Sex im Harem: Ig-Nobelpreis für Universität Wien

Hat der marokkanische Herrscher Moulay Ismael (1634-1727) tatsächlich 888 Kinder gezeugt? Dem sind Elisabeth Oberzaucher und Karl Grammer von der Universität Wien mit Hilfe eines mathematischen Modells nachgegangen und erhielten dafür einen "Ig-Nobelpreis" für Mathematik.

Die an der Harvard University zum 25. Mal vergebenen Auszeichnungen sollen "das Ungewöhnliche feiern und das Fantasievolle ehren" und belohnen Forschung, die "erst zum Lachen und dann zum Denken anregt". Der Preis-Name ist ein Wortspiel (ignoble heißt auf Deutsch unwürdig). Bereits 2011 erhielten die Forscher Natalie Sebanz, Isabella Mandl und Ludwig Huber von der Universität Wien den Ig-Nobelpreis für ihre Studie, dass Gähnen bei Rotfußschildkröten nicht ansteckend wirkt.

Der marokkanische Herrscher Moulay Ismael (1634-1727), genannt der "Blutrünstige", soll laut Guinness Buch der Rekorde 888 Kinder gezeugt haben. Oberzaucher und Grammer legten ihren Untersuchungen den Bericht eines französischen Diplomaten aus dem Jahr 1704 zugrunde, der damals notierte, dass Moulay 600 Söhne von vier Ehefrauen und 500 Konkubinen hatte. Berücksichtigt man, dass damals lediglich die Töchter der Gattinnen leben durften, während jene der Konkubinen nach der Geburt getötet wurden, kamen die Forscher auf eine Kinderzahl von rund 1.171 in einer Zeitspanne vom Antritt seiner Regentschaft 1672 bis 1704, also 32 Jahre.

Da der Diplomaten-Bericht die einzige verlässliche Quelle aus dieser Zeit ist, konzentrierten sich Oberzaucher und Grammer auf die ersten 32 Jahre der Regentschaft des "Blutrünstigen" – obwohl sein "Reproduktionserfolg" bis zu seinem Tod 1727 wahrscheinlich substanziell höher war. Seinen Beinamen verdankte der Mann übrigens auch seinen brutalen Methoden zur Sicherstellung seiner Vaterschaft.

Computermodell zu Reproduktionsbemühungen

Für ihre Publikation erstellten die ForscherInnen der Universität Wien ein Computermodell von Moulay Ismaels Reproduktionsbemühungen. Dabei galt es die unterschiedlichsten Faktoren zu beachten: Das reicht von unterschiedlichen Modellen, mit denen die Wahrscheinlichkeit der Zeugung eines Kindes während des weiblichen Zyklus bewertet werden, über religiöse Tabus (kein Geschlechtsverkehr während der Menstruation) bis zum Einbeziehen von Fehlgeburten.

Außerdem kalkulierten die beiden BiologInnen die Möglichkeiten ein, dass der "Blutrünstige" einerseits auf Zufallsbasis "wild herumgeschnackselt" haben könnte, aber auch, dass bei der Wahl seiner Sexpartnerinnen durchaus auch Liebe und Favoritinnen eine Rolle gespielt haben. Vor Probleme gestellt haben dürfte ihn auch die Tatsache, dass in einem Harem sich der Ovulationsrhythmus der Frauen angleicht.

Trotz all dieser Unwägbarkeiten kamen sie zum Schluss, dass Moulay Ismael seine kolportierte Kinderanzahl tatsächlich aus eigener Kraft geschafft haben könnte. Außerdem zeigten sie, dass er dazu sogar weniger Sex haben musste als in bisherigen Forschungsarbeiten angenommen – und dass sein Harem eigentlich zu groß war: 65 bis 110 Frauen würden zum maximalen Reproduktionserfolg ausreichen.

Arbeit war "Fingerübung im Programmieren"

Den Ig-Nobelpreis findet Grammer "zunächst einmal lustig". Verbunden damit sei aber auch die Hoffnung, "dass nun der Artikel häufiger zitiert wird". Auf das Thema sei er während eines Vortrags vor 1.000 ReproduktionsmedizinerInnen gekommen, "als ich mich fragte, wie hoch der Aufwand für die menschliche Produktion sei", sagte Grammer. Weil die MedizinerInnen keine Antwort gewusst hätten, habe er mit Oberzaucher nachgerechnet, wobei er die Arbeit als "Fingerübung im Programmieren" bezeichnete.

Elisabeth Oberzaucher, die die Auszeichnung bei der skurrilen Verleihungs-Zeremonie selbst abholte, wurde 1974 in Förolach (Kärnten) geboren. Sie studierte an der Universität Wien Biologie und schrieb ihre Diplomarbeit (2000) zum Thema "Phytophilie, die positiven Auswirkungen von Grünpflanzen auf die kognitive Leistungsfähigkeit". Ihr Doktoratsstudium am Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie schloss sie 2003 ab. Sie lehrt am Department für Anthropologie der Universität Wien und ist Herausgeberin des Fachjournals "Human Ethology Bulletin".

Der gebürtige Deutsche Karl Grammer (Jahrgang 1950) studierte Zoologie an der Uni München, forschte an der damals von Irenäus Eibl-Eibesfeldt geleiteten Forschungsstelle Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft in Seewiesen, wo er auch seine Doktorarbeit schrieb. 1990 habilitierte er sich an der Universität Wien, wo er von 1991 bis 2008 das Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtethologie leitete und als Professor am Department für Anthropologie tätig ist. (APA/red)

Das Paper "The Case of Moulay Ismael - Fact or Fancy?" (AutorInnen Elisabeth Oberzaucher und Karl Grammer) erschien am 14. Februar 2014 im Journal PLOS ONE.