M. 1991) deutlich gemacht hat. Ihre Texte und Thesen lassen die LeserInnen immer wieder den festen Boden der vermeintlichen Selbstverständlichkeiten unter den Füßen verlieren – was oftmals sehr beunruhigend und bedrohlich sein kann. Doch gerade diese Beunruhigung und Offenheit gilt es nach Butler auszuhalten, wenn wir Formen der Gemeinschaft und des Zusammenlebens denken wollen, die nicht von gewaltsamen Ausschlüssen geprägt sind. Es sind dies Ausschlüsse, die bestimmen, wer als Mensch zählt und wer nicht, welches Leben als lebbares, sozial anerkennbares und betrauerbares Leben gilt und welches aus den Rastern der Wahrnehmung herausfällt, welche Lebens- und Begehrensformen kulturell und sozial intelligibel sind und welche aus dem Raum des Sicht- und Hörbaren verdrängt werden, während sie zugleich diesen Raum als dessen konstitutives Außen heimsuchen und bewohnen.

Diese kritische Haltung geht mit einer theoretischen Geste einher, die für Butlers gesamtes Denken und Schreiben charakteristisch ist: Butler nimmt in ihren Texten keine scheinbar neutrale Außen- oder Beobachterposition ein, wie dies für die philosophische Tradition üblich ist. Tatsächlich bestreitet Butler im Sinne einer feministischen Wissenschaftskritik gerade die Möglichkeit eines quasi-göttlichen Standpunkts, der dazu tendiert, die eigene Perspektive und zeitlich-historische Gebundenheit unzulässig zu universalisieren. In dieser Offenheit, die sich nicht selbst immunisiert, sondern sich ihrer Bedingtheit und Perspektivität bewusst ist, liegt nicht zuletzt die Originalität und Stärke von Butlers Denken. Denn nur ein Denken, Sprechen und Handeln, das stets die Abhängigkeit von anderen sowie die Ausschlüsse reflektiert, die es notwendig produziert, kann es uns ermöglichen, eine weniger gewaltsame Welt zu denken, in der die gemeinsame Bedingung unserer Verletzlichkeit rückhaltlos anerkannt wird.

Anna Babka ist Assistenzprofessorin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Gerald Posselt ist Senior Lecturer am Institut für Philosophie der Universität Wien.

VERANSTALTUNGSTIPP:
XLI. Sigmund Freud Vorlesung
Judith Butler: "Politik des Todestriebes. Der Fall der Todesstrafe"

Dienstag, 6. Mai 2014, 19 Uhr
Hauptgebäude der Universität Wien, Audimax
Universitätsring 1, 1010 Wien
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