Was brauchen die LehrerInnen von morgen?
Redaktion (uni:view) | 21. März 2013Am Mittwoch, 20. März 2013, startete die Veranstaltungsreihe "Universität Wien im Gespräch" im vollbesetzten Großen Festsaal. Thema: LehrerInnenausbildung Neu. Im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion stand weniger der aktuelle politische Diskurs, sondern der/die LehrerIn selbst: Was macht guten Unterricht aus, und was ist der Bildungsauftrag der Schulen?
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"Ausbildung Neu: Welches Rüstzeug brauchen unsere LehrerInnen?" – ein Thema, das am 20. März hunderte Interessierte in den Großen Festsaal der Universität Wien lockte. Neben zahlreichen VertreterInnen aus den Fachwissenschaften, Fachdidaktiken, der Bildungswissenschaft sowie Politik und Praxis waren v.a. auch viele Lehramtsstudierende im Publikum.
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Am Podium saßen (v.l.n.r.): Lutz-Helmut Schön, Leiter des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität Wien, Autor und Berater Andreas Salcher – u.a. bekannt für sein Buch "Der talentierte Schüler und seine Feinde" –, Heinz W. Engl, Rektor der Universität Wien, Sandra Baierl von der Tageszeitung "Kurier" (Moderation), Ulrike Greiner, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich und – in Vertretung des Bundesministers Karlheinz Töchterle – der stv. Leiter der Hochschulsektion des BMWF, Elmar Pichl.
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Rektor Engl begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste und gab das Wort an die Moderatorin weiter, die die aktuelle Debatte rund um die "LehrerInnenausbildung neu" kurz umriss. Über Schule und LehrerInnen habe jeder und jede eine Meinung; und allein die APA-Datenbank enthalte derzeit über 1.200 Pressemeldungen zum Thema, so die Kurier-Journalistin weiter. Heute wolle man aber nicht den politischen und medialen Diskurs nachzeichnen, sondern ganz praktisch diskutieren, sagte sie, bevor sie das Podium vorstellte und die DiskutantInnen um ihre Eingangsstatements bat.
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Von Mathematik bis hin zu Islamischer Religionspädagogik: Die Universität Wien ist mit 26 Unterrichtsfächern und rund 10.600 Lehramtsstudierenden die größte LehrerInnenbildungsstätte Österreich, so Rektor Engl. Der große Vorteil der universitären LehrerInnenbildung: Die Universität versammelt die Fachwissenschaften, die Lehramtsstudien und die Pädagogik in einem Haus. Austausch zwischen den einzelnen Fachdidaktiken passiert u.a. im Rahmen der Forschungsplattform Fachdidaktik und seit 1. März unter dem Dach des neuen Zentrums für LehrerInnenbildung (ZLB) unter der Leitung von Lutz-Helmut Schön.
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"LehrerInnen sollen in einem forschungsorientierten Umfeld ausgebildet werden", so der Rektor: "Plakativ gesagt: Ein künftiger Physiklehrer soll einmal eine Vorlesung bei Anton Zeilinger gehört haben!"
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"LehrerInnenausbildung ist ein komplexes Thema", so der Vertreter des Wissenschaftsministeriums am Podium, Elmar Pichl, "unzählige Stakeholder, und jeder glaubt, sich auszukennen." Was könne das BMWF gemeinsam mit den Universitäten tun? Im Rahmen der Leistungsvereinbarungen zwischen Ministerium und Universitäten wurde erstmals ein Schwerpunkt zur LehrerInnenbildung gesetzt. Verankert wurden z.B. die Zentren zur LehrerInnenbildung, die Schools of Education und fakultätsübergreifende Professuren, etwa in der Frühkindpädagogik, Elementarpädagogik, Begabungsforschung und in der Didaktik. Im Bereich der Kooperationen zwischen Universitäten und Pädagogischen Hochschulen passiere bereits sehr viel mehr, als es der öffentliche Diskurs vermuten lässt, so der stv. Sektionsleiter.
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"LehrerInnenbildung ist ein Gesamtkunstwerk", so Ulrike Greiner. Sie habe vor wenigen Wochen eine EU-Konferenz zum Thema in Dublin besucht, und konstatiert: "Alle europäischen Länder ringen um die Restrukturierung ihrer LehrerInnenbildung."
Über den Dualismus zwischen Fach und Pädagogik, zwischen Theorie und Praxis müsse man heute nicht mehr diskutieren, sondern darüber, wie sich das Verhältnis gestalten lässt. "Wie verstehen wir Theorie, wie Praxis?" Es gehe darum, "das Fach zu verstehen", und es in Beziehung zum Verständnis der SchülerInnen zu bringen.
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Buchautor Andreas Salcher sieht LehrerInnen-Auswahl und Fortbildung als wichtigste Faktoren für den Erfolg des Bildungssystems. Er plädierte dafür, auch die Ausbildung der KindergärtnerInnen und VolksschullehrerInnen in die tertiäre Ausbildung hineinzunehmen, und LehrerInnen nach strengeren Kriterien auszuwählen – ähnlich den skandinavischen Ländern, wo der Lehrberuf zu den drei angesehensten Berufen für UniversitätsabsolventInnen zähle.
"Die Universitäten müssen im Bereich LehrerInnenbildung die Leadfunktion haben", so Salcher. Den Universitäten sei es gelungen, sich dem parteipolitischen Zugang zu entziehen. Auch die Pädagogischen Hochschulen bräuchten mehr Autonomie, damit sich die Kulturen "Universität" und "Pädagogische Hochschule" einander annähern könnten.
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Nach ihm kam Zentrumsleiter Lutz-Helmut Schön zu Wort: "Der Lehrer ist der größte Prädiktor für Lernerfolg", so der Professor für Didaktik der Naturwissenschaften. Ziel des Zentrums für LehrerInnenbildung (ZLB) sei es, die Fachdidaktikforschung an der Universität Wien zu bündeln und in enge Kooperationen mit der Bildungswissenschaft zu bringen.
"Der Religionsdidaktiker kann vom Physikdidaktiker lernen und umgekehrt", so Schön. Ein Ziel des Zentrums sei es auch, den Austausch zwischen den Fachdidaktiken und Fachkulturen zu fördern. LehrerInnen sollen über die Fächer und Schulstufen hinweg voneinander wissen und lernen.
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Sichtlich gespannt verfolgten die zahlreichen Anwesenden die interessanten Ausführungen der DiskussionsteilnehmerInnen am Podium. Mit im Publikum: Bildungspsychologin Christiane Spiel neben Arthur Mettinger, dem ehemaligen Vizerektor für Lehre und Internationales der Universität Wien (Bildmitte) – sowie in der ersten Reihe Eva Vetter, stv. Leiterin des Zentrums für LehrerInnenbildung (3.v.l.).
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Was macht einen guten Lehrer, eine gute Lehrerin aus? "Ein Lehrer soll sein fachliches Wissen vergessen bzw. Abstand dazu gewinnen, sich in einen Nichtwissenden hineinversetzen und seine Probleme erkennen können", nennt Lutz-Helmut Schön die Kriterien qualitätsvollen Unterrichts: "Wir möchten den/die LehrerIn zu einer fachkompetenten und authentischen Persönlichkeit heranbilden."
"Ein guter Lehrer erkennt, unterstützt und fördert die natürliche Neugierde eines Schülers", so Andreas Salcher. Der Lehrer müsse eine soziale Bezugsperson sein sowie Begeisterung und Leidenschaft für sein Fach empfinden und an die SchülerInnen weitergeben.
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"Es gilt, das ExpertInnen-Bewusstsein der Lehrer und Lehrerinnen zu stärken. Sie fällen Sachurteile und beeinflussen menschliche Laufbahnen und sollen sich selbst als Profis sehen", so Ulrike Greiner. Rektor Heinz W. Engl will aber auch eine höhere Reputation für die LehrerInnen: "Ziel des Zentrums für LehrerInnenbildung ist es auch, das Ansehen des Lehrerberufs zu heben."
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Besprochen wurde weiters das Thema Eignungsfeststellungen für künftige LehrerInnen. Sektionsleiter Pichl spricht sich dafür aus, die Lehrerpersönlichkeit bereits in einer frühen Phase zu testen. Laut Rektor Engl habe sich die Studieneingangs- und Orientierungsphase (STEOP) im Auswahlprozess bewährt. Lutz-Helmut Schön hat die Erfahrung gemacht, dass sich in den ersten Semestern nur schwer voraussagen lasse, ob jemand ein guter Lehrer/eine gute Lehrerin werde oder nicht. Wichtig sei jedoch, die Studierendenpersönlichkeiten im Blick zu behalten: "Beispielsweise wären manche besser für die Fachwissenschaft geeignet als für den Lehrberuf, und dafür sollte der Lehrerbildner ein Auge haben."
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Zur Sprache kamen auch Modelle wie etwa "Teach for Austria": Hochkarätige WissenschafterInnen lehren nach einer Didaktik-Einführung für zwei Jahre an herausfordernden Schulen. Dann könne man ja einfach ausgezeichnete ForscherInnen in einen zweimonatigen Didaktik-Crashkurs stecken und hätte lauter exzellente Lehrer, wirft Philosoph Konrad Liessmann ironisch aus dem Publikum ein.
Ein guter Lehrer müsse breit ausgebildet sein und könne sich nicht wie ein Fachwissenschafter in eine Disziplin vertiefen, so Zentrumsleiter Schön in diesem Zusammenhang: "Es muss ein stärkeres Bewusstsein geben, dass diese breite Ausbildung ein eigener Wert ist." Auch dafür solle das ZLB stehen: "Wir wollen eine Art 'Professionsheimat' sein: Hier bin ich als Lehrerpersönlichkeit anerkannt."
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Ein weiterer Diskussionspunkt an diesem spannenden Abend war das Thema "Weiterbildung". LehrerInnenbildung dürfe nicht mit der Lehramtsprüfung enden, so eine Stimme aus dem Publikum: Man möchte sich ja auch nicht in die Hände eines Chirurgen begeben, der nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung ist und keinen internationalen Austausch mit FachkollegInnen pflegt. Lutz-Helmut Schön nennt Möglichkeiten, LehrerInnen stärker an die Universität zu binden, etwa durch gemeinsame Forschungsprojekte, Kollegs aus FachdidaktikerInnen und LehrerInnen oder Dissertationen an der Schnittstelle Universität/Schule.
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Harald Rindler, Dekan der Fakultät für Mathematik, gibt aus eigener Erfahrung u.a. zu bedenken, dass nicht alle Schulen bereit sind, an solchen gemeinsamen Projekten teilzunehmen. Initiativen von Seiten der Fakultät für Mathematik gäbe es genug.
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In der Abschlussrunde ging es noch einmal um die Frage, worin der Bildungsauftrag der Schulen liege. Es sei Aufgabe der Schulen, diese Frage gemeinsam zu beantworten, so Rektorin Greiner. Laut Andreas Salcher liegt der Bildungsauftrag der Schulen darin, "den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen, soziale Kompetenzen und Freude am Lernen, Freude an Anstrengung zu vermitteln."
Lutz-Helmut Schön meint, es sei wesentlich, die Kulturleistung vergangener Generationen zu vermitteln. Allgemeines Ziel sei es, den SchülerInnen ein selbstbestimmtes Leben und Wege zur Zufriedenheit zu ermöglichen. Rektor Engl nennt dazu abschließend als Beispiel den Mathematik-Unterricht: Es geht nicht darum, die zukünftigen MathematikerInnen zu unterrichten, sondern allen SchülerInnen ein grundsätzliches Verständnis dafür mitzugeben, in welchen vielfältigen Bereichen Mathematik eine Rolle spielt: vom Computer bis zum Smartphone.
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Beim Buffet im Senatssaal wurde bei Wein und Brötchen angeregt weiterdiskutiert. Die nächste Veranstaltung der Reihe "Universität Wien im Gespräch" findet am Montag, 3. Juni 2013, zum Thema Berufsbilder statt. (Text: uni:view; Fotos: Sophie Brodicky/Universität Wien).
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- Pädagogische Hochschule Oberösterreich
- Website von Andreas Salcher
- Tageszeitung "Kurier"