Jürgen Kriwet: Die Evolution des Lebens verstehen
| 14. März 2013Ein Tier, das für viele Menschen durch Horrorfilme und Medienberichterstattung wohl eher beängstigend wirkt, ist für Jürgen Kriwet das liebste Forschungsobjekt: der Hai. Seit September 2010 ist der 46-Jährige Professor für Paläobiologie an der Universität Wien.
Im Interview mit "uni:view" erklärt Jürgen Kriwet den Unterschied zwischen Paläobiologie und Paläontologie, die Bedeutung der Haie für das Überleben der Spezies Mensch und verrät, dass seit neuestem Süßwasserrochen im Geozentrum der Universität Wien in der Althanstraße eine neue Heimat gefunden haben.
uni:view: Beginnen wir mit dem Naheliegenden: Was ist Paläobiologie?
Jürgen Kriwet: Paläobiologie versucht, das Gesamtbild eines Organismus im evolutionsbiologischen Kontext zu erfassen. Wir schauen uns nicht ausschließlich Fossilien an, sondern beziehen moderne z.B. molekulargenetische Aspekte lebender Organismen mit ein. Eine Frage kann sein: Wie entwickelt sich ein Embryo, welche Merkmale entstehen wann und warum. Das Wissen über Art und Ursache von Genveränderungen hilft dabei, den Ursprung von Organismen zu rekonstruieren und evolutive Fragen zu beantworten.
uni: view: Sie haben an der Freien Universität Berlin Geologie und Paläontologie studiert. 2001 promovierten Sie dann im Fach Biologie an der Humboldt-Universität Berlin und waren anschließend zwei Jahre in England als Marie Curie Research Fellow am Department of Earth Sciences der University of Bristol tätig. Wodurch wurde Ihr Interesse für dieses Fach geweckt?
Kriwet: Als ich sechs Jahre alt war, schenkte mir meine Mutter ein Kinderbuch namens "Der Superhai". Damit fing meine Leidenschaft für Haie an. Eigentlich wollte ich dann Tiermedizin studieren, aber durch meine Bundeswehrzeit bei den Gebirgsjägern in den Bergen bin ich zur Geologie gekommen. Und so wurde aus diesen verschiedenen Bereichen – Geologie-Paläontologie-Evolution-Haie – irgendwann eine logische Verknüpfung. Damals konnte man Paläontologie nur in Verbindung mit Geologie studieren.
In Jürgen Kriwets Büro finden sich zahlreiche Haikiefer. Es sind sogenannte Bycatches, die er von FischerInnen oder aus Forschungsprojekten bekommen hat. Von dem berühmten weißen Hai findet sich jedoch kein Kiefer im Büro – aus gutem Grund. "Der weiße Hai ist geschützt und darf eigentlich nicht mehr gefangen werden. Es gibt jedoch einen Schwarzmarkt, da werden die Kiefer für einen Preis zwischen 12.000 bis 15.000 Euro angeboten", erzählt Kriwet. |
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uni:view: Um die Meeresräuber geht es ja auch in Ihrer Antrittsvorlesung am Donnerstag, 21. März 2013, unter dem Titel "'Und der Haifisch, der hat Zähne' – Evolution eines Spitzenprädators". Was fasziniert Sie so an Haien?
Kriwet: Die Erforschung der Evolutionsgeschichte von Haien ist ein Schwerpunkt von mir. Die ursprünglichen Haie vor 450 Millionen Jahren hatten kein Knorpelskelett, sondern sahen eher aus wie ein gewöhnlicher Fisch. Haie können daher als Modellorganismus dienen, wenn wir verstehen wollen, wie und warum sich bestimmte Merkmale entwickelt haben. Sie haben es geschafft, über 200 Millionen Jahren an der Spitze der Nahrungskette zu stehen. Dadurch sind sie entscheidend für das ökologische Gleichgewicht.
uni:view: Was würde passieren, wenn Haie aussterben?
Kriwet: Das hätte extrem negative ökologische Auswirkungen. Der Hai steht wie gesagt an der Spitze der Nahrungskette. Wird er ausgerottet, fehlt der Top-Predator, der die Ebenen darunter reguliert. Das heißt, die anderen Tiere vermehren sich zu stark, fressen nach unten alles und nehmen sich somit selbst die Lebensgrundlage. Dann bricht alles zusammen. Übrig bleiben die Einzeller, das Phytoplankton. Es kommt zu einer Algenblüte und damit zur Übersättigung der Meere. Das Phytoplankton zieht erst einmal sehr viel CO2 aus der Atmosphäre. Da die Einzeller aber nur kurz leben, wird das ganze CO2 anschließend wieder in die Atmosphäre entlassen. Das Resultat: Der Treibhauseffekt wird so angekurbelt, dass es zu einer unaufhaltsamen Klimaerwärmung kommt.
uni:view: Was bedeutet das für den Menschen?
Kriwet: Es dauert lange, bis zu 15 Millione Jahre, bis sich ein solches Ökosystem wieder erholt. Wir hatten so einen Fall schon einmal vor 65 Millionen Jahren. Das würde der Mensch sicherlich nicht mehr erleben. Wir nehmen uns durch die Ausrottung der Haie unsere eigene Lebensgrundlage. Pro Jahr werden etwa 100 Millionen Haie getötet. Ausschließlich wegen der Flossen. Gerade in Asien gilt der Verzehr von Haifischflossensuppe nach wie vor als Statussymbol. Dabei ist es nur gekochter Knorpel, der nach nichts schmeckt.
uni:view: Wie können Sie mit Ihrer Forschung dagegenwirken?
Kriwet: Indem wir die Öffentlichkeit und vor allem das Fischereiwesen über die wesentliche Rolle der Haie in unseren Ozeanen aufklären. Zum Glück setzt sich diese Erkenntnis immer mehr durch. Der Mensch muss verstehen, dass er vorsichtiger mit der Natur umgehen muss, denn sie braucht lange, um sich zu erholen.
Das ist der Abguss eines ca. zehn Millionen alten fossilen Zahns des ausgestorbenen Carcharocles megalodon (Megalodon-Haies), einem entfernten Verwandten des weißen Hais. Dieser wurde bis zu 15 Meter groß. Seine skeletaren Reste fanden Jürgen Kriwet und sein Team vor einigen Jahren bei einer Expedition in Peru. |
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uni:view: Was erwarten Sie von Ihren Studierenden hier an der Universität Wien?
Kriwet: Kreativ zu sein und – gemeinsam – Ideen zu entwickeln. Selbst wenn mal ein Weg in einer Sackgasse endet. Wichtig ist mir auch, dass meine Studierenden früh international denken. Wer bei mir eine Bachelor- oder Masterarbeit schreibt, muss diese anschließend auch in einem internationalen Journal veröffentlichen. Von meinen DoktorandInnen erwarte ich, dass sie ihre Forschung auf internationalen Tagungen präsentieren und sich der Forschungsdiskussion stellen.
uni:view: Dementsprechend ist Ihnen Internationalität auch in der eigenen Arbeit wichtig?
Kriwet: Sehr wichtig. Ich möchte mit unseren Ergebnissen nach außen gehen und unsere Forschungen transparenter machen. Das Institut soll noch internationaler und moderner positioniert werden.
uni:view: Welche Kooperationen laufen derzeit?
Kriwet: Neben der anhaltenden Zusammenarbeit mit der University of Bristol kooperieren wir auf nationaler und internationaler Ebene mit verschiedensten Institutionen. In Wien arbeiten wir z.B. eng mit dem Haus des Meeres und dem Tiergarten Schönbrunn zusammen, weltweit mit zahlreichen Aquarien. Erst kürzlich haben wir ein Projekt mit dem Naturkundemuseum in La Plata, Argentinien, und jenem in Stockholm abgeschlossen. Dabei geht es um die Entwicklung der Fischfaunen in der Antarktis. Unser Ziel ist es herauszufinden, wie diese sehr spezielle Fischfauna entstanden ist, und wie sich die Fische an solche Extremklimate – in der Antarktis hat das Wasser Temperaturen von ein bis zwei Grad – anpassen.
uni:view: Haben Sie eigentlich auch daheim ein Aquarium?
Kriwet: Früher hatte ich mehrere Aquarien, aber inzwischen versuche ich, Beruf und Freizeit klarer zu trennen. Wir haben ja nun Aquarien hier am Geozentrum. Auch meine Fossilien stehen nicht im Wohnzimmer, sondern – wie Sie sehen – in meinem Büro.
Das erste Zuchtpärchen aus dem Amazonas Brasiliens ist Teil eines Projekts über Süßwasserrochen; die Tiere hören auf die Namen Erna und Bert. "Unsere Doktorandin Rica Stepanek hat die Tiere aufgezogen und ist nun in der Lage, die beiden aus der Hand heraus zu füttern. Wir trainieren sie darauf, auf einfache Zeichen zu reagieren", so Kriwet. |
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uni:view: Welche Fische "schwimmen" hier im Haus?
Kriwet: Derzeit haben wir beispielsweise ein Rochenzuchtpaar und richten gerade ein Meerwasseraquarium für Bambushaie ein. Die Tiere bekommen wir aus dem Haus des Meeres. Ziel ist es, verhaltensbiologische Aspekte zu untersuchen.
uni:view: Neben der Professur sind Sie auch Vizedekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie u. Astronomie. Was machen Sie in Ihrer – vermutlich knappen – Freizeit?
Kriwet: Wenn ich Zeit habe, dann treffe ich mich mit Freunden. Als ich nach Wien kam, habe ich mit ein paar Bekannten eine Herrenkochrunde ins Leben gerufen. Inzwischen ist die Runde sehr groß geworden – und besteht nicht mehr nur aus Herren. Außerdem verreisen meine Lebensgefährtin und ich sehr gerne. (mw)
Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dipl.-Geol. Dr. Jürgen Kriwet, Vizedekan der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie u. Astronomie, zum Thema "'Und der Haifisch, der hat Zähne' – Evolution eines Spitzenprädators" findet am Donnerstag, 21. März 2013, um 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien statt.
Downloads:
Antrittsvorlesung_Kriwet_01.pdf
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