Sammlungen: Vom Stierkopf zum sexistischen Stroh
| 23. März 2012Gelehrte Objekte: Am Dienstag, 27. März 2012, präsentiert die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät ihre umfangreichen Sammlungen. Im Dachsaal der Wiener Urania gewähren VertreterInnen der verschiedenen Institute Einsichten in die Vielfalt der historischen Zeugnisse.
"Ergraben – Erworben – Geschenkt": Nach einem einleitenden Referat von Marianne Klemun, Vizedekanin der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, zum Thema Sammeln und Wissen, gibt Irene Kaplan vom Institut für Ägyptologie Einblicke in die Sammlung ihres Instituts: über 1.500 Objekte kamen u.a. durch Schenkungen, Ankäufe und Nachlässe zustande. Ein Großteil der historischen Objekte wurde von Institutsgründer Hermann Junker in Ägypten gefunden und dem Institut vermacht. (Im Bild: Uschebtis aus Fayence, Foto: Claudia Feigl)
Unter den Funden Junkers befindet sich auch eine Gruppe von Scheingefäßen: Sie wurden als magischer Ersatz realer – mit wertvollen Produkten wie Salben, Duftstoffen, Ölen gefüllter – Gefäße dem Toten in die Grabkammer gelegt. Dem Verstorbenen standen die damit ersetzten Güter im Jenseits unbegrenzt zur Verfügung. Da diese aus Stein, Ton oder Holz gefertigten Miniaturgefäße nichts enthielten und keinen großen materiellen Wert besaßen, wurden sie von Grabräubern glücklicherweise meist ignoriert. (Im Bild ein Alabasterscheinkrug aus Gizeh, ca. 2620 bis 2320 v. Chr., Foto: Claudia Feigl)
"Lehren – Lernen – Forschen": Unter diesem Motto stellen Violetta Reiter und Alois Stuppner vom Institut für Ur- und Frühgeschichte die Studiensammlung ihres Instituts vor. Die Sammlung geht auf den im Jahre 1900 eingerichteten "Prähistorischen Lehrapparat" – zum Großteil aus Dubletten und Gipsabdrücken bestehend – zurück. 1912 kaufte das Unterrichtsministerium die 24.000 Objekte umfassende Privatsammlung des Urgeschichtsforschers Matthäus Much an und legte diese drei Jahre später mit dem Prähistorischen Lehrapparat zusammen. Heute besteht die Sammlung aus rund 50.000 Fundstücken, die schrittweise digital erfasst werden. (Foto: Claudia Feigl)
Ein Highlight der Sammlung ist das Stierkopfgefäß von Rabensburg (800-500 v. Chr.). Das 30 Zentimeter hohe Keramikgefäß wurde zwischen 1875 und 1878 von Matthäus Much aus einem eisenzeitlichen Grabhügel geborgen. (Foto: G. Gattinger, B. Schier)
"Allerheiligenstriezel & Co" lautet der Titel des Vortrags von Herbert Nikitsch vom Institut für Europäische Ethnologie, der einige historische Sachzeugnisse seines Instituts vorstellen wird – u.a. einen Allerheiligenstriezel aus Stroh: Er galt als Beleg für den, bis in die frühen 60er Jahre verbreiteten, "Rügebrauch" im nördlichen Weinviertel. "Allerheiligenstriezel" aus Stroh fanden sich demnach z.B. vor den Häusern missbilligter Personen. Seit 1980 wird der Allerheiligenstriezel als "sexistisches Zeugnis" gewertet.
"Vom Gipsabdruck zum Digitalbild": Im letzten Vortrag wird Verena Widorn vom Institut für Kunstgeschichte über "visuelle Hilfsmittel in der Kunstgeschichte damals und heute" referieren. Beispielhaft für die Veränderungen, die Kunstwerke im Laufe der Zeit erfahren können, ist die Lehmfigur einer weiblichen Gottheit namens Prajnāpāramitā aus einem buddhistischen Tempel im indischen Bergdorf Nako (im Bild): An der Wand fixiert hat sie fast 800 Jahre in gutem Zustand überdauert, bevor sie durch einen Wassereinbruch 1998 teilweise zerstört wurde. (Im Bild: Zustand vor dem Wassereinbruch. Foto: C. Luczanits 1993, WHAV)
Wiener WissenschafterInnen haben den Zustand der Skulptur, ihre Zerstörung, Veränderung und Restaurierung über zwei Jahrzehnte hindurch dokumentiert und im "Western Himalaya Archive Vienna" archiviert. Die visuelle Dokumentation dient der kunsthistorischen Forschung einerseits als primäres Hilfsmittel und andrerseits – wie in diesem Fall – als Grundlage für die Konservierung und Rekonstruktion. Durch die Restaurierung erfahren die WissenschafterInnen wiederum viel über Technik, Aufbau und Polychromie der Lehmskulptur (im Bild: Prajñāpāramitā im Lo tsa ba lHa khang in Nako, Himachal Pradesh. Links: Zustand nach dem Wassereinbruch, Foto: D. Klimburg-Salter 1999, WHAV. Rechts: Restaurierungsarbeiten, Foto: P. Müller 2005, WHAV). (ps)
Die Veranstaltung wird durch Erhard Chvojka, Direktor der VHS Wiener Urania, und den Dekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Michael Viktor Schwarz, eröffnet. Durch den Abend führen Erhard Chvojka und Brigitte Neichl von der VHS Wiener Urania. Nach den Vorträgen erwartet die Gäste ein Buffet.
Gelehrte Objekte. Aus den kulturhistorischen Sammlungen der Universität Wien: Präsentationstag der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
Dienstag, 27. März 2012, 17 bis 21 Uhr
Dachsaal der VHS Wiener Urania
Uraniastraße 1, 1010 Wien
Programm
Eintritt: 6 Euro, mit UMP-Card 5 Euro