Ulrich Ansorge: In die Wissenschaft gewechselt

Vor rund zwei Jahren kam Ulrich Ansorge als Vertretungsprofessor von London nach Wien an die Fakultät für Psychologie. Seit September 2009 hat der gebürtige Deutsche nun eine Vertragsprofessur für Allgemeine Psychologie am Institut für Psychologische Grundlagenforschung inne.

Ulrich Ansorge begann seine berufliche Ausbildung abseits des Universitätsbetriebs: Nach der Ausbildung zum Kameraassistenten arbeitete er ein Jahr lang beim Südwestfunk. 1992 entschied er sich für einen Wechsel und begann mit dem Psychologiestudium an der Universität Bielefeld, das er 1997 abschloss: "Ich habe damals sicherlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Den sicheren Job aufzugeben war ein Risiko. Mir haben anfangs alle davon abgeraten".

Warum er sich letztlich für die Psychologie entschieden hat, erklärt der heutige Professor für Allgemeine Psychologie, der als Junge eigentlich Biologe werden wollte, folgendermaßen: "Da das Studium bereits meine zweite Ausbildung war, schien es mir wichtig, ein Fach mit einem konkreten Berufsbild zu wählen. Die Psychologie erschien mir aus beruflicher und aus persönlicher Perspektive interessant. So bin ich auf den Geschmack an Wissenschaft gekommen."

Berufliches Engagement

Die Entscheidung, in den universitären Lehr- und Forschungsbetrieb einzusteigen, hat der 43-Jährige nie bereut: "Die Tatsache, dass eine wissenschaftliche Karriere nicht auf lange Sicht planbar ist, macht sie auf eine Art erst möglich. Wenn man beispielsweise eine Stelle hat, die auf zwei Jahre befristet ist, muss man sich einfach beeilen, um Ziele in kürzerer Zeit zu erreichen."

Visuelle Aufmerksamkeit

In der Forschung interessiert den Wissenschafter vor allem der Bereich der "visuellen Aufmerksamkeit", über die er auch in seiner Antrittsvorlesung am Donnerstag, 27. Mai 2010, im Kleinen Festsaal der Universität Wien sprechen wird. Dabei geht es um die Auswahl von Objekten, Positionen oder Merkmalen in der visuellen Modalität zu Zwecken wie Wahrnehmung und Handlungssteuerung. Ulrich Ansorge interessiert sich in diesem Bereich für so unterschiedliche Themen wie die Vermeidung der Betrachtung angstauslösender Objekte, die besondere Rolle von visueller Bewegung auf die Aufmerksamkeit und die Möglichkeiten und Grenzen der unbewussten Objektauswahl, etwa zu Zwecken der unbewussten Werbung.

"Fähigkeiten, die wir als Aufmerksamkeit bezeichnen, werden uns im täglichen Leben bei vielen Gelegenheiten abverlangt, beispielsweise bei der Arbeit am Computerbildschirm oder beim Besuch einer Kinovorstellung", erklärt der neue Professor: "Das Verständnis der Gesetze, die die visuelle Aufmerksamkeit steuern, verspricht daher viele weitere nützliche Anwendungen."

Numerus Clausus?

Promoviert und habilitiert hat Ulrich Ansorge in Deutschland. Dort haben die meisten Universitäten im Fach Psychologie eine Zulassungsbeschränkung, den Numerus Clausus. Seit zwei Jahren kennt er nun das zulassungsfreie österreichische System. "Ich lobe die Ideale, die die Haltung 'Die Lehre ist frei' begründen. Allerdings bräuchten wir in etwa das Fünffache an Personal, um die Menge an Studierenden zu bewältigen. Es müssten mehr Stellen geschaffen werden. Falls es je eines Auswahlkriteriums bedarf, wäre ich dafür, die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit im Studium und nicht vor dem Studium zu ermitteln."

"Ich bin kein großer Anhänger von Vorlesungen"


Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit sind Ulrich Ansorge wichtig, ebenso aktive Teilnahme der Studierenden an Forschung und ihre Fähigkeit, die eigene Position zu reflektieren. Eine Vorlesung passt nicht gut zu diesem Kriterienkatalog: "Ich bin kein großer Anhänger von Vorlesungen. Ich bevorzuge Seminare, da man dort direkt mit den Studierenden interagiert. Das Konzept des 'Vorlesens' stammt aus einer Zeit, in der Bücher unerschwinglich waren. Heute, zu Zeiten von Kopiergeräten und PDFs, hat die Vorlesung viel ihres ursprünglichen Sinns verloren."

Bei der Frage, was sich seit der Vertragsprofessur für ihn verändert hat, muss Ulrich Ansorge lächeln: "Natürlich repräsentiere ich jetzt mehr, trage mehr Verantwortung. Ich kann nur hoffen, ich werde dieser Rolle gerecht." (mw)

Die Antrittsvorlesung von V.-Prof. Dr. Ulrich Ansorge vom Institut für Psychologische Grundlagenforschung zum Thema "Visuelle Aufmerksamkeit" findet am Donnerstag, 27. Mai 2010 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.