Markus Reitzig: Vom schönsten Beruf der Welt

Markus Reitzig ist seit August 2012 Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Im Interview erzählt der Experte für Strategisches Management und Organisationsdesign u.a. vom "schönsten Beruf der Welt" und warum es sich trotz aller Hürden lohnt, den akademischen Weg zu beschreiten.

uni:view: Was verbinden Sie mit der Universität Wien?
Markus Reitzig: Starkes Traditionsbewusstsein; aber auch einen der wenigen Zufluchtsorte, an dem einige exzellente Kollegen von mir die Hoffnung nicht aufgeben, dass Spitzenforschung auch noch im 21. Jahrhundert in Kontinentaleuropa passieren kann.

uni:view: Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Reitzig: Vielleicht bin ich als Lehrerkind wirklich vorgeschädigt; vielleicht ist es purer Narzissmus. Aber ich freue mich wirklich, wenn ich erkenne, dass jemand am Ende etwas verstanden hat und sich darüber freut, dass er oder sie es versteht.

uni:view: Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Reitzig: Ich beschäftige mich mit der Frage, wie Organisationen – also Systeme, bei denen mehrere Akteure mit diversen Einzelinteressen ein Gesamtziel verfolgen – kompetitiv interagieren, und wer warum dabei am Ende die Nase vorne hat. Dazu muss man manchmal tief in die Organisation hineinschauen, manchmal ihr Umfeld betrachten, und am Ende beides zusammenbringen. Firmen sind spannende Organisationen, und bei denen geht es natürlich zumeist um Profite. Persönlich und fachlich sind für mich vor allem solche Unternehmungen interessant, die viel Neues schaffen und umsetzen – sprich innovieren; hier lassen sich einfach spannende Dinge beobachten.

uni:view: Wie verbinden Sie Forschung und Lehre?

Reitzig: Machen wir uns nichts vor. Forschung und Lehre konkurrieren häufig miteinander – zumindest was die Zeit angeht. Es gibt aber auch in der Tat Möglichkeiten, die beiden zusammenzubringen. In meiner Gruppe versuchen wir, Masterarbeiten – ein Teil der Lehre – in größere Forschungsprojekte einzugliedern. In der Doktorandenlehre habe ich zudem die Möglichkeit, auf aktuelle Fragen abzustellen.

uni:view: Sie waren in Dänemark und Großbritannien tätig. Inwiefern steht Ihr Fach im internationalen Kontext?
Reitzig: In meinem Fach sind die großen Fragen am Ende die, die keiner territorialen oder nationalen Besonderheit folgen. Von daher sind wir m.E. (fast) genauso international wie die Physik oder Medizin. Die kämpfen ja auch damit, dass sich die Kompassnadel am einen oder anderen Ort leicht anders ausrichtet oder dass vielleicht die durchschnittliche menschliche Körpergröße von Region zu Region variiert. Aber am Ende bleibt der Nordpol der Nordpol und eine Leber eine Leber. So ist das bei uns auch. Unternehmen versuchen überall auf der Welt mit denselben Herangehensweisen, Wettbewerbsvorteile zu generieren. Dabei hilft oder stört das Umfeld mal mehr und mal weniger, aber die Logik bleibt dieselbe. Mir geht es primär um die Logik, denn die müssen gute Forscher wie Praktiker zunächst mal beherrschen; aber natürlich müssen wir die Studierenden auch für internationale Besonderheiten sensibilisieren; das machen wir auch.

uni:view: Welche Hürden, Stolpersteine und Umwege sind Ihnen auf Ihrem Weg zur Professur begegnet?

Reitzig: Ich befürchte, so ziemlich alle, die man sich denken kann. Ich möchte die auch nicht alle aufzählen, und auf manche bin ich auch wirklich nicht stolz. Als generellen Punkt nur vielleicht folgendes: In meiner Generation war es in Deutschland völlig verpönt, vor Abschluss der Promotion auch nur vage anzudeuten, dass man sich für diesen Beruf interessiert. Das ist nicht wirklich hilfreich. Vieles passiert dann vorher und auch später sehr unprofessionell, ungeplant, zufällig – geradezu stümperhaft im internationalen Vergleich. Meine amerikanischen und asiatischen Kollegen sind da in einer ganz anderen Situation. Die artikulieren ihr Ziel vergleichsweise früh – und haben dann einen Karriereweg, den Sie offen verfolgen können.

uni:view: Sie stehen dort, wo viele hinwollen. Was würden Sie angehenden JungwissenschafterInnen raten?
Reitzig:
Naja – so arriviert bin ich nun auch noch nicht. Und da könnte man jetzt viel Schlaues sagen – aber die Antwort wäre trotzdem unvollständig. Von daher nur eines: "Nehmen Sie sich Zeit, und hören Sie in sich hinein. Wenn Sie diesen Beruf wirklich wollen – dann halten Sie durch! Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann hören Sie besser gleich auf. Die unendlich langen Stunden alleine im Labor, vor dem Rechner, die scheinbar nicht enden wollenden Ablehnungen der Journale beim Versuch, die ersten Ergebnisse alleine zu veröffentlichen, und dazu noch die Unsicherheit, ob und wo Sie eine Stelle erhalten – all dies sollte man sich nicht antun, wenn man das nicht wirklich will. Aber wenn Sie jeden Morgen aufstehen und auf Ihre selbstgewählten wissenschaftlichen Probleme neugieriger sind als auf die Sorgen ihres Kunden – dann lohnt es sich am Ende. Es ist einer der schönsten Berufe der Welt."

uni:view: Haben Sie ein Lebensmotto?
Reitzig: Unbewusst wahrscheinlich mehrere.

uni:view: Wie erklären Sie Ihrem (nicht-wissenschaftlichen) Umfeld Ihre Forschung?
Reitzig:
In einfachen Worten. Das habe ich übrigens auch genau so gehalten, als ich noch als Chemiker tätig war. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass man in den allermeisten universitären Forschungsbereichen – von ausgewählten Ausnahmen in der theoretischen Mathematik vielleicht einmal abgesehen – jedes Thema in einer Minute auf den Punkt bringen kann. Jetzt hoffe ich nur, dass ich das bei der Beschreibung meiner Forschungsschwerpunkte demonstriert habe.

uni:view: Wem haben Sie das letzte Mal aus Ihrem privaten Umfeld ihre Forschungsergebnisse erklärt?
Reitzig:
Anekdoten gibt es immer mal wieder. Mit Ausführlichem peinige ich Freunde selten. Eine Ausnahme bestätigt die Regel; ein sehr guter Freund aus Studienzeiten – hochintelligent aber ohne jegliche akademische wirtschaftswissenschaftliche Basis – erfindet jede Woche aus eigenen Stücken Teile nobelpreisprämierter ökonomischer Theorien neu. Dem erkläre ich dann in regelmäßigen Abständen, warum er gerade in bewundernswerter Weise das Rad neu erfunden hat, und zwinge ihn dann im Gegenzug dazu, sich etwas wirklich Neues von mir anzuhören. Er leitet mittlerweile Unternehmen in Indonesien, so dass das leider nicht mehr so häufig passiert. (Interview: Isabell Lohmann)

Univ.-Prof. Dipl.-Chem. Dr. Markus Georg Reitzig, MBR, vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften hält seine Antrittsvorlesung "Why and How Organizations Differ in Behaviour and Performance" am Freitag, 29. November 2013 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien.