Religiöser Alltag bei den frühen Christen

Von Gebetsnischen bis Hauskapellen – häusliche Religion war entscheidend für die Entwicklung des Christentums. Doch wie sah der private religiöse Alltag der frühen ChristInnen aus? Ein interdisziplinäres Team aus Theologie und Archäologie begibt sich auf eine spannende antike Spurensuche.

"Wenn ich jemandem erkläre, zu welchem Thema ich arbeite, fällt den meisten zuerst der Herrgottswinkel ein – eine Zimmerecke, die mit einem Kruzifix, oft auch Kerzen oder Heiligenbildern gestaltet ist", erzählt Markus Öhler, Vorstand des Instituts für Neutestamentliche Wissenschaft. Dieser Ort der Andacht, wie er auch heute noch hier in Österreich in vielen christlichen Haushalten zu finden ist, verbreitete sich bereits ab dem Mittelalter. Doch wie sah es zur Anfangszeit des Christentums aus? Wie wurde damals häusliche Religion gelebt?

In einem aktuellen Projekt gehen evangelische Theologen der Universität Wien gemeinsam mit ArchäologInnen vom Institut für Kulturgeschichte (IKAnt) der ÖAW genau dieser Frage nach. "Wir wollen erstmals untersuchen, wie die alltägliche Religiosität bei den frühen ChristInnen im privaten, häuslichen Bereich ausgesehen hat. Das ist wichtig, weil sich das Christentum nicht aus einem öffentlichen Kult, sondern im Kontext von Familie und Haus entwickelt hat", betont Öhler, der mit seiner Arbeit neue Perspektiven für das Verständnis des frühen Christentums eröffnen möchte.

"Das Projekt beschäftigt sich mit zwei Phasen des Christentums: den ersten beiden Jahrhunderten, in denen vor allem literarische Zeugnisse Einblicke in die frühchristliche Religiosität bieten, und der Zeit des 3. bis 6. Jahrhunderts, für die durch archäologische Funde entsprechende Rekonstruktionen möglich sind", so Markus Öhler. (Foto: Flickr.com/Steve Snodgrass CC-BY 2.0)

Schwierige Detektivarbeit

Um die aufgrund von Verfolgung und internen Auseinandersetzungen eher chaotische Anfangsphase der späteren Weltreligion nachvollziehen zu können, muss das Projektteam rund um den Theologen verschiedene Puzzleteile zusammenfügen. "Das ist schwierige Detektivarbeit", meint der Projektleiter: "Es reicht nicht, einfach christliche Texte dieser Zeit zu lesen. Man muss sich vielmehr mit der gesamten Religionsgeschichte der Antike befassen und verschiedene Quellen wie Literatur, Papyri, Inschriften oder auch archäologische Funde aus paganer Tradition in die Analyse miteinbeziehen".

Dazu kommt, dass das Christentum während seiner Anfangsphase noch sehr unorganisiert war: "Es wurde viel herumexperimentiert. Außerdem gab es unterschiedliche Gruppen, die sich oft sogar gegenseitig der Ketzerei bezichtigten. Erst um 130 n. Chr. hat sich dann langsam das herauskristallisiert, was wir heute als christlichen Glauben kennen", schildert Öhler.

Private Betrituale

Und welche Puzzleteile haben die WissenschafterInnen schon gefunden? "Zum Beispiel besagt ein Text aus dem Matthäus-Evangelium: 'Wenn du betest, dann gehe in die hinterste Kammer.' Religiosität ist nach dieser Auslegung also nichts für eine beobachtende Öffentlichkeit, sondern etwas Privates", stellt Öhler klar. Dabei müsse man bedenken, dass in der Antike ein großer Teil des Eigenheims als öffentlich angesehen wurde. "Das zurückgezogene Beten war so gesehen schon etwas Besonderes."
Wie diese privaten Gebetsrituale konkret ausgesehen haben, lasse sich aber nicht pauschal sagen. "Das war sehr unterschiedlich. Es gab noch keine festgeschriebenen Regeln", so der Forscher.

Auch über die Ausstattung für die religiösen Handlungen sei wenig bekannt. "Die archäologischen Spuren dazu sind sehr spärlich gesät und aus später Zeit." Das hängt auch damit zusammen, dass hierfür offensichtlich viele kleinere Objekte verwendet wurden, die im Laufe der Geschichte verlorengegangen sind. Es gab lediglich kleine Baunischen oder Wände, auf die z.B. ein Kreuz aufgemalt war.

Eine der wenigen erhaltenen Indizien für häusliche Religion zur Zeit des spätantiken Christentums ist diese Wandmalerei, die in einem der Hanghäuser in Ephesos in der heutigen Türkei zu sehen ist. Sie zeigt den unteren Teil eines Kreuzes, daneben einen Pfau. (Foto: ÖAW)

Ausgrabungen in Rom und Pompeji

Um sich selbst ein Bild machen zu können, wie solche antiken Gebetsnischen oder Hauskapellen ausgesehen haben, hat das interdisziplinäre Projektteam der Universität Wien und der ÖAW bereits mehrere interessante Ausgrabungsstätten besucht. "Wir waren im Februar dieses Jahres in Rom und Pompeji und haben u.a. christliche Funde aus dem 4. Jhdt. besichtigt, mit den ArchäologInnen vor Ort gesprochen und einige Vorträge gehalten", fasst Öhler das Erlebte zusammen.

Das Projekt läuft noch bis Herbst 2017; die Ergebnisse werden sowohl in einer gemeinsamen Buchpublikation für die interessierte Öffentlichkeit als auch im Rahmen einer Dissertation veröffentlicht. (ms)

Das FWF-Projekt "Die Anfänge häuslicher Religion im frühen Christentum" unter Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Markus Öhler, Vorstand des Instituts für Neutestamentliche Wissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät, läuft seit 1. Mai 2014 bis Herbst 2017. Kooperationspartner ist das Institut für Kulturgeschichte der Antike (IKAnt) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unter der Leitung von Dr. Andreas Pülz. MitarbeiterInnen sind Dr. Verena Fugger (IKAnt) und Mag. Rainer Gugl (Universität Wien).