Wo Niederösterreichs Gladiatoren trainierten
| 09. September 2011Nach der Entdeckung eines "Woodhenge" nahe des berühmten Steinkreises von Stonehenge und dem Fund von Wikinger-Siedlungen in Skandinavien präsentiert das Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) unter der Leitung von Wolfgang Neubauer von der Universität Wien nun eine weitere archäologische Sensation: Mithilfe modernster Messmethoden konnten in Carnuntum bei Wien die Überreste einer römischen Gladiatorenschule sichtbar gemacht werden.
Um die Spuren menschlicher Siedlungen noch Jahrtausende später am Computerbildschirm zu rekonstruieren, bedarf es modernster Messtechniken. Das internationale Team des "LBI ArchPro" rund um Wolfgang Neubauer von der Interdisziplinären Forschungsplattform Archäologie (VIAS) und Michael Doneus vom Institut für Ur- und Frühgeschichte hat es sich zur Aufgabe gemacht, effiziente Geräte zur Auffindung archäologischer Überreste zu entwickeln. "Die neuen Geräte liefern erstaunlich präzise Bilder des Untergrunds bis in mehrere Meter Bodentiefe", freut sich Wolfgang Neubauer.
Kürzlich stießen die zwei Forscher in Carnuntum mithilfe eines neuen motorisierten Mulitkanal-Bodenradargeräts auf einen sensationellen Fund: die Reste einer in ihrer Vollständigkeit und Größe international einzigartigen Gladiatorenschule. "Die Radarmessdaten zeigten ein kleines Amphitheater innerhalb einer Kaserne beziehungsweise eines gefängnisartigen Gebäudekomplexes, die Trainingsarena einer Gladiatorenschule", so Neubauer. An Deutlichkeit der erfassten Baustrukturen sei die Gladiatorenschule von Carnuntum derzeit nur mit dem "Ludus Magnus" in Rom, der bisher größten bekannten Gladiatorenkaserne, vergleichbar.
Trainingsanlage mit Bodenheizung
In der Computersimulation zeigt sich die Gladiatorenschule von Carnuntum als abgeschlossener Gebäudekomplex mit einem Ausmaß von 2.800 Quadratmeter und liegt in einer 11.000 Quadratmeter umfassenden, mit einer Mauer umgebenen Parzelle. Die Gebäudeteile sind um einen großen Innenhof angelegt, in dem die Radarmessungen eine kreisrunde Trainingsarena mit hölzernen Zuschauertribünen aufgedeckt haben. Die detailreichen Radarbilder lassen deutlich die Fundamente einer 100 Quadratmeter großen beheizbaren Trainingshalle, einer ausgedehnten Badeanlage, des 300 Quadratmeter umfassenden Verwaltungstrakts bzw. des Wohnbereichs des Besitzers der Gladiatorenschule und die durchschnittlich fünf Quadratmeter großen Wohnzellen der Gladiatoren erkennen.
Aber auch die notwendige Infrastruktur wie Wasserleitungen, Fußbodenheizungen und Abwasserkanäle sowie Zugangswege zum Amphitheater, Portale oder die Fundamente von Memorials sind deutlich in den hochauflösenden Radardaten erkennbar. Hinter der Gladiatorenschule scheint sich ein Gräberfeld mit einzelnen großen Grabmonumenten, steinernen Sarkophagen und verschiedenen einfacheren Grablegungen zu befinden.
Gladiatorenspiele in Petronell
Die "niederösterreichischen Gladiatoren" wurden wohl für den Einsatz im nahegelegenen Amphitheater von Petronell ausgebildet, das in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts außerhalb der Zivilstadt von Carnuntum entstand. Es konnte bis zu 13.000 ZuschauerInnen aufnehmen und wurde in römischer Zeit intensiv für Gladiatorenspiele genützt.
Enge Zusammenarbeit mit der Universität Wien
Die Universität Wien kooperiert seit 1995 mit der ZAMG und dem Land Niederösterreich in Bezug auf die zerstörungsfreie Erkundung der archäologischen Landschaft in Carnuntum. Die der sensationellen Entdeckung vorausgegangenen Luftbildaufnahmen und deren Auswertung stammen von Michael Doneus vom Institut für Ur- und Frühgeschichte, erste Messungen zur Lokalisierung jenes Gebäudekomplexes, der nun mit den neuesten Geräten des LBI ArchPro untersucht werden konnte, lieferte das Team der Forschungsgruppe "Archeo Prospections®", einer Kooperation zwischen Universität Wien und ZAMG. Die weiteren Forschungsarbeiten in Carnuntum werden unter anderem im Rahmen des Initiativkollegs "Archäologische Prospektion" der Universität Wien durchgeführt. (APA/red)