Trennung von Tisch und Bett

Vor Einführung der Zivilehe gab es im katholischen Raum keine Scheidung. Oder doch? KatholikInnen konnten sich immerhin "von Tisch und Bett trennen". Die Historikerin Andrea Griesebner bringt diese beinahe in Vergessenheit geratene Institution wieder ans Tageslicht.

"Die Ehe ist ein weltlich Ding", sagte Martin Luther. Die Katholische Kirche sieht das anders, weshalb es nach wie vor nicht möglich ist, das "vor Gott geknüpfte eheliche Band" durch "Menschenhand" zu trennen. "Mit dem ausgehenden Mittelalter hat sich die Meinung durchgesetzt, dass christliche Ehepaare verpflichtet sind, miteinander zu leben und die Ehe nicht aufkündigen dürfen", berichtet Andrea Griesebner vom Institut für Geschichte.

Von ehelichen Pflichten

Was unternahmen also katholische Ehepaare, wenn sie nicht mehr miteinander leben wollten? Sie gingen vor das Kirchengericht – nach 1783 vor ein weltliches – und forderten die "Trennung von Tisch und Bett". Neben Trennungsverfahren spielten zwischen dem 16. und beginnenden 19. Jahrhundert aber auch Cohabitierungsverfahren eine wichtige Rolle. "Verließ ein Ehepartner den anderen, konnte dieser auf Cohabitierung – also auf Wiederaufnahme des Zusammenlebens – klagen. Er oder sie forderte das Gericht auf, den Ehepartner zu stellen", erzählt der Dissertant Georg Tschannett. "Dabei ging es nicht immer um das Zusammenleben an sich, sondern oft auch um das Thema Sexualität", ergänzt Griesebner.


Dieser Artikel erschien im Forschungsnewsletter März 2012.
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Unerforschtes Terrain


Im FWF-Projekt "Ehen vor Gericht" untersuchen die beiden – zusammen mit der Historikerin Susanne Hehenberger – die Ehegerichtsbarkeit im Erzherzogtum Österreich unter der Enns – also im Wesentlichen die heutigen Bundesländer Niederösterreich und Wien – vom ausgehenden 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. "Anders als im protestantischen Raum ist die Geschichte der Ehegerichtsbarkeit im katholischen Raum kaum erforscht. Man war der Meinung, es gab keine Scheidung – die Institution 'Trennung von Tisch und Bett' wurde schlichtweg vergessen", erläutert Griesebner die Hintergründe.


Kurioses aus dem Ehealltag

Für Österreich sind die HistorikerInnen nun die ersten, die sich durch die Berge von Konsistorialprotokollen im Wiener Diözesanarchiv und Magistratsakten im Wiener Stadt- und Landesarchiv wühlen, die vorhandenen Eheverfahren erheben, digitalisieren und transkribieren, um schlussendlich deren Eckdaten in eine Datenbank einzuspeisen. "Wir sind auf eine großartige Quelle für Geschlechter-, Alltags- und Sozialgeschichte gestoßen", freut sich die Projektleiterin, die natürlich auch jede Menge kurioser Geschichten zu erzählen hat: "Geschlechtskrankheiten sind bei vielen historischen Ehestreitigkeiten das Top-Thema. Gefunden habe ich auch Anfragen von Männern, die ihre Frauen ins Kloster abgeben möchten", schmunzelt die Forscherin, zu deren Schwerpunkten unter anderem die Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit gehört.


Mit viel Zeit und Geduld finden die ForscherInnen in den dicken Schwarten interessante Details aus dem Beziehungsalltag. (Konsistorialsitzung, 14. Juni 1782, Foto: Diözesanarchiv Wien)



Mundgeruch oder "falscher Sex"


Im Zeitraum von 1770 bis 1780, den das Forschungsteam unter Mithilfe der Studierenden Eva Hallama und Martin Alexander Kirschner bereits erhoben hat, gingen in Wien jährlich etwa 50 bis 70 Paare vors Ehegericht. Die Trennungsgründe dabei waren vielschichtig: von physischer Gewalt über Beschimpfungen, Ehrenbeleidigungen, Ehebruch oder "liederlichem Umgang mit anderen Weibs- oder Mannsbildern", bis hin zu körperlichem Ekel, Mundgeruch oder "falschem" Sex – sprich Sexualitätspraktiken, die nach kirchlicher Norm als "widernatürlich" galten –, oder einfach Probleme mit der Schwiegermutter. Selbstverständlich können die vorgebrachten Argumente nicht eins zu eins als historische Tatsachen gelesen werden: "Auch damals hat der Anwalt den Eheleuten zu dem einen oder anderen Argument geraten", erzählen Tschannett und Griesebner.

Trennung auf Zeit

Das Jahr 1783 war eine Zäsur in der Ehegerichtsbarkeit. Mit dem Josephinischen Ehepatent ging diese von den Kirchengerichten an die weltlichen Gerichte – die den sakramentalen Charakter der Ehe anerkannten – über: "An der Konzeption der Scheidung hat sich nichts geändert. Die Scheidung war weiterhin nur als Unterbrechung der Ehe gedacht", so Tschannett. Aber während die Konsistorien – bischöfliche Kirchengerichte – die Trennung meist auf ein halbes oder ganzes Jahr begrenzt hatten, gab es diese "Toleranz" vor den weltlichen Gerichten nicht mehr. Die Trennung wurde meist unbefristet ausgesprochen.

Geschlechterrollen

In der Frühen Neuzeit war es noch gängige Praxis, dass nach der Trennung der wohlhabendere Ehepartner den anderen alimentierte. Nach dem Josephinischen Gesetzbuch von 1787, das u.a. auch festschrieb, dass der Mann den gemeinsamen Wohnsitz des Ehepaars zu bestimmen hat, wurde die Zahlung von Alimenten ebenfalls zur "Männersache". Damit trug das Eherecht zur Herstellung einer binären, bürgerlichen Geschlechterordnung bei, welche teilweise bis weit ins 20. Jh. Gültigkeit besitzen sollte. (ps)

Das FWF-Projekt "Ehen vor Gericht" läuft von 1. Oktober 2011 bis 30. September 2014 unter der Leitung von ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Andrea Griesebner vom Institut für Geschichte. ProjektmitarbeiterInnen sind Mag. Dr. Susanne Hehenberger und Mag. Georg Tschannett, ebenfalls vom Institut für Geschichte. Die Studierenden Eva Hallama und Martin Kirschner vom Institut für Geschichte helfen bei der  Datenerhebung.

*Foto: Wiener Stadt und Landesarchiv, Magistratisches Zivilgericht, A 6 – Ehesachen: 65/1848