Per Elektronenstrahl in die Tiefe der Erde

Seit kurzem ist das Department für Lithosphärenforschung der Universität Wien auf dem modernsten Stand der Technik: Mit einer neuen Elektronenstrahlmikrosonde im Wert von 1,3 Mio. Euro ist es den GeowissenschafterInnen möglich, Gesteine im sub-Mikrometer Maßstab zu analysieren.

Über 6.000 Kilometer trennen uns vom Erdmittelpunkt. Das tiefste Loch, das bis dato in die Erde gebohrt wurde, ist etwa 13 Kilometer tief, das sind rund zwei Promille des Erdradius. Zu wenig, um "die Erde zu verstehen", sagt Rainer Abart von der Universität Wien. Deshalb untersucht der Geowissenschafter Gesteine, die durch Tektonik oder Vulkanismus aus Tiefen von bis zu mehreren 100 Kilometern an die Oberfläche transportiert wurden: "Durch die Analyse solcher Gesteine und der sie aufbauenden Minerale erhalten wir Einblick in ihre Entstehungsgeschichte. Daraus gewinnen wir Erkenntnisse über den Aufbau, die Entwicklung und die Dynamik der Erde selbst."

Weg aus dem Erdmantel an die Oberfläche

Gesteine sind komplexe Materialien, die aus einer Vielzahl von Mineralen bestehen. Ihre internen Gefügeelemente liegen oftmals im Mikrometerbereich. Derart kleine Strukturen lassen sich mit konventioneller optischer Mikroskopie nicht mehr auflösen. Hier kommt das Elektronenmikroskop zum Einsatz. Durch die Analyse von Strukturen im Mikrometerbereich und chemischen Mustern können die GeowissenschafterInnen u.a. den Druck, die Temperatur und die Raten der Entstehung von Mineralen und Gesteinen bestimmen. "Für uns sind die Gesteine Beobachtungsfenster für die Prozesse des Erdinneren. Wir können den Pfad, den ein Gestein auf seinem Weg aus dem Erdmantel bis an die Erdoberfläche genommen hat, nachvollziehen", erklärt Rainer Abart.

"Für uns Geowissenschafter sind Gesteine zudem Archive der Erdgeschichte", so Rainer Abart, Leiter des Departments für Lithosphärenforschung und des Bereichs Elektronenstrahlmikroanalytik am Geozentrum der Universität Wien: "Mit der neuen Elektronenstrahlmikrosonde können wir die Prozesse, die sie im Erdinneren geformt haben, rekonstruieren." (Im Bild: Vorbereitung der Gesteinsproben für die Analyse mit der Elektronenstrahlmikrosonde, Foto Universität Wien)

Vulkanismus, Erdbeben und Co

Doch wieso ist die Geschichte, die von den oft nur wenige Mikrometer großen Mineralkörnern in Gesteinen "erzählt", so wichtig? Punktuelle, kurzfristige Ereignisse auf unserem Planeten wie beispielsweise Erdbeben sind eng mit langsamen, oft Millionen Jahre andauernden Prozessen, wie etwa der Verschiebung von Kontinenten, verknüpft. "Die ortsaufgelöste Analytik mit dem Elektronenstrahl eröffnet uns den Blick in die geologische Vergangenheit. Sie hilft uns damit aktuelle geologische Vorgänge einzuordnen und bis zu einem gewissen Grad zukünftige Entwicklungen zu antizipieren", bringt es Rainer Abart auf den Punkt.

Schneller, höher, heller

Die neue Elektronenstrahlmikrosonde am Department für Lithosphärenforschung verschafft den ForscherInnen besondere Einblicke. Im Gegensatz zu einem Elektronenmikroskop mit konventioneller Elektronenquelle verfügt das neue, mit einer Feldemissionskathode ausgestattete Gerät über eine deutlich höhere Elektronendichte und damit über einen "helleren" Strahl. Dadurch erreicht sie in der quantitativen Elementanalytik eine räumliche Auflösung von unter einem Mikrometer und kann somit auch kleinste Mineralkörner analysieren.

Feinste Zonierung von Phosphor als Spurenelement in Olivin, aufgenommen mit verschiedenen Kristallspektrometern an der Elektronenstrahlmikrosonde. Die Zonierung folgt den Wachstumsflächen eines facettierten Kristalls. (Probe T. Ntaflos)

Grundlagen und Anwendungen

Die Elektronenstrahlmikroanalytik kommt nicht nur in der Lithosphärenforschung zum Einsatz, auch andere Fachrichtungen der Fakultät für Geowissenschaften, Geographie und Astronomie können die Neuanschaffung nutzen. Zum einen wird die Sonde für Grundlagenforschung in den Erdwissenschaften herangezogen. Hier stehen vorwiegend magmatische und metamorphe Gesteine – im Fachjargon als "hard rocks" bezeichnet – im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Gefragt wird nach den Bedingungen und Mechanismen der Kristallisation, dem Verhalten der Elemente etc., um Aufschlüsse über die Dynamik des Erdinneren zu erhalten.
 
Zum anderen finden auch angewandte Projekte Eingang ins Labor. Darunter befindet sich etwa ein Projekt, das die industrielle Gesteinserzeugung – z.B. die Herstellung von feuerfesten Bauteilen für die Auskleidung von Hochöfen – untersucht. Derzeit müssen die synthetischen Gesteine bei über 2.000 Grad Celsius gebrannt werden. Das verbraucht unglaublich viel Energie. WissenschafterInnen der Universität Wien wollen diesen sogenannten Sinterbrand energieeffizienter machen.

Die Auslastung des High-Tech-Geräts ist natürlich sehr hoch, aber das Team rund um Rainer Abart bemüht sich, so viele Forschungsprojekte wie möglich unterzubringen. "Alle Gesteine enthalten Information. Mit Hilfe der Elektronenstrahlmikroanalytik können wir sie lesen und verstehen." (td)

Nähere Informationen zur neuen Elektronenstrahlmikrosonde der Universität Wien finden Sie auch in der Forschungsinfrastruktur-Datenbank des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw). Die Datenbank ermöglicht die Suche nach Forschungsstandorten und deren Forschungsinfrastrukturen.