Frauenjubel im Arkadenhof
Redaktion (uni:view) | 11. Juni 2015Am 10. Juni 2015 wurde anlässlich des 650-Jahre-Jubiläums der Universität Wien diskutiert, kritisch reflektiert und gefeiert. Ein Sprechchor trug den eigens dazu konzipierten Text "Schlüsselgewalt" der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek vor – eine Gratulation der anderen Art. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Vienna Insurance Group.

"Schlüsselgewalt" im Choral: Um die 80 Frauen formen einen Sprechchor und verlesen einen Text von Elfriede Jelinek, der sich u.a. mit der Tatsache auseinandersetzt, dass Frauen erst vor 118 Jahren Zugang zur Universität Wien hatten.

In seiner Eröffnungsrede betont Rektor Heinz W. Engl die Wichtigkeit des Programmschwerpunktes "Geschlechtergerechtigkeit", der die 650-Jahr-Feierlichkeiten kritisch begleitet: "Die Universität Wien konnte in den vergangenen Jahren viel erreichen, um Frauen- und Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft Realität werden zu lassen. So ist beispielsweise der Frauenanteil unter den ProfessorInnen weiterhin gestiegen und beträgt nun 26 Prozent. Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen ist noch viel zu tun", so Engl.

Der Rektor nimmt die Männerbüsten im Arkadenhof zum Anlass, um die Geschlechterschieflage zu thematisieren. Er weist u.a. auf einen künstlerischen Wettbewerb hin, der sich der bildlichen Darstellung von Wissenschafterinnen im Arkadenhof annimmt: "Ein erster, aber symbolisch wichtiger Schritt", sagt er.

Gabriella Hauch ist Professorin am Institut für Geschichte und leitet die AG UniFrauenJubel, welche den Sprechchor ins Leben rief. Anlass waren die Köpfe der Nobelpreisträger, die prominent in der Aula des Hauptgebäudes thronen: "Die Universität Wien hat aber auch eine Nobelpreisträgerin: Elfriede Jelinek!", betont Hauch: "Jelinek beschreibt in ihrem Text den langen Ausschluss von Frauen und thematisiert ihre Nicht-Präsenz im Raum der Wissenschaft – und damit auch an der Universität Wien."

"Die Wissenschaft, die Universität, ist das Fremde, in das viele eingelassen werden, das viele für sich nutzen wollen. Doch sie läßt sich nicht auf jeden ein. Nicht ganz so viele sind berufen, noch weniger sind auserwählt", so heißt es in Elfriede Jelineks unbequemem Text "Schlüsselgewalt".

Ein 80-köpfiger Frauenchor spricht die gewaltigen Textzeilen der kontrovers diskutierten Dichterin nach und lässt eine beeindruckende Performance entstehen.

"Ich habe abgebrochen, weil mir das Stück vom Kuchen zu groß war und der Ausschnitt zu klein", ruft die "verkrachte Studentin" und einzige Solostimme des Stückes, gespielt von Schauspielerin Barbara Horvarth.

Renée Schröder, Leiterin des Departments für Biochemie und Zellbiologie, thematisiert die nachhaltigen Folgen des Frauenausschlusses und fragt nach "Verantwortung ohne Sichtbarkeit?". Mit der "Brille der Evolution" erklärt sie, dass sich das Erfolgreiche zwar durchsetze, aber nicht immer richtig sei. Es sei nun unsere Aufgabe, die Sichtbarkeit von Frauen zu stärken, damit Leistung gesehen werde, denn: "Wegschauen ist keine Alternative."

"Welches Jubiläum feiern wir?", fragt Gabriella Hauch in ihrem Vortrag. Die Universität Wien muss auch unsere Universität sein. Ein sozialer Raum, in dem Frauen Handlungsspielräume haben, in dem Geschlechtergerechtigkeit praktiziert und Frauen- und Geschlechtergerechtigkeit institutionalisiert gelehrt wird – bleiben wir also realistisch und fordern das Unmögliche“, so Hauch.

"Es gibt kein 'originär weiblich', keine unterschiedlichen Fähigkeiten und Präferenzen, die sich biologisch festmachen ließen", räumt die Biologin und feministische Wissenschaftsforscherin Siegrid Schmitz von der AG UniFrauenJubel mit klischeehaften Vorstellungen auf. Sie fordert verstärkte Anerkennung der Genderforschung: "Wir müssen uns der Mechanismen bewusst sein, die die Gleichstellung verhindert haben und heute noch behindern."

Sprachwissenschafterin Ruth Wodak und Mitwirkende in der AG UniFrauenJubel konnte bei der Veranstaltung aus gesundheitlichen Gründen leider nicht dabei sein, ihr Vortrag zur Frage "Was jetzt?" wird stellvertretend von Gabriella Hauch verlesen.

"Ich freue mich auf einen kontroversen Text, denn wir scheuen uns nicht vor der Auseinandersetzung", betont Rektor Engl in seiner Eröffnungsrede. In einer anschließenden Diskussionsrunde steht er Studierenden und MitarbeiterInnen Rede und Antwort, u.a. zur Nachbesetzung der Professur für Gender Studies und der Anerkennung der Arbeit von Lektorinnen an der Universität Wien.

"Ich finde, dass Frauen immer noch nicht den Platz an der Universität Wien haben, der ihnen gebührt. Es wird aber so getan, als ob alles in Ordnung wäre", sagt Gerda Brandl, ehemalige Studentin der Universität Wien. Die Teilnahme am Sprechchor ist für sie auch eine Rückkoppelung an ihre kämpferische Vergangenheit zu Studienzeiten.

36 Minuten und so viel zu erzählen: Anlässlich des Frauenjubels im Arkadenhof ist der Film "Frauen/Fragmente. Wissenschafterinnen Gestern_Heute_Morgen" auf den Screens der Universität Wien mit Untertiteln zu sehen.

"Ich habe Elfriede Jelinek gelesen und gedacht, das ist klasse, da muss ich hin!", erklärt Marie, Studentin der Rechtswissenschaften, ihre Motivation, am Sprechchor mitzuwirken.

"Ich wünsche mir mehr kämpferische Studierende. Ich bin sehr dafür, Bewegungen von unten aufzubauen. So wichtig ich die Forderungen nach Professuren und Verlängerungen von Professuren finde, denke ich, es muss sich stärker von unten nach oben aufbauen", sagt Hanna Hacker (li.) vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie. "Ich wünsche mir, dass die Universität mehr schätzt und würdigt, was die, die den Lehrbetrieb machen und tragen, für sie leisten und zu geben bereit sind", ergänzt Daniela Beuren.

Die AG UniFrauenJubel nach einem erfolgreichen Abend: Sigrid Schmitz, Renée Schroeder und Gabriella Hauch (v.l.n.r.). Der Dank gilt auch den weiteren OrganisatorInnen Nikolaus Benke, Elisabeth Holzleithner, Maria Mesner, Birgit Sauer, Ruth Wodak, Kathrin Lasthofer und Mischa Messer.

Vor der eigentlichen Performance üben die Frauen ihren Choral – und der ORF filmt.

Im Arkadenhof ging es mit Rhythmen des Samba Collectives, Diskussionen und Unterhaltungen am Buffet weiter – nachfolgend einige Impressionen der Veranstaltung ... (Fotos: derKnopfdruecker.com/ Text: Hanna Möller)





Downloads:
JelinekPublikation.pdf
Dateigröße: 1,22 MB
Gabriella_Hauch_Welches_Jubilaeum_feiern_wir.pdf
Dateigröße: 275,61 KB
Sigrid_Schmitz_Was_brauchen_wir.pdf
Dateigröße: 289,94 KB
Renee_Schroeder_Verantwortung_ohne_Sichtbarkeit.pdf
Dateigröße: 283,22 KB
Ruth_Wodak_Und_was_jetzt.pdf
Dateigröße: 276,01 KB