Was bedeutet Verantwortung in der Forschungspraxis?

Atombombe, Klonschaf, genetische Veränderungen des Erbguts. Wie weit darf Wissenschaft gehen? Wo findet sich gesellschaftliche Verantwortung in der Forschung? Und wie gehen wir mit ihr um? Damit beschäftigt sich eine neue Forschungsplattform an der Universität Wien unter der Leitung von Ulrike Felt.

"Wenn ich die Folgen geahnt hätte, wäre ich Uhrmacher geworden", lautet ein berühmtes Zitat von Albert Einstein. Nie hätte sich der Nobelpreisträger vorstellen können, dass seine Theorien im weitesten Sinne später zur Erfindung der Atombombe beitragen würden. Wie sieht es mit aktuellen Forschungsansätzen aus? Wissen QuantenphysikerInnen, welche Anwendungen in zehn, 20 oder 30 Jahren möglich sein werden?

Aber anders gefragt: Soll ein möglicher Missbrauch die Wissenschaft von der Forschung abhalten? Diese Frage würden sowohl Wissenschaft als auch Gesellschaft mit einem klaren "Nein" beantworten. Aber Verantwortung in Forschung und Innovation, wie dies auch seit einigen Jahren in der Europäischen Forschungspolitik unter dem Schlagwort "Responsible Research and Innovation" diskutiert wird, bedeutet eben viel mehr als über ein spezifisches Ergebnis der Forschung zu reflektieren. Es heißt, über Prozesse in der Wissensgenerierung nachzudenken, über verantwortungsbewusste Forschung und ihren Platz in der Gesellschaft.

Großes Vertrauen und große Erwartungen

"In unserer Gesellschaft herrscht im Grunde ein großes Vertrauen in die Wissenschaft, aber gleichzeitig auch eine wachsende Erwartung", sagt Ulrike Felt, Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften und Leiterin der neuen Forschungsplattform "Responsible Research and Innovation in Academic Practice". "Das hat Entwicklungsräume für die Wissenschaft geschaffen, bringt aber durchaus auch Spannungen mit sich. Einerseits der Druck, direkt gesellschaftlich relevantes Wissen zu schaffen, und andererseits ein bisweilen sehr enges Effizienzdenken: Das sind die heutigen Rahmenbedingungen für Forschung."

Die Bedingungen akademischer Praxis haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Wettbewerb um finanzielle Mittel und die besten Köpfe ist hoch, Karrieren vor allem für junge ForscherInnen schwieriger geworden, die Erwartungshaltungen steigen, der Zeitdruck ist enorm. Wie viel Platz bleibt hier noch für das Nachdenken darüber, was eigentlich verantwortungsvolle Forschung im wissenschaftlichen Alltag bedeutet?


uni:view: Im März 2016 schickt die Universität Wien den Forschungsnewsletter zum mittlerweile 100. Mal "in die Welt". Warum finden Sie es wichtig, die Gesellschaft über Ihre Forschungsergebnisse zu informieren?
Ulrike Felt: Der regelmäßige Austausch mit gesellschaftlichen AkteurInnen über Forschungsergebnisse und dahinter liegende Prozesse ist aus drei Gründen zentral. Der erste ist ein demokratiepolitischer. Heutige Gesellschaften sind so stark von Wissenschaft und Technik geprägt und Forschung wird von öffentlicher Hand finanziert, also sollten BürgerInnen auch entsprechend darüber informiert werden. Der zweite Grund ist mit dem Vertrauen in Wissenschaft verknüpft. Nur durch regelmäßige Interaktion können auch wissenschaftsgestützte Problemlösungen gesellschaftlich umgesetzt werden. Und drittens braucht Wissenschaft auch das Feedback der Gesellschaft. Erfahrungen, kritische Fragen und Einschätzungen der BürgerInnen sind oft ein wesentlicher Anstoß zur Reflexion und damit zur Weiterentwicklung von Wissenschaft.

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Ein "Vertrag" mit der Gesellschaft

Forschung ist nicht nur ein wesentlicher gestaltender Faktor heutiger Gesellschaften, sie wird auch großteils über Steuergelder, also von der Gesellschaft, finanziert. "Man muss sich das wie einen impliziten Vertrag zwischen Wissenschaft und Gesellschaft vorstellen. Wissenschaft erhält die Möglichkeit, sich relativ frei nach ihren Regeln zu entwickeln, aber dies bedeutet, dass sie auch verantwortlich mit dieser Freiheit umgehen muss", so die Wissenschaftsforscherin Felt.

"Zwischen Wissenschaft und Gesellschaft besteht eine gegenseitige Verantwortung", erklärt sie weiter: "Es wird heute von Wissenschaft erwartet, dass sie sich mehr als früher explizit mit gesellschaftlichen Werten, Normen und Erwartungen auseinandersetzt, also mit den Rahmenbedingungen, unter denen sie sich entwickeln kann. In unserer neuen Forschungsplattform schauen wir uns an, was diese Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft für die wissenschaftliche Praxis selbst bedeutet."

"Ehrlichkeit in den Versprechen, welche Probleme Wissenschaft lösen können wird, Sorgfalt im Umgang mit Forschungsdaten, aber auch eine gewisse Voraussicht, wo Probleme entstehen könnten, ist gerade in Hinblick auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft eine Grundvoraussetzung", so Ulrike Felt.
Lesetipp von Ulrike Felt zum Thema: "How many scientists fabricate and falsify research? A systematic review and meta-analysis of survey data" (Daniele Fanelli, 2009, Fachmagazin PLoS One)


Das Dilemma des Zeit- und Konkurrenzdrucks

Abseits der Wissenschaftscommunity vielleicht wenig bekannt ist, dass ForscherInnen durchaus auch unter Konkurrenzdruck stehen: Die Einwerbung von Fördergeldern in Form von Drittmitteln sowie der große Publikationsdruck lassen die sogenannte "Freiheit der Wissenschaft" in einem etwas anderen Licht erscheinen. Welche Themen gefördert werden und welche gut publiziert werden können, bestimmt mit, woran geforscht wird. Aber sind dies immer die Themen, die Wissenschaft und Gesellschaft längerfristig nachhaltig voran bringen werden?

All das sind spannende und sicherlich keine leichten Fragestellungen, mit denen sich die neue Forschungsplattform die nächsten drei Jahre auseinandersetzen wird. In enger Zusammenarbeit mit KollegInnen aus den Naturwissenschaften, wo dieser Konkurrenzdruck besonders stark zu spüren ist – Gründungsmitglieder der Plattform sind die Molekularbiologin Renée Schroeder und der Ökosystemforscher Andreas Richter. "Gemeinsam werden wir uns zu Fragen rund um wissenschaftliche Verantwortung austauschen und in dem Bereich Forschung durchführen", so Felt.

Vertrauen ist gut, Reflexion ist besser

Eine Vielzahl größerer und kleinerer Betrugsfälle, u.a. in den USA, haben das öffentliche Vertrauen in die Wissenschaft in den letzten Jahren immer wieder auf die Probe gestellt. Für Felt geht das Problem weit über die zum Glück noch immer recht seltenen Fälle bewussten Betrugs hinaus: "In immer mehr wissenschaftlichen Feldern wird die mangelnde Reproduzierbarkeit von Studien ein dringliches Thema, und in den letzten Jahren mussten in vielen Bereichen mehr Veröffentlichungen zurückgezogen werden als jemals zuvor. Die heutigen Rahmenbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens scheinen auch die Sicherung dessen Qualität vor neue Herausforderung zu stellen." Und sie ist dabei überzeugt: "Wirklich lösen können wir die Probleme nur gemeinsam mit den ForscherInnen, nicht indem wir ihnen von außen Regeln vorschreiben."

Gedanken über den Nachwuchs


"Nicht jede Innovation, nicht jedes neue Wissen ist für alle gut", betont Ulrike Felt abschließend: "Studierende sollten sich bereits während des Studiums mit dem Thema Verantwortung im weitesten Sinn auseinanderzusetzen. Aber auch die Universität als Bildungseinrichtung hat die Verpflichtung, einen Raum zu schaffen, in dem darüber nachgedacht werden kann, wohin sich Forschung in Interaktion mit der Gesellschaft entwickeln soll bzw. kann." Daher sollte den Studierenden bereits in der Phase der Ausbildung, aber besonders im Master- und Doktoratsbereich die Möglichkeit geboten werden, sich mit ihrer persönlichen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft auseinanderzusetzen. (td)

Die Forschungsplattform "Responsible Research and Innovation in Academic Practice" unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ulrike Felt startete im Herbst 2015 mit einer Laufzeit von drei Jahren. Beteiligt sind die Fakultät für Sozialwissenschaften, die Fakultät für Lebenswissenschaften und der Forschungsverbund "Chemistry meets Biology". Derzeit arbeiten neben Ulrike Felt, Renée Schroeder und Andreas Richter auch Lisa Sigl als Postdoc und Maximilian Fochler als assoziierter Forscher an der Plattform mit.