Vom Sternpolymer zum maßgeschneiderten Werkstoff

Ob in Verpackungen oder Textilien – Kunststoffe finden sich heute überall. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt in der Anpassungsfähigkeit von Eigenschaften wie Härte oder Elastizität. Der Chemiker Gerhard Zifferer nutzt Computersimulationen, um polymere Systeme besser zu verstehen.

"Am Institut für Physikalische Chemie besteht eine lange Tradition in der Simulation polymerer Systeme und der Modellierung von Polymerisationsprozessen", sagt Gerhard Zifferer von der Arbeitsgruppe Komputative Physikalische Chemie und Polymerchemie. Das Untersuchungsspektrum ist breit gefächert. Erforscht werden die unterschiedlichsten Typen von Makromolekülen: von linear gebauten Ketten über ringförmig verknüpfte Moleküle bis hin zu sternförmig verzweigten Polymeren." Es ist eine faszinierende Aufgabe, die gesamte Vielfalt der Polymermoleküle in ihren verschiedenen Erscheinungsformen systematisch zu analysieren", so Zifferer.


Visualisierung von sternförmig verknüpften Polymeren mit vier (oben), acht (Mitte) und zwölf (unten) Armen und unterschiedlicher Anordnung von zwei Monomersorten.



Bemerkenswerte Eigenschaften


Für den Chemiker sind Polymere "der" Werkstoff schlechthin: "Diese Stoffe haben bemerkenswerte Eigenschaften, die sich in einem enorm breiten Ausmaß variieren lassen und mit anderen Materialen überhaupt nicht realisierbar wären", stellt der Wissenschafter klar. Als Beispiel verweist er etwa auf extrem dehnbare Plastikfolien oder Sturzhelme, die einerseits aus hartem und andererseits aus elastischem, gut formbarem Kunststoff bestehen müssen, um bei einem Sturz die Wucht des Aufpralls abfedern zu können.


Bei der Produktion von Sturzhelmen sind spezielle, sogenannte "schlagzähe" Materialien gefragt, die sowohl über eine gewisse Härte als auch Elastizität verfügen.



Besonders prädestiniert für Werkstoffe mit "maßgeschneiderten" Eigenschaften erscheint die Gruppe der sternförmig verzweigten Polymere. Diese bestehen – auf molekularer Ebene betrachtet – nicht aus einer geradlinigen Struktur, sondern weisen im Zentrum eine Verzweigung auf, von der drei oder mehr Arme weggehen. Genau hier liegt auch das Hauptaugenmerk des aktuellen Forschungsprojekts des Chemikers, der sich eine detaillierte Untersuchung der Sternpolymere zum Ziel gesetzt hat. "Wenn hier in der Grundlagenforschung neue Erkenntnisse gewonnen werden, bringt das auch unmittelbar neue Möglichkeiten für innovative Werkstoffe", betont Zifferer.

Modellrechnung am Computer

Um die molekularen Vorgänge zu verstehen, die hierbei eine Rolle spielen, greifen der Forscher und sein Team u.a. auf die geballte Rechenpower von Supercomputern wie dem Vienna Scientific Cluster (VSC) zurück. "Computersimulationen ermöglichen in außerordentlich effizienter Weise ein Studium der Eigenschaften von Polymeren sowie die Untersuchung kinetischer Aspekte des Polymerisationsprozesses", erklärt der Projektleiter. Mithilfe derartiger Simulationen seien sogar Details zugänglich, die sich experimentellen Methoden entziehen.

Interessante Resultate


Die Ergebnisse der Simulationen fasst der Forscher wie folgt zusammen: "Mit Hilfe von mesoskopischen Methoden, bei welchen mehrere Grundbausteine des Polymers (die sogenannten Monomere) zu Einheiten zusammengefasst werden, gelang uns eine systematische Untersuchung von Größe, Gestalt und Orientierung der Moleküle: von der Ausgangssituation in einer hochverdünnten Lösung über stärker konzentrierte Systeme von Homo- und Copolymeren (d.h. eine bzw. zwei Monomersorten) bis hin zum lösungsmittelfreien festen Polymer. Dabei spielt jeweils die Zahl und Länge der Arme sowie die Qualität des Lösungsmittels eine Rolle", erläutert er. Besonders erwähnenswert sei in diesem Zusammenhang folgendes Ergebnis: "Bei höher konzentrierten Copolymersystemen bilden sich geordnete Strukturen aus."

Neben Monte Carlo Methoden (MC), bei denen der Aufbau einzelner Moleküle durch Zufallsprozesse erfolgt, hat sich auch die noch relativ neue "Dissipative Particle Dynamics"-Technik (DPD), bei der die zeitliche Änderung des Systems verfolgt wird, als vielversprechend erwiesen. "Unter anderem ist es uns gelungen, den günstigsten Parameter für eine wichtige Synthesemethode für sternförmig verknüpfte Polymere (die sogenannte Z-RAFT Sternpolymerisation) vorauszusagen, was in Göttingen auch experimentell verifiziert wurde", freut sich Zifferer.


Zentraler Schritt der Z-RAFT Polymerisation eines 4-Arm-Sterns (links) und dessen Repräsentationen in zwei verschiedenen Simulationsmethoden (DPD oben und MC unten).



Zwischen Experiment und Theorie


Numerische Verfahren sind im Gegensatz zu theoretischen Ansätzen weitgehend voraussetzungsfrei und somit hervorragend geeignet, die Qualität von Theorien kritisch zu überprüfen. "Die Modellrechnung dient demzufolge nicht als Selbstzweck, sondern liefert – als aussagekräftiges Bindeglied zwischen Experiment und Theorie – eine wichtige Unterstützung auf dem Weg zu maßgeschneiderten Produkten und zur Optimierung von Prozessen", erläutert Zifferer, der mit seinem Forschungsprojekt auch dazu beitragen will, Wien als Forschungsstandort mit langer Tradition in der Simulation von polymeren Systemen stärker zu etablieren. (ms)

Das FWF-Projekt "Properties of star-branched (co)polymers" von Ao. Univ-Prof. Mag. Dr. Gerhard Zifferer lief vom 1. März 2008 bis 31. Dezember 2011. Externer Kooperationspartner ist Prof. Mag. Dr. Philipp Vana, Institut für Makromolekulare Chemie, Georg-August-Universität Göttingen.