Schule: Interethnische Gewalt oder friedliches "Multikulti"?
| 16. Januar 2013Gibt es an österreichischen Schulen Gewalt zwischen SchülerInnen aufgrund ihrer unterschiedlichen ethnischen Herkunft? Dieser Frage gingen die beiden PolitikwissenschafterInnen Birgit Sauer und Edma Ajanovic nach. Das Ergebnis: Ethnische Differenz ist selten der Auslöser für Gewalterfahrungen.
"Über interethnische und interkulturelle Gewalt in Schulen ist in Österreich bisher noch sehr wenig geforscht worden. Es ging uns daher in erster Linie einmal darum, in ausgewählten Schulen in Wien, Oberösterreich, Salzburg und Kärnten einen Überblick über die Situation zu gewinnen", erklärt Projektleiterin Birgit Sauer vom Institut für Politikwissenschaft das Forschungsgebiet: "Das Ergebnis ist ebenso erstaunlich wie erfreulich: Die von uns untersuchten, oft sehr 'multikulturellen', Schulen sind generell Räume, wo ethnische Differenz anerkannt ist und es deswegen kaum zu Gewalt kommt."
"Spannend ist, dass auch die Projektpartner aus Universitäten in Slowenien, Italien, Großbritannien und Zypern zu ähnlichen Ergebnissen gekommen sind", fügt Projektmitarbeiterin Edma Ajanovic hinzu. Die Leitung des von der EU-Kommission geförderten Projekts "Children's Voices: Exploring Interethnic Violence and Children's Rights in the School Environment", das nach zweijähriger Dauer im Dezember 2012 zu Ende ging, hatte die Universität von Primorska (Koper/Slowenien) inne. Erklärte Ziele der Länderstudien waren, Formen von interethnischer Gewalt zu identifizieren, das Ausmaß von Gewalterfahrungen abzuschätzen und präventive Maßnahmen vorzuschlagen.
Über Gewalt reden
"Wie stellst du dir eine friedliche Schule vor? Entspricht eure Schule diesem Bild?" Das waren zwei Fragen, mit denen die Politikwissenschafterinnen Jugendliche zu einem Gespräch über ihre Gewalterfahrungen – als Opfer, TäterInnen und BeobachterInnen – heranführten. In jedem Bundesland besuchten sie vier Schulen unterschiedlicher Schultypen und befassten sich im Rahmen von Fokusgruppen, einer speziellen Form der Gruppendiskussion, mit jeweils zwei Klassen. Zielgruppe waren Elf- und Zwölfjährige sowie Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren.
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Zuvor haben die Wissenschafterinnen mithilfe eines quantitativen Fragebogens mehr als 700 Jugendliche zum Thema befragt. "Eine Herausforderung war es, kulturelle Identitäten überhaupt einmal 'festzumachen'. Wir haben uns dann stark auf die Sprache konzentriert, die zu Hause gesprochen wird. Die Jugendlichen haben auch auf Kleidung, z.B. das Kopftuch, oder körperliche Merkmale, wie die Hautfarbe, Bezug genommen, wenn es um Gewalterfahrungen aufgrund von 'Andersartigkeit' ging", sagt Ajanovic.
Verbaler Angriff
Wenn interethnische Gewalt passiert, dann in erster Linie in verbaler Form. Physische Gewalt, die man selbst erfährt oder aber bei anderen Jugendlichen beobachtet, kommt viel seltener und dann eher bei der Gruppe der Elf- bis Zwölfjährigen vor. Ältere Jugendliche sind hier bereits sensibilisierter. Sauer schildert: "Gewalttätiges Handeln ist ein dynamischer Prozess. Unsere Ergebnisse zeigen, dass den spezifischen Anlässen für einen Streit kaum interethnische Konflikte zugrunde liegen. In der verbalen Auseinandersetzung greifen SchülerInnen dann aber auf Stereotype zurück und verletzen durch abschätzige Bemerkungen über die Herkunft oder körperliche Merkmale."
Die Forscherinnen stellten fest, dass zwei Gruppen – Kurden sowie Roma und Sinti – davon eher betroffen sind als andere. Junge Menschen dahingehend zu sensibilisieren, dass auch "böse Worte" Gewalt sein können, erachten die Wissenschafterinnen daher als besonders wichtige Aufgabe.
Good practice
Gemeinsame Aktivitäten, in denen immer wieder die Gruppenbildung in der Klasse reflektiert und "Cliquen" zusammengeführt werden, wirken präventiv. Erfolgreich sind auch "Peer-Mediationen", bei denen SchülerInnen als Streitschlichter eingesetzt werden sowie Veranstaltungen, die den SchülerInnen die Besonderheiten anderer Kulturen – z.B. typische Speisen – näherbringen. "Im Rahmen der Studie sind wir auf zwei Schulen gestoßen, in denen solche Aktivitäten stattfinden und wo das Zusammenleben besonders gut funktioniert und interethnische Gewalt überhaupt kein Thema ist. Das sind Schulen, die bewusst multikulturell und stolz auf ihre Vielfalt sind", schließt Ajanovic. (dh)
Das Projekt "Children's Voices: Exploring Interethnic Violence and Children's Rights in the School Environment", finanziert von der EU-Kommission, lief von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2012. Das österreichische Teilprojekt an der Universität Wien leitete Univ.-Prof. Dr. Birgit Sauer; Projektmitarbeiterin ist Mag. Edma Ajanovic. Partner: Universität Primorska (Leitung Gesamtprojekt; Slowenien), Universität Triest (Italien), CCCI-London South Bank University (Großbritannien), Europäische Universität Zypern.