Exkursionsbericht: Was Vorarlberg bewegt
Studierende des Instituts für Geographie und Regionalforschung | 03. August 2016Im Rahmen einer dreitägigen Exkursion unter der Leitung von Thomas Glade untersuchte eine Gruppe von GeographiestudentInnen der Universität Wien verschiedene Arten von gravitativen Massenbewegungen in unterschiedlichen Gebieten Vorarlbergs. Für uni:view berichten sie in Wort und Bild über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse.

Tag 1: Nach dem Besuch des Nenzinger Himmels gehen wir zurück ins Tal und queren einen Wildbach. Hier besprechen wir zum einen den Verlauf des Wildbaches und zum anderen die Folgen einer Materialmobilisierung, ausgelöst durch starke Niederschläge. Wie man im Bild erkennen kann, werden im Bachbett sehr kleine Steine, aber auch große Felsblöcke bewegt und abgelagert. Dafür ist besonders viel Energie in Form von Wasserkraft nötig. Die seitlichen Schichtungen sind Ablagerungen mehrerer früherer Einzelereignisse, in die sich aktuelle Wildbachereignisse eingeschnitten haben.

Dieser Wald ist ein wichtiger Schutz vor Steinschlägen und kleinen Muren. Herabstürzende Felsen werden teilweise von Bäumen an der Weiterbewegung gehindert und können so in darunterliegenden Gebieten keine weiteren Schäden anrichten. Bei den kleineren Muren werden die Bäume je nach Größe der transportierten Gerölle und Dicke der Baumstämme entweder zur Gänze abgeschlagen oder zumindest hangabwärts gedrückt. Letztere wachsen folglich in säbel- oder sichelförmiger Wuchsform weiter, da Bäume immer zum lootrechten Wuchs in Richtung Sonne neigen.

Die Jahresringe weisen auf ein unregelmäßiges Wachstum hin, das auf mechanischen Stress in Form von gravitativen Massenbewegungen schließen lässt. Dies führt zur Bildung von Reaktionsholz, erkennbar an den verdickten Jahresringen auf dem rechten Teil des Baumschnitts. Die Jahreringe erkennen wir an den Lignineinlagerungen, die zwar nicht mit freiem Auge sichtbar sind, auf die jedoch ein rötlicher verdickter Rand auf dem Querschnitt hinweist. Anhand dendrogeomorphologischer Untersuchungen können vergangene Ereignisse zeitlich rekonstruiert werden.

Uns fällt ein Hangbereich auf, wo der ansonsten flächige Wald durch eine Wiese unterbrochen ist. Sie ist nicht durch Menschenhand, sondern durch Schneelawinen entstanden, die die Bäume mitgerissen hat. Der Schnee häufte sich in einem Hangsegment nahe des Gipfels und nach der Loslösung der Lawine stellte der frühere Baumbestand kein Hinderniss mehr dar. Den Zeitpunkt der Lawine können wir anhand der, im Verhältnis zum Rest des Waldbestandes, kleinen Bäume abschätzen.

Nach einer Mittagspause im Regen ist unser nächstes Ziel der Lünersee auf ungefähr 2000 Metern Seehöhe. Am Weg zur Gondel kommen wir an einem riesigen Schuttkegel vorbei. Aufgrund der zum Teil fehlenden Vegetationsdecke und der grauen Farbe, die auf frisch freigelegten Schutt hinweist, erkennen wir, dass dieser hochaktiv ist. Durch Verwitterungsprozesse stürzt nach wie vor Material vom angrenzenden Fels hinunter und lagert sich in Kegelform ab. Bei starken Niederschlägen kommt es auf dem Schuttkegel auch vereinzelt zu Muren.

Der letzte Standort des ersten erfolgreichen Exkursionstages führt uns auf den höchsten Punkt der gesamten Exkursion, den Lünersee. Rund um den Lünersee beobachten wir zahlreiche parallel laufende, formbildende Massenbewegungsprozesse, die sowohl gekoppelt, d.h. sich gegenseitig beeinflussend, als auch entkoppelt, sprich einzeln und individuell für sich, zu beobachten sind. Die charakteristische türkise Farbe des Sees ist auf die Feinsedimente im Gletscherabfluss zurückzuführen, der sogenannten Gletschermilch. Das Wasser des Lünersees wird für die Energiegewinnung genutzt, wobei das Feinmaterial für die Turbinen sehr problematisch ist, da die Turbinenräder durch die Feinsedimente einem erhöhtem Verschleis ausgesetzt sind.

Tag 2: Nachdem wir die erste Nacht in unserem Quartier in Furx verbracht haben, besprechen wir die Route des zweiten Tages. Der Weg führt uns zu drei Standorten, an denen wir verschiedene Typen gravitativer Massenbewegungen erörtern werden. Anhand der konkreten Beispiele im Feld werden an den verschiedenen Standorten methodische Themen, wie Kartierung, Modellierungen und Monitoring von Rutschungen, zur Sprache kommen.

Der erste Standort ist das Furkajoch auf 1760 Metern, das uns einen eindrucksvollen Ausblick in das Laternsertal, ein Seitental des Rheintals, bietet. Aus geologischer Sicht befindet sich das Laternsertal in der Rheno-Danubischen Flyschzone, die sich durch wechselnde Schichten von Sandstein, Mergel und weiteren Feinsedimenten auszeichnet. Typisch für dieses Gebiet ist eine hohe Aktivität von gravitativen Massenbewegungen: So sind auf dem Bild Verlagerungen von Rutschungsmassen in Richtung der Karsohle zu sehen. Die steilen Frontbereiche sind mit Buschwerk und Bäumen bewachsen, erkennbar an der dunklen Farbe.

Mitte des 19. Jhdt. war das Laternsertal – wie die meisten Täler in den Alpen – aufgrund großflächiger Abholzung fast vollständig waldfrei. Heute sind wieder etwa drei Viertel der Talfläche durch anthropogene Aufforstung oder Sukzession bewaldet. Der alpenweite Trend der zunehmenden Bewaldung findet auch hier statt. Im Kontext gravitativer Massenbewegungen wirkt Wald stabilisierend – tendenziell wenn es sich um kleinere, oberflächennahe Rutschungen handelt – kann aber auch in Bezug auf größere Rutschungen destabilisierend wirken.

Für die Erstellung eines Rutschungsinventars werden verschiedenste Datengrundlagen wie digitale Geländemodelle, Orthofotos und Archivdaten in bestmöglicher räumlicher und zeitlicher Auflösung verwendet. Auch die Befragung der lokalen Bevölkerung trägt zur Verbesserung eines Rutschungsinventars bei, wobei nie alle tatsächlich vorhandenen Rutschungen erfasst werden können. Verbesserungen in der Datengrundlage, wie höhere Auflösung von digitalen Geländemodellen, erleichtern das Kartieren von Rutschungen. Trotz allem ist eine Feldbegehung für die Erstellung eines guten Rutschungsinventars unerlässlich, erläutert der Exkursionsleiter Schmaltz (Bild).

Mit dem Rückzug der Gletscher der letzten großen Eiszeit vor rund 20.000 bis 10.000 Jahren haben sich in den freiwerdenden Hängen der Alpen Permafrost, d.h. dauergefrorener Boden und Fels, ausgebildet. Die langsame, aber kontinuierliche Erwärmung führte zu einem Abschmelzen des Permafrosts, was vor 6.000 bis 7.000 Jahren zu zahlreichen Bergstürzen im gesamten Alpenraum führte. Im Bild ist eine unruhige Geländeform erkennbar, die quer im Tal liegt und die Ablagerung eines großen Bergsturzes zeigt. Durch die enormen Geschwindigkeiten der Bewegung brandet die Sturzmasse am Gegenhang auf, wobei es durch die dabei entstehenden hohen Temperaturen an der Basis sogar zur Bildung von Glas kommen kann.

Die Heumöser Rutschung ist ein gutes Beispiel für eine Massenbewegung, bei der viel Material transportiert wird. Sie hat den darunter liegenden Flusslauf verdrängt, was den gegenüberligenden Hang (auf dem Bild erkennbar) durch fluviale Hangunterschneidung beeinflusst. Diese Erosionsprozesse lösen diverse Rutschungen im gegenüberliegenden Gebiet aus, die durch den Abfluss weiter vertieft werden. Man kann demnach von einer klassischen Verkettung und Konnektivität der Prozesse sprechen.

Die Beschäftigung mit Hangrutschungsdynamiken hat neben dem wissenschaftlichen Aspekt vor allem auch gesellschaftliche Relevanz. Gravitative Massenbewegungen können für die ansässige Bevölkerung und Infrastruktur ein großes Gefahrenpotential darstellen. Die Häuser, die auf dem Foto zu sehen sind, stehen vermutlich auf der wenig aktiven Heumöser Rutschung. Bebauung auf aktiven Rutschungen ist per se nicht zu kritisieren. Dabei sollte man jedoch dem dynamischen Untergrund durch geotechnische- und Bauingenieursmaßnahmen, wie flexible Leitungen und stabile Fundamente, begegnen.

Tag 3: Am letzten Tag der Exkursion besuchen wir eine große gravitative Massenbewegung in der Gemeinde Doren, die seit 1847 regelmäßig aktiv ist. Die Ausdehnung beträgt etwa 200 m in der Breite und 800 m in der Länge. Zur genaueren Bestimmung erörtern wir zunächst die Prozesstypen von gravitativen Massenbewegungen und ordnen jene in Doren als Rotationsrutschung ein. Diese zeichnet sich durch eine konkave Gleitfläche aus, wie auf dem Bild an der nach Süden einfallenden Schichtung des Substrats gut zu erkennen ist. Ein weiteres Indiz für eine Rotationsrutschung sind die zwei in der Rutschmasse vorhandenen Schollen.

Geologisch gesehen befinden wir uns in der aufgefalteten südlichen Molassezone, speziell in den Weißach-Schichten. Diese wurden als Sedimentablagerung im Molassemeer (Paratethys) gebildet und während bzw. nach Rückzug des Meeres durch die alpidische Gebirgsbildung aufgefaltet. Sie setzen sich mehrheitlich aus Mergeln, Tonsteinen und Sandsteinen zusammen. Diese Schichtung und Auffaltung ist auf diesem Foto sehr gut zu erkennen.

Die Rotationsrutschung in Doren besitzt hinsichtlich der sich im Anrissbereich befindlichen Infrastruktur ein gewisses Gefährdungspotenzial. Gerade dieser Bereich verlagert sich sehr stark zurück. Es findet eine langsame, ständige Bewegung mit durchschnittlich 10 cm alle zwei bis drei Monate statt. Durch starke Niederschläge und den dadurch bedingten Anstieg des Grundwasserspiegels (Fluktuationen bis zu 10 m in 30 Minuten!) kommt es zusätzlich zu regelmäßigen größeren Bewegungsschüben. Seit 2007 hat die Aktivität der Rutschung erneut zugenommen.

Aufgrund der Gefährdung werden an der Hangrutschung Doren unterschiedliche Methoden zur Hangstabilisierung getestet, wie zum Beispiel Vernagelungen, Drainagen, Netze, Bepflanzung und Holzverbauungen (siehe Bild). Zusätzlich wird die Rutschung regelmäßig durch die Wildbach- und Lawinenverbauung sowie die LandesgeologInnen in Vorarlberg überwacht. Während unserer Besichtigung haben wir das Glück, den Landesgeologen Walter Bauer zu treffen, der uns freundlicherweise zahlreiche interessante Zusatzinformationen über die gravitative Massenbewegung liefert.

Zusätzlich zum bereits erwähnten Molassematerial (flächenhafte braune Farbe) befindet sich im obersten Bereich Moränenmaterial. Ein weiterer Bestandteil des komplexen Gefüges ist eine helle Mergelschicht, die den Hang durchzieht und auf diesem Bild gut sichtbar ist. Durch Starkniederschläge und Schneeschmelze nimmt der Hangdruck zu, wodurch es im Anrissbereich zu Kipp- und Fallprozessen des Sedimentgesteins kommt. Diese Prozesse werden unter anderem durch chemische Verwitterung und stark quellende Tone begünstigt.

Durch das Abschreiten der Rutschmasse bekommen wir nicht nur einen Eindruck der Ausmaße dieser Rutschung, sondern auch ein besseres Verständnis für die unterschiedlichsten Prozesse und deren Kopplungen. Im unteren Bereich der Rutschung sehen wir, dass die Rutschmasse die Flussmorphologie des unterliegenden Flusses "Weißach" veränderte – und immer noch stark beeinflusst. Dadurch kommt es momentan am Gegenhang zu einer Unterschneidung und somit zu einer Ausbildung weiterer gravitativer Massenbewegungen.

Der letzte Standort unserer Exkursion führt uns auf den Pfänder, der ebenfalls Teil der aufgefalteten Molasse ist und sich bei Bregenz befindet. Die prominente Hangrutschung dort vergegenwärtigen wir uns anhand eines Schummerungsbildes des Digitalen Geländemodells (DGM) von 2011 (eine Schummerung ist eine Flächentönung, die einen räumlichen Eindruck der relativen Höhenunterschiede des Geländes gibt). Dabei besprechen wir die Vor- und Nachteile solcher Geländemodelle und fassen abschließend die Inhalte der vergangenen drei Tage zusammen – was mit einem herrlichen Ausblick auf den Bodensee belohnt wird.
Die "Physiogeographische Exkursion - Inland: Gravitative Massenbewegungen in Vorarlberg" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Geogr. Dr. Thomas Glade und Elmar Schmaltz, BSc MSc vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien fand von 21.07. bis 24.07.2016 statt.