Wer lehrt, hat auch einmal studiert (Teil 16)
| 22. Juli 2016Mathematiker Franz Embacher wurde jüngst mit dem Staatspreis Ars docendi in der Kategorie "Digitale Lehr- und Lernelemente in Verbindung mit traditionellen Vermittlungsformen" ausgezeichnet. In uni:view erzählt er, was er selbst als Student erlebte.
uni:view: Erinnern Sie sich zurück: Was haben Sie damals an Ihrem ersten Tag auf der Universität (Studium Physik und Mathematik) erlebt?
Franz Embacher: Mein "erster Tag" auf der Universität Wien war ein Tag der Erkundung von Studienmöglichkeiten bei der studentischen Inskriptionsberatung (deren Ergebnis war, dass einige theoretisch denkbare Studienkombinationen als unattraktiv ausschieden), ein Tag des Schlangestehens und der Anmeldung bei der "Evidenzstelle".
Am ersten Tag meines eigentlichen Studiums gab's gleich zwei Mathematikvorlesungen. Danach, noch ein bisschen verwirrt von der damaligen Vortragsweise – die linke Hand des Professors kurbelte die Overheadfolie weiter, während seine rechte Hand im Eiltempo versuchte, das Nötige hinzuschreiben, bevor es aus dem Blickfeld verschwand –, fand ich mich in einer Gruppe von fünf oder sechs KollegInnen, die beschloss, nunmehr zur Feier des Tages gemeinsam ein Kaffeehaus aufzusuchen. In der "Perle" (Ecke Währinger Straße/Sensengasse, ein mittels Kellergeschoß ideal auf die Bedürfnisse paukender Studierender ausgerichtetes Lokal, das es schon lange nicht mehr gibt) wurde dann sehr gescheit über Platons Höhlengleichnis diskutiert. Wie man ausgerechnet auf dieses Thema kam und was in den darauffolgenden Stunden passierte, ist meiner Erinnerung entschwunden. Relativ sicher ist aber, dass ich mich am Abend hinsetzte und das aus den Vorlesungen mitgebrachte Gekritzel in eine makellose Reinschrift verwandelte.
Franz Embacher im Alter von 26 Jahren gegen Ende seines Studiums. Auf der Gitarre spielte er vor allem Blues und Folkmusik. "Heute spiele ich nur mehr sehr selten, auch aus Zeitgründen. In der Zwischenzeit hab ich übrigens klassische Musik und Opern für mich entdeckt, was ich zwar nicht selbst ausübe, aber gern höre", so Embacher. (Foto: Privat)
uni:view: Welches Motto hat Sie während Ihres Studiums begleitet?
Embacher: Das ist im Nachhinein schwierig zu sagen, denn man möchte ja nachträgliche Idealisierungen vermeiden. Aber alles in allem denke ich, dass es eine Art Motto war, die Dinge, die ich machen wollte, auch ordentlich, konsequent und in einer der Sache angemessenen Tiefe zu tun. Womit ich nicht sagen will, dass mir das aus heutiger Sicht immer gut gelungen ist. Aber immerhin passt das mit der Tiefe gut damit zusammen, dass ich mich zu Studienzeiten in erster Linie als Theoretiker verstanden habe, weniger als Praktiker. Und, wenn ich ehrlich bin, ist es auch heute noch (vorwiegend) so.
uni:view: Was vermissen Sie am meisten an Ihrer Studienzeit?
Embacher: Als Student bin ich hemmungslos einem breiten Spektrum an Interessen und Tätigkeiten nachgegangen – als da wären, neben den eigentlichen Themen meines Studiums (und abgesehen von diversen allzu "privaten" Vergnügungen wie dem Musizieren), in Auszügen: Vorlesungen über Soziologie und Philosophie; Lesen über Psychologie, Geschichte (auch Geschichte meiner Fächer Physik und Mathematik), Biologie, Anthropologie, Ökonomie, Gesellschaftstheorie und -kritik; politisches Engagement als Studierendenvertreter, "Basisgruppler" und Flugblattschreiber sowie als Mitarbeiter bei einer Studierendenzeitung; Diskussionen und Spekulationen über vieles, das sich jetzt einer Auflistung entzieht, aber anlässlich eines geeigneten Themas plötzlich wieder zum Vorschein kommen kann.
Auch hinsichtlich meiner Interessen im Rahmen des Studiums, etwa in der Wahl von Lehrveranstaltungen, war ich relativ frei, mich auf das zu konzentrieren, was mir am attraktivsten erschien. Und das alles, ohne zuvor einen Antrag schreiben und danach (von Lehrveranstaltungsprüfungen einmal abgesehen) einen zusammenfassenden Bericht abgeben zu müssen. Diese Freiheit, sich jederzeit auf etwas Neues einlassen zu können, vermisse ich am meisten.
uni:view: Welche Tipps geben Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg?
Embacher: Meine Message an die Lehramts-Studierenden, die hoffentlich bei vielen ankam und ankommt, ist: Blickt über den Tellerrand des Schulstoffs, den ihr einmal unterrichten werdet, hinaus! Scheut euch nicht, euch (auch) auf schwierige und komplexe Themen eures Fachs einzulassen! Dann werdet ihr euren Unterricht kompetenter planen können, die Begeisterung für euer Fach besser weitergeben können, dort wo es nötig ist, kritischer sein können, neue Entwicklungen (sowohl im Fach als auch in der Fachdidaktik und der Pädagogik) leichter aufnehmen und umsetzen können und ihr werdet insgesamt mehr Sinn in eurem Beruf sehen und mehr Freude daran haben. (red)
Franz Embacher hat an der Universität Wien Physik und Mathematik studiert (Promotion 1981) und bearbeitete in den ersten zwei Jahrzehnten seiner wissenschaftlichen Karriere zahlreiche Themen der theoretischen Physik (Schwerpunkte: Allgemeine Relativitätstheorie, Kosmologie, Stringtheorie und Grundlagenfragen der Quantentheorie; Habilitation 1993). Seit Ende der 1990er-Jahre engagiert er sich inner- und außeruniversitär in den Bereichen naturwissenschaftliche und mathematische Bildung (Lehramtsausbildung, Erwachsenenbildung/Zweiter Bildungsweg, Nachhaltigkeit in der Lehre etc.), ist Mitbegründer und Autor der Mathematik-Plattform (www.mathe-online.at) und hat derzeit eine Stelle an der Fakultät für Mathematik der Universität Wien inne.