Claudia Rapp: "Der europäische Traumjob"

Nach 22 Jahren Lehre in den USA hat die Vielfalt der Wiener Byzantinistik Claudia Rapp dazu bewogen, den Sprung über den Atlantik zurück nach Europa zu wagen. Seit Februar 2011 ist sie Professorin für Byzantinistik und will dazu beitragen, die lange Wiener Forschungstradition fortzuführen.

"Hier an der Universität Wien führe ich an einem Tag mehr fachspezifische Gespräche als in den USA in drei Monaten", so Claudia Rapp, die nach 17 Jahren an der UCLA – der University of California, Los Angeles – nun am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik lehrt und forscht. Am größten Department für Geschichte in den USA war sie unter 70 ProfessorInnen die einzige aus dem Fach Spätantike und Byzantinistik. Um KooperationspartnerInnen zu finden, musste sie den geografischen Bogen also etwas weiter spannen.

"Die Traditionen und Methoden meiner Disziplin sind in Europa – und besonders in Wien – besser vertreten als in den USA", freut sich Rapp, die Wien als das "Schlaraffenland" der Byzantinistik bezeichnet: "Neben der Vielfalt der vertretenen Forschungsrichtungen sowohl an der Universität Wien als auch am Institut für Byzanzforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist vor allem auch der große byzantinische Handschriftenbestand in der Österreichischen Nationalbibliothek eine Besonderheit."

Mission Öffentlichkeitsarbeit

Nach dem humanistischen Gymnasium und Grundstudium in Berlin folgte die Promotion in Oxford. Von dort ging Claudia Rapp nach Amerika, wo sie zunächst an der Cornell University in New York State und zuletzt in Los Angeles forschte und lehrte. "Auch der Zugang zum Fach war dort ein anderer", berichtet sie: "An der UCLA haben sich die Studierenden byzantinische Geschichte im Rahmen ihres Geschichtsstudiums ausgesucht – hier in Wien ist diese Form des fächerübergreifenden Studiums nur in bestimmtem Rahmen möglich." Die Historikerin hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, ihr "Orchideenfach" einem möglichst breiten Publikum näher zu bringen: Die Vorlesung zur byzantinischen Geschichte hält sie deshalb im Hauptgebäude – abends und in englischer Sprache.

"Vienna Dialogues"


Um die lange Tradition der Wiener Byzanzforschung in ihrer ganzen Bandbreite zu vertreten und zu fördern, hat sich Rapp einiges vorgenommen und u.a. die Initiative "Vienna Dialogues" ins Leben gerufen: eine Plattform zur Förderung der Zusammenarbeit mit mittel,- ost und südosteuropäischen ByzanzforscherInnen. Dabei werden die wichtigsten Forschungstrends zusammengetragen und Wien fungiert als "Katalysator": "Durch die Entstehung neuer Forschungsrichtungen – wie 'Global History' oder 'World History' –, in denen Byzanz als wichtiges Bindeglied zwischen Europa und Asien gilt, ergeben sich in der Byzanzforschung Herausforderungen, die nur durch den internationalen Dialog und der Entwicklung neuer Forschungsansätze gemeistert werden können", betont die neue Professorin.


Byzanz im Jahr 1025. Das Oströmische Reich erreichte unter den makedonischen Kaisern des 10. und frühen 11. Jahrhunderts seinen Machthöhepunkt. (Karte: J. Schwerdtfeger)



Kirche und Geschichte


Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Sozial- und Religionsgeschichte – so lautet auch der Titel von Claudia Rapps Antrittsvorlesung: "Die soziale Dimension des Christentums in Byzanz". Die Historikerin will damit eine Brücke zwischen Kirchengeschichte bzw. Theologie und Geschichte schlagen: zwei Fachgebiete, die in der Vergangenheit meist getrennt abgehandelt wurden. "In einer zunehmend säkularisierten Welt sollte es aber möglich sein, bestehende Berührungsängste zu überwinden und die Beeinflussung sozialer Beziehungen durch das Christentums mit historischer Methodik aufzuzeigen", so Rapp.

Geistige Verbrüderung

In diesem Zusammenhang erforscht sie derzeit die sogenannte "rituelle Verbrüderung" in Byzanz, wo sich zwei Männer durch das Gebet eines Priesters zu Brüdern erklären lassen konnten: "Durch dieses Ritual verfestigten sich bestimmte gesellschaftliche Sozialformen." Die neuen "Brüder" versprachen einander u.a. gegenseitige Hilfeleistung und vollkommene Loyalität – eine idealisierte Brüderschaft also, wie man sie unter biologischen Geschwistern kaum findet. "Die Verbrüderung hatte aber keine rechtliche Konsequenzen für die nächste Generation", ergänzt Rapp. Im Gegensatz zur Bindung zwischen dem Taufpaten und dem Vater des Täuflings: In diesem Fall waren die Heiratsverbote unter den Nachkommen sehr streng. "Laut einem Gesetz Kaiser Justinians war die spirituelle, geistige Verwandtschaft nämlich stärker als Blutsverwandtschaft", erklärt die Byzantinistin.


Justinian – auch als Justinian der Große bekannt – war von 527 bis 565 römischer Kaiser. Er gilt als einer der bedeutendsten Herrscher der Spätantike und wird in den orthodoxen Kirchen als Heiliger verehrt.



Ausradierte Handschriften

Als wissenschaftliche Leiterin des Forschungsprojekts "Sinai Palimpsest" knüpft Rapp an eine große Wiener Tradition an – die Handschriftenkunde, die an der Universität Wien auch durch die Professur für byzantinische Grundlagenforschung ihres Kollegen Andreas Müller gepflegt wird: Organisiert durch die kalifornische Early Manuscript Electronic Library (EMEL) und finanziert durch den Londoner Arcadia Fund werden in internationaler Zusammenarbeit zwischen TechnikerInnen und FachwissenschafterInnen "recycelte" Handschriften aus dem Katharinenkloster im Sinai mit neuesten Methoden der Multispektralphotographie aufgenommen. Die Aufnahmen werden am Computer bearbeitet und die ausradierte Schrift wieder lesbar gemacht.

"Dadurch gewinnen wir Zugang zu verlorenen Texten und Schrifttypen verschiedener Sprachen des christlichen Orients", hofft Rapp, die im April wieder ins Kloster fahren wird, um durch die neu gewonnenen Aufnahmen – u.a. in Zusammenarbeit mit Heinz Miklas vom Institut für Slawistik – neue Ergebnisse zu Tage zu bringen. Auch in Wien gab es für Claudia Rapp bereits viel Neues zum Entdecken: "Einige Museen, den Prater und den Kahlenberg habe ich bereits erkundet", schmunzelt sie. (ps)

Univ.-Prof. Dr. Claudia Rapp hält am Montag, 26. März 2012 um 17 Uhr im Kleinen Festsaal ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Die soziale Dimension des Christentums in Byzanz".