Mehrwert innovative Lehre

Gemeinsam mit Studierenden übersetzte der Philosoph Gerald Posselt das Buch "Contingency, Hegemony, Universality" der drei bedeutenden TheoretikerInnen Judith Butler, Ernesto Laclau und Slavoj Žižek erstmals ins Deutsche. Durchaus zur Freude von Butler, die Posselt aus seiner Zeit in Berkeley kennt.

uni:view: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie und Ihre Studierenden das Werk "Contingency, Hegemony, Universality" ins Deutsche übersetzt haben?
Gerald Posselt: Im Wintersemester 2010 habe ich ein Seminar zu diesem Buch veranstaltet und aus der gemeinsamen Lektüre ist die Idee entstanden, dieses für die politische Philosophie wichtige Werk ins Deutsche zu übersetzen. Da es sich dabei um theoretische Auseinandersetzungen von drei bedeutenden politischen DenkerInnen unserer Zeit handelt, empfanden wir es als ein Manko, dass das Buch noch nicht auf Deutsch verfügbar war – zumal es auf aktuelle Fragen und Probleme in einer zunehmend globalisierten Welt sehr differenziert Antwort zu geben versucht.

uni:view: Die Idee war also geboren – was haben die AutorInnen dazu gesagt?
Posselt: Sobald die Idee zur Übersetzung sich konkretisierte, habe ich mit allen drei AutorInnen Kontakt aufgenommen. Judith Butler kenne ich aus meiner Zeit in Berkeley gut und sie war gleich begeistert. Sie hat dann auch als Mittelsfrau zwischen Ernesto Laclau und Slavoj Žižek fungiert, die mittlerweile stark divergierende Ansätze und Theorien vertreten. Diese Differenzen zwischen Laclau und Žižek werden auch in dem Buch spürbar, was das Werk natürlich noch spannender macht.

uni:view: Mit welchen zentralen Fragen setzen sich die drei PhilosophInnen in dem Werk auseinander?
Posselt: Eine zentrale Frage betrifft die Möglichkeiten sozialer und politischer Veränderung. Wie ist linke Politik, wie sind soziale und politische Veränderungen möglich? Worin sich alle drei einig sind: Die klassischen politischen Akteure im Sinne eines einheitlichen politischen Subjekts, wie z.B. die Arbeiterklasse, gibt es heute nicht mehr. Damit stellt sich die Frage, wie und auf welche Weise politische Bewegungen sich formieren und handlungsfähig werden können. Man denke hier nur an den Arabischen Frühling, die Occupy-Bewegung oder die Gezi-Park-Proteste in Istanbul.

Dagegen gehen die Positionen der AutorInnen stark in der Frage auseinander, wie man politische Veränderungen herbeiführen kann. Während Žižek für einen radikalen Wandel plädiert, argumentieren Butler und Laclau, dass die Berücksichtigung partikularer Forderungen und Interessen ein zentraler Ausgangspunkt für alle demokratischen Projekte sein muss.


LESETIPP UND GEWINNSPIEL: Bereits verlost!

uni:view verlost drei Exemplare des Buchs "Kontingenz – Hegemonie – Universalität . Aktuelle Dialoge zur Linken" von Judith Butler, Ernesto Laclau, and Slavoj Žižek. Aus dem Englischen von Gerald Posselt, Sergej Seitz, Julian Eidenberger, Isabella Grandl, Christian Haddad, Georgios Kolias, Nikolaus Lehner, Maria Schörgenhumer, Christina Schraml und Max Zirngast.

Einfach eine E-Mail mit Namen und Betreff: "Kontingenz – Hegemonie – Universalität" an uniview.gewinnspiel(at)univie.ac.at senden. Aus allen Einsendungen werden am 16. Jänner 3 GewinnerInnen ausgelost und per E-Mail verständigt. Teilnahmebedingungen für Online-Gewinnspiele der Universität Wien



uni:view: Das klingt nach Dialogen und Streitgesprächen. Wie ist das Buch aufgebaut?
Posselt: Ja, das Buch ist in Form eines offenen Dialogs gestaltet: Ausgehend von einem gemeinsamen Fragenkatalog verfasst jede/r AutorIn einen ersten Beitrag, auf den dann alle in einer zweiten Runde antworten. Das wiederholt sich ein weiteres Mal, sodass am Ende von jeder/m drei Beiträge vorliegen. Das war für die Übersetzung natürlich eine große Herausforderung, da sich die AutorInnen permanent aufeinander beziehen und gegenseitig zitieren.
Zu lesen ist es dafür großartig. Was das Buch so extrem spannend macht, ist gerade sein diskursiver und performativer Charakter. Es wird nicht einfach über Theorie gestritten, sondern es wird tatsächlich Theorie vollzogen und auf die Bühne gebracht.

uni:view: Für die Studierenden war das Übersetzungsprojekt sicherlich auch eine spannende Erfahrung?
Posselt: Auf alle Fälle. Das Übersetzungsprojekt zeigt ja auch, was Lehre an der Universität Wien leisten und bewirken kann. Zum einen handelt es sich um forschungsgeleitete Lehre, zum anderen konnten die Studierenden dabei praktisches Wissen und wichtige Kompetenzen erwerben: von der ersten Rohübersetzung in Dreiergruppen über den aufwendigen gemeinsamen Korrekturprozess bis hin zum Lektorat und schließlich dem fertigen Werk. Alle sind als ÜbersetzerInnen im Buch angeführt – das hat einen enormen Mehrwert gegenüber einer normalen Seminararbeit, die ja in der Regel in der Schublade verschwindet.

uni:view: Diese Übersetzung ist nicht Ihr erstes Projekt im Rahmen innovativer Lehre. Seit über zwei Jahren organisieren Sie gemeinsam mit Matthias Flatscher die Vortrags- und Workshopreihe "Transformationen des Politischen". Worum geht es dabei?
Posselt: Wir laden regelmäßig, zwei bis drei Mal pro Semester, PhilosophInnen ein, die mit uns und den Studierenden eine ihrer aktuellen Publikationen diskutieren. Am Abend gibt es einen Vortrag der Gäste, und am nächsten Tag findet dann ein ganztägiger Workshop statt, in dem wir uns intensiv mit den Texten auseinandersetzen. Studierende, aber auch Prae- und Postdocs präsentieren dazu Impulsreferate. Im Mittelpunkt stehen immer die Texte der eingeladenen PhilosophInnen. Für die Studierenden bietet das eine ganz besondere Erfahrung, weil sie oft zum ersten Mal eine typische Konferenzsituation erleben und direkt mit den AutorInnen diskutieren können. Das hat sich für beide Seiten – GastwissenschafterInnen und Studierende – als sehr produktiv erwiesen.

uni:view: Zum Abschluss noch eine wichtige Frage: Sie sind sehr engagiert in der Lehre am Institut für Philosophie. Wie steht es um Ihre Forschung?
Posselt: Die Verschränkung von Forschung und Lehre ist für mich auch im Rahmen meiner halben Senior Lecturer Stelle ein wichtiges Anliegen. Als nächstes steht die Habilitation an, die sich thematisch mit dem komplexen Verhältnis von Sprache und Gewalt beschäftigt. Diese werde ich im Rahmen eines kürzlich bewilligten dreijährigen FWF-Projekts durchführen, das ebenfalls am Institut für Philosophie angesiedelt ist: Sprache ist ja nicht einfach nur ein Kommunikationsmittel, sondern hat darüber hinaus eine grundlegende ethische und politische Dimension. Sprache kann verletzen, aber auch sozial integrativ sein. Die zentrale These ist, dass sprachliche Gewalt keine abgeleitete Form einer physischen Gewalt darstellt, sondern als eine eigenständige Form der Gewalt aufgefasst werden muss, die uns als ein Schlüssel dienen kann für ein grundlegenderes Verständnis sowohl von Sprache als auch von Gewalt. (td)


Dr. Gerald Posselt, M.A. studierte 1991-1997 in Darmstadt und Freiburg. Nach seinem Abschluss ging er nach Berkeley: "Dort hat sich das Department of Rhetoric und der Kontakt zu Judith Butler als besonders wichtig herausgestellt – ein Kontakt, der bis heute gehalten hat." Im Anschluss besuchte Posselt ein Graduiertenkolleg in Frankfurt/Oder und schloss seine Dissertation 2002 in Freiburg ab. Danach zog es ihn für das Forschungsprojekt "Produktive Differenzen" nach Wien. Ab 2004 war er Universitätslektor am Institut für Philosophie, wo er seit 2010 als Senior Lecturer tätig ist.