"Einem Tischleuchter sieht man nichts Jüdisches an"

"Jüdische Dinge" oder "Judaica" sind nicht nur in Jüdischen Museen zu finden. Auch das Museum für Volkskunde beherbergt eine solche Sammlung, die dort bis 1938 auch ausgestellt war. Nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich wurde sie abgeräumt, magaziniert und vergessen. Heute, 73 Jahre nach der Schoa, wurden 20 Objekte aus dieser Sammlung durch Studierende eines Seminars am Institut für Europäische Ethnologie bearbeitet und nach ihren kulturhistorischen Kontexten befragt. Ergebnis ist die Ausstellung "Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern. Jüdische Dinge im Museum", die von 22. Juni bis 16. Oktober 2011 im Volkskundemuseum zu besichtigen ist.

Die Ausstellung wurde von Birgit Johler (Museum für Volkskunde) und Barbara Staudinger (Institut für jüdische Geschichte Österreichs), Leiterinnen der Lehrveranstaltung "Jüdisches im Museum. Sammeln und Ausstellen 1900-2011 – Ausstellungsmachen in der Praxis" am Institut für Europäische Ethnologie, gemeinsam mit den Studierenden konzipiert. Ziel war eine Auseinandersetzung mit den Sammlungsgeschichten und der musealen Praxis: "Die 'Jüdischen Dinge' sind Dinge ohne Erinnerung. Sie stammen aus einer anderen Zeit, vielfach gibt es nur spärliche Informationen im Inventarbuch. Trotzdem sind sie Informationsträger: Sie wurden nach ihren Geschichten und Kontexten befragt, weiters wurden vergangene und gegenwärtige Stereotype, Vorurteile und Zuschreibungen hinterfragt", erläutert Johler.

"Alter Jude"

Zu sehen ist etwa eine Keramik, die 1950 als "Alter Jude" inventarisiert wurde. Doch ist es wirklich eine stereotype Darstellung eines Juden oder sind es vielmehr Vorurteile der BetrachterInnen bzw. jener Person, die sie mit dieser Bezeichnung in das Museumsinventar aufgenommen hat, die die Keramik zum Juden machen? Oder eine Mesusa – das ist eine mit biblischen Passagen beschriebene Pergamentrolle, die im Judentum zum Schutz eines Hauses an dessen Türpfosten angebracht wird –, die 1944 von einem Mann (vermutlich einem Wehrmachtssoldaten) aus Russland "mitgenommen" und von diesem später dem Museum geschenkt wurde. Hat er sich eine "Trophäe" ausgesucht? Was geschah mit den Menschen, an deren Türpfosten die Mesusa hing?

"Auch einem Tischleuchter sieht man nichts 'Jüdisches' an – könnte er vielleicht auch in einem christlichen Haushalt gestanden haben? Und das Bild von 'Drei Jüdinnen in Tracht': Sind es wirklich Jüdinnen oder ist dies eine Zuschreibung, die erst im Museum getroffen wurde, weil die Fotografie aus der Sammlung des jüdischen Industriellen Konrad Mautner stammt?", nennt Barbara Staudinger weitere Fragen, die sich den Studierenden bei der Vorbereitung der Ausstellung stellten.

Ausstellung mit Werkstattcharakter


Diese und andere Ausstellungsobjekte sind auf einem Tisch für die BesucherInnen scheinbar ungeordnet präsentiert. Tatsächlich stehen sie nach Inventarnummern bzw. Eingangsdatum geordnet und ergeben dadurch eine gewollte Zufälligkeit. Denn die Ausstellung will keine Ausstellung zu den jüdischen Festen sein, für die viele der ausgestellten Ritualgegenstände verwendet wurden. Vielmehr präsentiert sie eine bestehende Sammlung "jüdischer Dinge", deren Geschichten, kleine Ausschnitte jüdischer Lebenswelten, es zu erzählen gilt.

Die Studierenden recherchierten die Sammlungsgeschichten der Objekte, soweit diese bekannt sind, und setzten sie in einen kulturhistorischen Kontext. Dabei standen Fragen wie "Ist das jüdisch?" bzw. "Was war oder ist jüdisch?" im Vordergrund, Fragen, die jede und jeden Einzelne/n damit konfrontierten, ihre oder seine eigene Vorstellung davon, was "jüdisch" ist, zu hinterfragen. (red)


Ausstellung: "Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern. Jüdische Dinge im Museum".
22. Juni bis 16. Oktober 2011
Eröffnung: Dienstag, 21. Juni 2011, 18 Uhr
Österreichisches Museum für Volkskunde
Gartenpalais Schönborn
Laudongasse 15-19, 1080 Wien
Nähere Informationen

Ein Projekt mit Studierenden der Lehrveranstaltung "Jüdisches im Museum - Sammeln und Ausstellen 1900-2011" unter der Leitung von Birgit Johler und Barbara Staudinger

 Zur Liste