Thomas T. Jaeger: "Juristerei ist das Hinterfragen von Regeln"
| 09. November 2016Vor 16 Jahren schloss Thomas T. Jaeger sein Jurastudium an der Universität Wien ab. Nun kehrt er – um viele Erfahrungen reicher – als Professor an seine Alma Mater zurück, wo er unter anderem zum Brexit und CETA Stellung nimmt: "In beiden Fällen fand und findet ein postfaktischer Diskurs statt."
Es waren recht heterogene Berufswünsche, an die sich Thomas T. Jaeger zurückerinnert – eigentlich wollte er in Richtung Naturwissenschaften gehen. "Aber aus Angst, einsame Stunden im Labor zu verbringen, habe ich dann doch Jus studiert – flankiert von Politikwissenschaft und Ethnologie", erzählt der Professor für Europarecht und ergänzt lachend: "Natürlich weiß ich heute, dass auch NaturwissenschafterInnen soziale Kontakte pflegen."
Von der Rechtsphilosophie zum Europarecht
Es war die soziale Komponente der Juristerei, die ihn interessierte – Stichwort Gesellschaftsdesign: "Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der ich leben will?" Von der Rechtsphilosophie – "hier hat mich besonders das theorienübergreifende und unkonventionelle Denken meines damaligen Professors und heutigen Kollegen Alexander Somek geprägt" – über die Menschenrechte landete Jaeger schließlich beim Verfassungsrecht. "Und da ist Europarecht als übergeordnete Rechtsordnung die logische Konsequenz", so der Jurist, der am 23. November seine Antrittsvorlesung hält – zum Thema direkte Demokratie am Beispiel des Brexit.
"In einer Zeit, in der Europa vor den Trümmern seiner Werte steht, habe ich als neuberufener Professor für Europarecht das Bedürfnis, zu dieser Krise Stellung zu nehmen – auch wenn ich damit nicht der erste bin."
Missbrauch europapolitischer Themen …
Dabei will er die Debatte um eine Facette bereichern. "Mich interessiert ein Ausschnitt des politischen Krisen-Narrativs: Brexit ist das beste Beispiel dafür, wie PolitikerInnen die Stimmung in einem Land prägen, indem sie aus machtpolitischen Interessen auf ein europapolitisches Thema aufspringen und dieses für ihre Zwecke instrumentalisieren – bis hin zum Mittel der direkten Demokratie", argumentiert Jaeger, der in seiner Antrittsvorlesung die Dynamiken rund um den Missbrauch europapolitischer Themen analysieren will: "Wie werden durch Desinformation und Steuerung des Diskurses europapolitische Themen und direkte Demokratie gegeneinander ausgespielt und was kann das Europarecht dem entgegensetzen?"
… und das Spielen mit Emotionen
Wettbewerbsrecht, Außenhandel, Immaterialgüterrecht und Europäische Gerichtsorganisation sind die zentralen Forschungsschwerpunkte des neuen Professors. So liegt es nahe, dass er sich mit einem weiteren – derzeit heiß diskutierten – gesellschaftspolitischen Thema befasst: den Freihandelsabkommen CETA und TTIP.
"Auch hier findet ein postfaktischer – also ein von den Fakten völlig losgelöster – Diskurs statt. Und auch hier hat das Spielen mit Emotionen die politische Mitte erreicht", so Jaeger, der im Reflex gegen Freihandel außerdem ein xenophobes Element ausmacht: "Heimischen Produkten wird automatisch eine bessere Qualität und mehr Umweltfreundlichkeit zugesprochen. Obwohl sich 'böse' und 'gute' Produkte nicht zwingend nach Landesgrenzen unterscheiden lassen."
Der eigenen Neugier nachgehen
Der Jurist sieht sich zwar nicht als Verteidiger des Freihandels, befürwortet aber Kooperation und setzt sich daher mit CETA im Detail auseinander: "In keinem anderen Abkommen dieser Art gibt es ein ähnliches Bemühen, das Gleichgewicht zwischen öffentlichen und unternehmerischen Interessen zu finden. Auch die geplante Überführung der Schiedsgerichtsbarkeit in ein permanentes Gerichtssystem wäre eine enorme Verbesserung gegenüber des Status quo", betont Jaeger.
Diese Freiheit, sich Themen nach Interesse auszusuchen, genießt Jaeger an seinem Job an der Universität Wien besonders: "Ich kann meine inhaltlichen Schwerpunkte selbst wählen, meine Neugier dorthin verfolgen, wo sie mich hintreibt und so viel Zeit darauf verwenden, wie nötig ist." Der Professor, der vorher an der LMU München – wo er sich auch habilitiert hat – sowie an der Uni Hannover lehrte, freut sich, nun wieder an seiner Alma Mater zu sein. "Sie ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Universitäten. Das war ein Grund, hier zu studieren – und das ist ein Grund, hier zu arbeiten."
Kompetenz hinterfragen
Seinen Studierenden gibt der Professor den Tipp: "Mutig sein und Kompetenz auch mal hinterfragen!", und dabei erinnert er sich an seine eigenen Fehler zurück: "Zu Beginn meines Studiums hatte ich zu viel Respekt vor der Institution. Ich sah die Uni als ein fixstehendes Angebot, zu dem ich nichts beizusteuern habe." Erst später habe er erkannt, dass es im Grunde darum geht, sich zu dem Fach zu positionieren, sich interessensgerecht zu bewegen und sich zu überlegen: Was kann ich als Person zum Fach beitragen? "Der Moment, in dem ich erkannte, dass die Juristerei nicht Reproduktion ist, sondern vielmehr das Hinterfragen von Regeln, war für mich der erste prägende Moment im Studium", so Jaeger rückblickend.
Natürlich dreht sich im Leben des Professors nicht alles ums Recht. Seine Freizeit verbringt Jaeger mit seinem Mann und seiner Tochter am liebsten in den Bergen. "Ich arbeite auch gerne mit den Händen, wozu mir unsere kleine Berghütte, die ich sowohl zum ungestörten Nachdenken als auch zum Abschalten gerne aufsuche, reichlich Gelegenheit gibt." (ps)
Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas T. Jaeger, LL.M. vom Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Universität Wien hält am Mittwoch, 23. November 2016, um 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "Alle Macht dem Volk? Brexit, direkte Demokratie und Finalität der EU". Er hält die Antrittsvorlesung gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Franz Merli ("Was ist juristische Forschung und was wird aus ihr?") und Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Koller ("Wann ist etwas "bewiesen"? Richterliche Überzeugung und Beweis im Zivilprozess").
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