Claus Lamm: Grundlagen der Empathie
| 10. Juni 2011Mitgefühl, Altruismus, prosoziales Verhalten: Während diese Phänomene als unabdingbar für menschliches Zusammenleben gelten, sind ihre neuronalen und biologischen Grundlagen kaum untersucht. Claus Lamm, seit September 2010 Professor für Biologische Psychologie, forscht im jungen Feld der Sozialen Neurowissenschaften. In seiner Antrittsvorlesung am Montag, 20. Juni 2011, spricht er über einen interdisziplinären Erkenntniszugang zu Empathie und Altruismus.
Was die andere Person wohl gerade denkt? Diese Frage ist in alltäglichen sozialen Interaktionen ständig präsent. "Da ich mir das, was andere Menschen überlegen, fühlen und erleben nur indirekt erschließen kann, bleibt das Verstehen von anderen immer eine Art Rateprozess", beschreibt Claus Lamm seine Faszination für menschliches Sozialverhalten: "Es gibt aber offenbar fundamentale Mechanismen, die uns ermöglichen, die Emotionen von anderen Personen nachzuempfinden – ansonsten könnten Kommunikation und Zusammenarbeit niemals funktionieren."
Zwischen Sozial- und Naturwissenschaften
Wird Lamm nach seiner Berufsbezeichnung gefragt, so antwortet er "Psychologe" – und schickt sofort hinterher: "… und Neurowissenschafter". Damit verweist er auf seinen interdisziplinären Zugang. Oft wird er mit der Frage konfrontiert, was denn Hirnforschung mit Psychologie zu tun habe. "Um psychische Prozesse verstehen zu können, muss auf unterschiedlichen Ebenen angesetzt werden", legt der Wissenschafter seinen Standpunkt dar: "Diese reichen von der psychologischen Untersuchung von Verhaltensweisen über die neurowissenschaftliche Messung der Vorgänge im Gehirn bis hin zur soziologischen Analyse größerer Gesellschaftsverbände."
Pionierforschung mit Alltagsrelevanz
Lamm forscht im Feld der Sozialen Neurowissenschaften, das sich erst in den letzten fünf bis sechs Jahren entwickelt hat. Nach dem Abschluss seiner Dissertation an der Universität Wien im Jahr 2001, in der er sich mit räumlichem Vorstellungsvermögen beschäftigte, wollte sich der Wissenschafter neu orientieren: "Meine Forschung erschien mir plötzlich zu wenig alltagsrelevant. Ich suchte nach Themen, die im täglichen Leben bedeutsam sind und bin so auf das Thema Empathie gekommen." Dass es zu diesem Zeitpunkt noch kaum neurowissenschaftliche Forschung zu diesem Phänomen gab, war für Lamm besonders reizvoll: "Erst seit 20 Jahren ist es überhaupt möglich, mittels der Methode der funktionellen Magnetresonanztomographie in das menschliche, lebende Hirn 'hineinzuschauen'. Nun kann man sich nach und nach immer komplexeren Fragestellungen annehmen."
Wien, Bron, Chicago, Zürich …
Nach einem Jahr als Post-Doc am Nationalen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung in Bron (Frankreich) folgte Lamm 2006 einem Kollegen, mit dem er erfolgreich zusammengearbeitet hatte, an die Universität von Chicago. Hinsichtlich Wissenschaftskultur und Arbeitsbedingungen stellt er wesentliche Unterschiede zwischen den Universitäten in Europa und den USA fest: "In Chicago ist die Basisfinanzierung schlechter als in Wien. Dort mussten MitarbeiterInnen beispielsweise häufiger als hier über Drittmittel finanziert werden, ProfessorInnen erhielten während der Sommermonate kein Gehalt. Außerdem war in den USA der Druck, am Fließband zu publizieren, aufgrund der hohen Output-Orientierung wesentlich höher. Was sich allerdings nicht immer zu Gunsten der Qualität und Kreativität ausgewirkt hat."
Von 2008 bis 2010 verschlug es den gebürtigen Lustenauer im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes am Institut für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Zürich wieder in die Nähe seiner Heimat Vorarlberg.
… und zurück
Mit einer umfassenden Forschungserfahrung und einer Vielzahl an internationalen Kontakten im Gepäck ist Lamm nun wieder zurück am Ausgangspunkt seiner akademischen Laufbahn: der Universität Wien. Seit September 2010 hat er an der Fakultät für Psychologie die Professur für Biologische Psychologie inne. Nun will er auch hier die Empathieforschung institutionalisieren. In der Lehre ist es ihm wichtig, seinen Studierenden die Relevanz von naturwissenschaftlichem Grundlagenwissen sowie experimenteller und interdisziplinärer Zugänge für das Verständnis psychologischer Phänomene zu vermitteln.
Seit seiner Promotion sieht der Forscher an der Universität Wien eine Vielzahl an positiven Entwicklungen: "Die Universität ist dynamischer, kooperativer und lebendiger geworden und orientiert sich stärker international." Kleiner Wermutstropfen: Es gibt hier keinen direkten Zugang zu einem Magnetresonanz-Scanner, der für neurowissenschaftliche Forschung erforderlich ist. "Derzeit fahre ich immer auf die Medizinische Universität Wien oder fliege nach Zürich oder Chicago und kaufe mich dort ein", beschreibt Lamm die praktischen Herausforderungen beim Etablieren seiner noch jungen Disziplin.
Zwischen der Medizinischen Universität und seinem Arbeitsplatz fährt der begeisterte Sportler mit dem Fahrrad hin und her. Laufen und Bergsteigen bezeichnet er als wichtigen Ausgleich zur Büroarbeit: "Es ist mir wichtig, nicht nur den Geist zu trainieren, sondern auch den Körper." Ein Hometrainer hat bisher noch nicht den Weg in das Büro des Psychologen gefunden, kleinere Hanteln liegen jedoch für die Pausen bereit. (sh)
Univ.-Prof. Mag. Dr. Claus Lamm vom Institut für Klinische, Biologische und Differentielle Psychologie hält seine Antrittsvorlesung zum Thema "Von Empathie zu Altruismus: Ein interdisziplinärer Erkenntniszugang" am Montag, 20. Juni 2011, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien.
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