Führung und Partizipation an der Universität Wien überdenken

"Fit für die nächsten 650 Jahre?" lautete die Frage auf einer im Mai vom Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums organisierten Veranstaltung. Ein Gastkommentar von Christine Kasper und Ilse Reiter-Zatloukal.

Die Veranstaltung "Fit für die nächsten 650 Jahre? 'Vienna Faculty' Neu!" fand am Mittwoch, 13. Mai, im Dachgeschoss des Juridicums statt.

Das zahlreich erschienene Publikum war der Einladung des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal zur Veranstaltung "Fit für die nächsten 650 Jahre? 'Vienna Faculty' Neu!" gefolgt, welche sich der Diskussion folgender Fragen und Problembereiche widmete: Wie zeitgemäß ist die "alte" Kurienuniversität und damit das Denken in hierarchischen Statusgruppen? Wie können vielfältige Formen der Mitwirkung erreicht und partizipative Entscheidungsstrukturen (re)etabliert werden? Wie kann das kollegiale Zusammenwirken verbessert werden, wie können Hierarchien abgebaut werden? Wie kann der akademische Nachwuchs motiviert und der sogenannte "Brain Drain" verhindert werden?

Erste Antworten darauf gaben die ReferentInnen Walter Berka und Jürgen Janger in ihren Impulsstatements.

Es diskutierten (v.l.n.r.): Heribert Wulz, stv. Leiter Hochschulsektion, BMWFW, Anna Babka, Betriebsrätin für das wissenschaftliche Universitätspersonal der Universität Wien, Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der Bildenden Künste, Rektor Heinz W. Engl, Walter Berka, stv. Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats und Jürgen Janger, Austrian Institute of Economic Research (WIFO). Moderator war Klaus Taschwer, Journalist und Publizist, Der Standard.

Wissenschaftliche Selbstständigkeit und einheitliches Rollenbild

Walter Berka, stellvertretender Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats, bezog sich in seinen Ausführungen auf die bereits 2013 publizierten Empfehlungen des Rats. Er betonte zwar eingangs seine Vorbehalte bezüglich der Verwendung des aus dem anglo-amerikanischen Raum übernommenen Begriffs eines "Faculty-Modells", da dieser doch sehr uneinheitlich gebraucht werde und deshalb zu Missverständnissen führe, ließ aber keinen Zweifel daran, dass eine Universität nur bestehen kann, wenn ihre Forschenden und Lehrenden an Entscheidungsprozessen beteiligt werden.

Dabei zeigte er auf, dass die universitären Gruppen schon lange nicht mehr so homogen sind, wie es das geltende universitäre Organisationsrecht suggeriert. Berka plädierte für andere Prinzipien der Zuweisung von Verantwortlichkeiten als das Denken in Kurien. In Hinblick auf die Anerkennung eines einheitlichen Berufs der ForscherInnen verwies er auf die "Europäische Charta für ForscherInnen", die mehr als 1.000 europäische Universitäten, darunter auch alle österreichischen Universitäten, unterschrieben haben. Darin, aber auch in allen einschlägigen Studien, wird die Bedeutung einer möglichst früh zu erlangenden wissenschaftlichen Selbstständigkeit betont. Damit verbunden ist das Bekenntnis zu einem einheitlichen Rollenbild der ForscherInnen. Berka plädierte auf der Basis der Charta nachdrücklich dafür, allen ProfessorInnen im Rahmen des Tenure-Tracks die gleichen Rechte und Pflichten zuzugestehen wie den bisherigen KurienprofessorInnen.

"Unbefristete Stellen am Ende eines Qualifizierungswegs"

Jürgen Janger bei seinem Impulsreferat.

Jürgen Janger vom Wifo sprach zur Attraktivität universitärer Organisations- und Karrierestrukturen aus dem Blickwinkel von Arbeitsplatzentscheidungen. Seine Empfehlung zielte auf ein Tenure-Track-Modell, wie es schon lange in den USA umgesetzt wird und wie es in unterschiedlicher Form in jüngerer Zeit etwa auch an der ETH Zürich, an der LMU München oder am IST Austria zur Anwendung kommt. Ähnlich wie Berka argumentierte er, dass die frühe Selbstständigkeit der ForscherInnen im Fokus der Karriereentwicklung stehen müsse, damit Karriereentscheidungen früher getroffen werden können. Janger stellte die grundsätzliche Notwendigkeit von befristeten Stellen nicht in Frage und plädierte sogar für einen verpflichtenden Uniwechsel spätestens nach der Dissertation, betonte aber, dass qualifizierte NachwuchsforscherInnen einen Weg vorfinden können müssen, der sie über eine unbefristete Anstellung zu einer Professur bringt. Die Habilitation bezeichnete er in diesem Zusammenhang als ein Hemmnis; an ihre Stelle sollte eine mehr oder weniger kontinuierliche Tenure-Evaluierung treten. Unbefristete Stellen am Ende eines Qualifizierungswegs seien, wie auch er betonte, unabdingbar, um die Attraktivität des Forschungsstandorts zu gewährleisten.

Tenure-Track

Rektor Heinz W. Engl befürwortet die Möglichkeit eines echten Tenure-Track-Modells.

Rektor Heinz W. Engl führte aus, dass die Universität Wien grundsätzlich großen Wert auf die Einführung des Tenure-Tracks legt und diesen auch erfolgreich eingeführt hat. Dies impliziert eine Abkehr vom traditionellen Bild der AssistentInnen hin zu selbstständigen ForscherInnen. In Umsetzung des Kollektivertrag habe die Universität in einer erste Welle intern ausgeschrieben und besetzt, ganz bewusst, weil es einen großen Rückstau an höchstqualifizierten Personen im Mittelbau gegeben habe und damit auch hinreichende Konkurrenz. Damit konnte dem kompetitiven Anspruch und härtester Qualifizierung Genüge getan werden und ohne Zweifel alle Standards erfüllt werden, die man an international kompetitive Berufungsverfahren setzt. In einer erfolgten zweiten Welle, die international ausgeschrieben wurde, stelle sich heraus, dass das Modell, das keine Fullprofessorship am Ende aufweist, nicht attraktiv genug ist. Mehrmals sei es vorgekommen, dass die erstgereihten BewerberInnen auf Tenure-Track-Stellen abgesagt hätten, sobald sie erfahren hatten, dass sie auch mit der Erfüllung der Qualifizierungsvereinbarung nicht in die Professorenkurie aufsteigen würden. Rektor Engl setzt daher nachdrücklich auf die Möglichkeit eines echten Tenure-Track-Modells.

Durchgängige und international vergleichbaren Karrieren


Heribert Wulz, Vertreter des Ministeriums und Befürworter des Laufbahnstellenmodells, sprach von einem großen Handlungsbedarf und erklärte dies anhand zweier Aspekte rund um das UG 2002: Der Gesetzgeber habe damals eine Personalstruktur vorgefunden, die, vor allem aus Gründen der Finanzierbarkeit des massiven Lehrbedarfs, durch einen hohen Anteil des sogenannten Mittelbaus und wenigen ProfessorInnen gekennzeichnet war. Dem UG 2002 sei die Annahme zugrunde gelegen, dass es sich bei den dauerhaft an den Universitäten tätigen Personen im Normalfall um ProfessorInnen handeln würde. Auf diese Perspektive hin sei das Partizipationsmodell des UG 2002 entwickelt worden, doch die daran geknüpften Erwartungen wären nicht eingetreten, das Wachstum des – nun allerdings extrem heterogenen – Mittelbaus würde andauern.

Wie man aus der Situation herauskommt? Als wesentlichen Ansatzpunkt zur Lösung des Problems verwies Wulz auf den Kollektivvertrag und das Tenure-Track-Modell mit seiner Perspektive einer durchgängigen und international vergleichbaren Karriere. Das Problem hierbei sei jedoch, dass das kollektivvertragliche Modell keine Anknüpfungspunkte im Organisationsrecht habe. Dieses definiere nämlich die Mitbestimmungsmöglichkeit über die Berufung, nicht jedoch auch über den Tenure-Track und die Qualifizierungsvereinbarung. Wulz sprach sich dafür aus, assoziierte ProfessorInnen organisationsrechtlich den bisherigen (Kurien-)ProfessorInnen gleichzustellen.

Fokus auf die Lehre: LektorInnen in Karriemodellen mitbedenken


Eva Blimlinger betonte in ihrem Statement die Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen im Hinblick auf die Frage des Tenure-Tracks. Das Thema der Laufbahnstellen würde sich für die künstlerischen Universitäten ganz anders darstellen als für die anderen Hochschulen. Ein einheitliches Modell für alle Universitäten in Österreich sei daher nicht einfach zu realisieren. Ein Kuriosum stelle Blimlinger zufolge die künstlerische Habilitation in Österreich dar, die aus dienstrechtlichen Gründen zum Zweck der Definitivstellung nach dem Modell der wissenschaftlichen Habilitation geschaffen worden sei, obwohl es kein künstlerisches Doktorat gibt. Blimlinger forderte, in der laufenden Debatte endlich einen angemessenen Fokus auf die Lehre zu legen, der im universitären Karriereverlauf bisher kaum Bedeutung zukomme. Im Zusammenhang damit sollten auch (und nicht zuletzt) die LektorInnen, welche die enormen Studierendenzahlen mitbewältigen, in Karrieremodellen mitbedacht werden. Das Kuriensystem würde sie abschaffen.

Heterogene Zusammensetzung des Mittelbaus


Anna Babka, Mitglied des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal und Mittelbausprecherin an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, argumentierte aus zwei Perspektiven: Zum einen wünschte sie sich eine wirkliche Gleichbehandlung der ProfessorInnen, unabhängig davon, ob sie dazu berufen worden waren oder die Qualifikation über einen Tenure-Track erreicht hatten, damit also auch gleiche Rechte und Pflichten vor allem im Hinblick auf Mitbestimmung und Zugang zu Ressourcen. Zum anderen plädierte sie dafür, ein wirkliches Faculty-Prinzip zu etablieren, das nicht nur auf eine Erweiterung der ProfessorInnenkurie abzielt. Als ein Grundproblem hob sie die starren Hierarchien gleichsam ständisch organisierter Gruppen hervor, die der Wirklichkeit des heutigen Wissenschaftsbetriebs mit differenzierten Karriereverläufen, abgestuften Graden wissenschaftlicher Selbstständigkeit und unterschiedlichen Funktionen im Wissenschaftsmanagement nicht mehr entsprächen. Sie verwies auf die extrem heterogene Zusammensetzung des Mittelbaus, der einerseits aus InhaberInnen befristeter Stellen besteht, wie die zahlreichen, große Teile der Lehre tragenden LektorInnen, die Prae- und Postdoc-AssistentInnen sowie die Projekt-MitarbeiterInnen, andererseits aus weitgehend unbefristetem "Stammpersonal" wie Senior Scientists, Ass.-Profs., assoz.-Profs. und ao.-Profs.. Prinzipiell demotivierend würden vor allem die unkalkulierbaren Karriereverläufe, der Ausschluss von Entscheidungsprozessen, der Konkurrenzkampf und die mangelnden Solidarität untereinander wirken.

Entscheidungsfähige Gremien auf der mittleren Ebene der Organisationseinheiten

Auch die ZuhörerInnen diskutierten fleißig mit. (alle Fotos: Maria Dabringer)

Bei der anschließenden Diskussion mit dem Publikum argumentierte der Historiker Andreas Schwarcz, dass jede Ausweitung der ProfessorInnenkurie zwar begrüßenswert sei, damit jedoch noch keine Faculty geschaffen würde. Die einzige wirkliche Vertretung aller wissenschaftlichen MitarbeiterInnen im Sinne einer Faculty sei derzeit der Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal. Auch Schwarcz plädierte für einen "echten" Tenure-Track, der bis zur vollen Professur führen sollte. Die Absicht, assoziierte ProfessorInnen zu ProfessorInnen gemäß Organisationsrecht bzw. UG 2002 zu machen, ginge zwar in die richtige Richtung und sei zu unterstützen, aber das müsse auch für ao. Univ.-Profs. und die habilitierten Senior Lecturers und Senior Scientists gelten. Ferner sollten entscheidungsfähige Gremien auf der mittleren Ebene der Organisationseinheiten eingerichtet werden und Curricularentscheidungen sowie die Einsetzung von Berufungs- und Habilitationskommissionen vom Senat dorthin rückverlagert werden.

Neue Beteiligungsstrukturen innerhalb der Universitäten

Maria Dabringer, Vorsitzende der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen und Mitglied des Betriebsrats für das wissenschaftliche Personal, machte deutlich, dass neue Beteiligungsstrukturen innerhalb der Universitäten unbedingt vor dem Hintergrund des universitären Alltags diskutiert werden müssten. Es könne in Zukunft im Rahmen dieser Diskussion nicht darum gehen, Entscheidungen ausschließlich in die Hände der ProfessorInnenschaft zu legen. Auch alle anderen wissenschaftlich tätigen MitarbeiterInnen sollten hier mitbedacht und jedenfalls beteiligt sein – seien sie es doch, welche die Universitäten am Laufen halten. Allem voran müsse dringend der Frage nachgegangen werden, welche Personen in Zukunft für die Erfüllung welcher Aufgaben herangezogen werden sollten: Personalführungskompetenzen kämen nicht allen ProfessorInnen zu, und auch die Fähigkeit, administrative Aufgaben gut zu erfüllen, sei nicht allen gegeben. Es sollte daher dem Faktum Rechnung getragen werden, dass WissenschafterInnen nicht allein schon auf Grund ihres hohen Ausbildungsgrades automatisch auch gute AdministratorInnen und VerwalterInnen seien bzw. Personalführungskompetenzen besäßen.

Einbindung von WissenschafterInnen und Gesetzesänderungen


Zusammenfassend ging es in den Referaten und Kommentaren vorwiegend darum, wie hochqualifizierte WissenschafterInnen in die Entscheidungsstrukturen eingebunden werden können und welche gesetzlichen Änderungen dafür notwendig seien. Anna Babka und Maria Dabringer mahnten ein, trotz dieser auf den Tenure-Track fokussierten Diskussion nicht zu vergessen, dass auch andere Gruppen der Universitätsangehörigen wichtige Arbeit für die Universität leisten und dass ihnen daher stärkere Anerkennung zu zollen sei. Dieser Aspekt wurde dann in den übrigen Wortmeldungen der Anwesenden ebenfalls stark betont und durch Beispiele illustriert: Die Lehre werde größtenteils vom Mittelbau, nicht selten sogar von LektorInnen mit Semesterverträgen (oder noch – sehr selten – unbefristeten Verträgen, die nicht mehr als vier Wochenstunden umfassen) erledigt. Senior Lecturers seien vorwiegend in der Lehre tätig, aber aufgrund ihrer unbefristeten Verträge oft auch willkommene Kontinuitätsgaranten für die universitäre Arbeit mit den Studierenden. Administrative Verpflichtungen (wie etwa SPL-Funktionen) und die Übernahme von inadäquaten Tätigkeiten infolge fehlender Support-Stellen kosteten aber enorm viel Zeit und gingen massiv zu Lasten der eigenen Forschung. Ingrid Getreuer-Kargl, Japanologin und ebenfalls Mitglied des Betriebsrats, wies beispielsweise darauf hin, dass es in Japan und anderen Ländern Eliteuniversitäten gibt, die es ihren MitarbeiterInnen ermöglichen, sich ausschließlich auf die Forschung zu konzentrieren. Im internationalen Wettbewerb seien heimische ForscherInnen, die nur einen immer geringer werdenden Teil ihrer Zeit der Forschung widmen können, dadurch automatisch gravierend benachteiligt.

Flachere Hierarchien und eine Kultur des Dialogs und der Kooperation

Als Fazit der Diskussion könnte formuliert werden, dass sich das derzeitige Kurienmodell als schlecht für die meisten Beschäftigten und nachteilig für die Universitäten erwiesen hat. Die einseitige Erweiterung der Professorenkurie kann jedoch nur Teil einer Lösung sein. Vielmehr sollte es auch innerhalb der Universität flachere Hierarchien, eine Kultur des Dialogs und der Kooperation geben. Wie Eva Blimlinger unmissverständlich klarmachte, sind RektorInnen nicht verpflichtet, wichtige universitäre Funktionen ausschließlich nach hierarchischen Gesichtspunkten zu vergeben. Überlegungen zu einer neuen Form der universitären Partizipation setzen jedenfalls voraus, wie Walter Berka am Schluss betonte, dass auch MitarbeiterInnen, die sich nicht in einem Tenure-Track befinden (inklusive derjenigen aus dem allgemeinen Personal), ernst genommen und unterstützt werden. In diesem Sinn war die Veranstaltung ein gelungener Kick-off für weitere Diskussionen darüber, wie es am Beginn der nächsten 650 Jahre weitergehen sollte bzw. müsste. (red)

Christine Kasper und Ilse Reiter-Zatloukal sind Betriebsrätinnen für das wissenschaftliche Personal der Universität Wien.

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