Wolfram Manzenreiter: Sozialwissenschaftliche Japanforschung

Was haben Sport, Japan und das Glück miteinander gemeinsam? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Wolfram Manzenreiter, seit Mai 2013 Professor für Japanologie an der Universität Wien, bringt diese Bereiche in seiner Forschung zusammen.

"幸せとはいつもちょっと先にある。" – so lautet der japanische Lieblingsspruch von Wolfram Manzenreiter, der seit Mai 2013 Professor für Japanologie am Institut für Ostasienwissenschaften ist. Übersetzt bedeutet es so viel wie "Das Glück ist immer ein wenig vor dir." In seiner Forschung versucht der gebürtige Deutsche besagtes Glück zu ergründen: "Es hat mich schon immer interessiert, wie Glück, Affekte und Emotionen in verschiedenen Ländern bzw. Kulturen definiert sind – und als Japanologe interessiert mich natürlich ein Land besonders", so der Wissenschafter. In diesem Zusammenhang geht der 50-Jährige u.a. der Anthropologie des Glücksspiels nach, ein Schwerpunkt, der ihn bereits "sein ganzes Wissenschaftsleben lang begleitet". Konkret untersucht er auf kulturspezifischer Ebene z.B. Automatenglücksspiel und das Wetten auf Pferde- und Radrennbahnen in Japan.


Wolfram Manzenreiter bei einem Treffen mit Austauschstudierenden, die sich 2010 im Großraum Tokyo aufhielten


 
Wien – Japan


Seine wissenschaftliche Karriere startete der sympathische Forscher an der Universität Wien: Hier hat er nicht nur Japanologie studiert, sondern 1998 auch promoviert. Seit nunmehr eineinhalb Jahren ist er Professor für Japanologie an seiner Alma Mater. Das Japanologie-Studium habe sich in der Zeit stark verändert: "Zu meiner Studienzeit Anfang der 90er Jahre war eine Japanreise extrem teuer und fast unmöglich. Wenn ich heutzutage nach Japan fliege, treffe ich am Flughafen hingegen oft Studierende. Hier haben sich die Möglichkeiten im Zuge der technologischen und ökonomischen Globalisierung stark verändert."

Inzwischen hat die Universität Wien elf japanische Partneruniversitäten, so dass jährlich 25 Studierende der Universität Wien die Möglichkeit haben, Auslandssemester in Japan zu verbringen. "Dadurch hat sich auch die Qualität der Sprachausbildung deutlich verbessert", freut sich Wolfram Manzenreiter.

Japan in europäischen Kinderzimmern

Zahlreiche Japanologie-Studierende verfügen bereits vor ihrem Studium über ein bestimmtes, oft popkulturelles Spezialwissen über Japan. "Viele lernen japanische Comics, Zeichentrickserien, Popstars o.ä. bereits im Kindesalter kennen und entwickeln dadurch eine positive Beziehung zu dem Land", erklärt der Japanologe, der selbst u.a. 2010 als Gastprofessor an der Ritsumeikan University in Kyoto tätig war. Auch die Neuen Medien tragen zu einem tiefergehenden Verständnis des Landes und seiner Sprache bei: "Mit einem Klick können wir die aktuellsten Infos aus Japan online beziehen, über Social-Media-Kanäle oder per Skype unterhalten sich die Studierenden mit japanischen Freunden. Auch das wirkt sich positiv auf die Sprachkenntnisse aus."



 
Das Lieblingsschriftzeichen von Wolfram Manzenreiter ist jenes für die Zahl "eins": "Es ist simpel und hat einen klar definierten Anfang und Ende. Es ist, was es ist – nicht mehr, nicht weniger."



Sozialwissenschaftlicher Schwerpunkt

Wolfram Manzenreiter verfolgt in seiner Forschung einen sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt. "Dabei geht es um einen direkten Austausch mit dem Feld, mit dem Ziel, mehr über die japanische Gesellschaft herauszufinden. Diesen Schwerpunkt gibt es an anderen deutschsprachigen Universitäten eher selten. Die Universität Wien hingegen hat traditionell ein stark ausgeprägtes sozialwissenschaftliches Verständnis von Japanforschung", erläutert der Wissenschafter. In seiner Forschung geht er u.a. dem Prozess der Globalisierung von Kultur nach. Diesen zeigt er etwa am Beispiel von Sport als kulturelle Praxis bzw. soziale Institution auf.

Statistik und teilnehmende Beobachtungen

Mithilfe statistischer Analysen von Sportpräferenzen und Partizipationsraten machte er auf Verschiebungen im sportlichen Praxisfeld aufmerksam, die mit der Veränderung der Gesellschaft und neuen Sichtweisen auf Geschlechterverhältnisse und Lebensverläufe und Rechten korrelieren. In der teilnehmenden Beobachtung wurde klar, wie sich solche Trends zum Teil gegen den Widerstand und immer in Auseinandersetzung mit lokalen Traditionen und Rollenverständnissen haben durchsetzen können.

In Kletterhallen beobachtete Wolfram Manzenreiter die Tradierung heteronormativer Körper- und Rollenbilder unter den TeilnehmerInnen des globalisierten Lifestylesports; in den Fußballstadien, aber auch in den Büros von Klubmanagement und Lokalverwaltung konnte er feststellen, wie die Rezeption des Fußballs und seine Adaption in engem Zusammenhang steht mit den globalen Herausforderungen an eine krisengebeutelte Nation und ihre Institutionen.

"Der Körper ist das A und O"

Sport ist für den Japanologen jedoch nicht nur Forschungsgegenstand, sondern auch privat betätigt sich der zweifache Familienvater gerne sportlich – beispielsweise beim Laufen, Skifahren oder Klettern. Zudem fährt er täglich 10 Kilometer mit dem Rad in sein Büro am Campus der Universität Wien. "Der Körper ist das A und O. Das weiß ich nicht nur aus meiner Forschung", lacht Wolfram Manzenreiter. (mw)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfram Manzenreiter vom Institut für Ostasienwissenschaften, Fachrichtung Japanologie, hält am Montag, 10. November 2014, 17 Uhr im Großen Festsaal des Hauptgebäudes der Universität Wien gemeinsam mit seiner Kollegin Univ.-Prof. Dr. Ina Hein, M.A. (zum Porträt) seine Antrittsvorlesung zum Thema "Die Konstruktion transnationaler Identitäten – sozial- und kulturwissenschaftliche Japanologie im Dialog".