Michael Wagner: "Verstehen ist meine Mission"
| 29. April 2013Er ist einer der führenden Mikrobiologen und seit kurzem Fellow der American Academy of Microbiology sowie Einstein-Professor der Chinese Academy of Sciences. Zusammen mit seinem Team hat Michael Wagner ein weltweit hoch angesehenes Zentrum für Mikrobiologie an der Universität Wien etabliert.
"Ich wollte immer auf einer Bühne stehen", erinnert sich Michael Wagner an seine Zeit als Sänger in einer Band. "Die Erfolge blieben damals leider aus. Vielleicht macht es mir auch deshalb so viel Spaß, im Audimax hunderten Studierenden die Grundlagen der Mikrobiologie zu erklären", schmunzelt er. "Reflektierte junge Leute heranzubilden, ist einer der schönsten Aspekte meines Jobs", so der Professor für Mikrobielle Ökologie und Leiter des neuen Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung an der Universität Wien. Seine Mutter und drei seiner Großeltern waren LehrerInnen – ihm wurden das Erklären und die Wissensvermittlung quasi in die Wiege gelegt.
Doch Michael Wagner ist nicht nur ein guter Lehrender, sondern auch ein exzellenter Forscher. Der ERC Advanced Grant-Preisträger ist einer der meistzitierten MikrobiologInnen der Welt. Seine aktuellsten Erfolge: die Aufnahme in die renommierte American Academy of Microbiology und die Auszeichnung mit der Einstein-Professur der Chinese Academy of Sciences. "Es ist ein gutes Gefühl, wenn die eigene Arbeit international Anerkennung findet und die Relevanz der Mikrobiologie für Mensch und Umwelt gesehen wird", kommentiert der Wissenschafter die Ehrungen.
Im Februar 2013 wurde Michael Wagner als Fellow in die American Academy of Microbiology aufgenommen. In die 1955 gegründete Akademie sind in diesem Jahr 87 neue Mitglieder gewählt worden. Einzige weitere in Österreich tätige WissenschafterIn unter den insgesamt 2.000 Mitgliedern ist Christa Schleper vom Department für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien. Die AAM ist Teil der American Society for Microbiology – die älteste und größte Gesellschaft der Lebenswissenschaften weltweit. Die Academy ist ihr Aushängeschild und berät die US-Regierung und Industrie als ExpertInnengremium in allen mikrobiellen Fragen – von Probiotikaforschung bis hin zu den Folgen des Unglücks auf der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko. |
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Teamplayer und Mentor
Außerdem: Ehrungen seien zwar schön, aber nicht das Wichtigste. Am meisten Spaß macht Wagner die Arbeit in seinem Team: "Die jungen engagierten WissenschafterInnen bei ihrer Karriere zu unterstützen und ihnen eine Perspektive zu bieten, befriedigt mich mehr als hundert Auszeichnungen."
Als Leiter der Abteilung Mikrobielle Ökologie arbeitet Wagner gemeinsam mit 56 ForscherInnen aus neun verschiedenen Ländern. Diese wissen den Einsatz ihres Mentors zu schätzen. "Einerseits wissen alle um die hohe Qualität und die ausgezeichnete personelle und gerätetechnische Ausstattung an unserer Abteilung. Andererseits schätzen sie hier die Freiheit und Eigenverantwortung in der Forschungsarbeit", so der Mikrobiologe, der erst im letzten Jahr aus diesen Gründen einen Ruf an die ETH Zürich abgelehnt hat. "Und wir sind ein sehr familienfreundliches Department – MitarbeiterInnen der Abteilung haben in den letzten zehn Jahren insgesamt 17 Babys bekommen", schmunzelt Wagner – selbst Vater dreier Kinder.
Anfang 2013 wurde Michael Wagner mit der Einstein-Professur der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) ausgezeichnet. Sie wird jährlich an 20 internationale WissenschafterInnen aller Disziplinen verliehen. Darunter viele NobelpreisträgerInnen. "Zu diesem kleinen Kreis an Top-WissenschafterInnen zu gehören, ist wirklich cool", freut sich Wagner. Im Rahmen der Einstein-Professur wird er im nächsten Jahr eine Vortragsreihe quer durch China unternehmen. Im Anschluss kommen zwei junge ForscherInnen der CAS für sechs Monate an die Universität Wien. "Die Idee dahinter ist Austausch. Es geht vor allem darum, Kooperationen mit chinesischen Forschungsgruppen und -institutionen aufzubauen", so Wagner über die Ziele der Einstein-Professur. |
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Die Mikrowelt erforschen
Ursprünglich wollte der gebürtige Münchner eigentlich Zoologie studieren. "Während des Biologiestudiums bin ich schließlich auf die begeisternde Parallelwelt der Mikroorganismen gestoßen", erzählt der Einstein-Professor und ergänzt: "Dass überall in der Umwelt und auch in und auf unserem Körper tausende zum Großteil noch unerforschte Mikroorganismenarten leben und für die Gesundheit unseres Körpers verantwortlich sind und Leben auf der Erde erst ermöglichen, war einfach faszinierend. Und es fasziniert mich immer noch."
Die Erforschung der enormen genetischen und funktionellen Vielfalt innerhalb der Mikroorganismen – sowie deren Folgen für Mensch und Natur – macht für Wagner den größten Reiz seiner Arbeit aus. "Es ist wie einen unbekannten Regenwald zu betreten, ständig neue Lebewesen zu entdecken, zu beobachten, was sie machen, was sie fressen und wie sie sich gegenseitig und das Ökosystem beeinflussen – nur eben im mit dem bloßen Auge Unsichtbaren", so Wagner.
Dabei ist auch viel Kreativität gefragt. "Bakterien sind ungefähr einen tausendstel Millimeter groß, und wir müssen uns überlegen, wie wir sie – z.B. durch neuartige molekularbiologische oder bildgebende Verfahren – identifizieren und ihre Funktion in ihrer natürlichen Umgebung beobachten können", erklärt der Mikrobiologe und bedauert, dass die meisten Menschen nur die negative Seite der Mikroorganismen wahrnehmen. "Doch der Großteil der Bakterien ist gut. Sie helfen uns zum Beispiel in der Landwirtschaft und bei der Lebensmittelherstellung, spielen bei der Abwasserreinigung und der Sanierung kontaminierter Böden und Gewässer eine zentrale Rolle und erfüllen auch im menschlichen Körper eine Vielzahl wichtiger Funktionen – kein Wunder also, dass der Mensch mehr Bakterienzellen als menschliche Zellen in seinem Körper trägt", betont Wagner.
Forschung für Umwelt und Mensch
Stichwort Umwelt: Der weltweit aus dem Gleichgewicht geratene Stickstoffkreislauf ist eines der großen Themen an der Abteilung für Mikrobielle Ökologie. "Wir erforschen Mikroorganismen, die zentrale Schritte in diesem wichtigen Stoffkreislauf durchführen, auch um die dramatischen Veränderungen, die der Mensch durch ungenügende Abwasserreinigung und Überdüngung in der industriellen Landwirtschaft verursacht, besser verstehen zu können", erklärt Wagner die Bedeutung seiner Forschung. Aber auch medizinisch relevante Mikrobiologie wird in der Abteilung intensiv betrieben. "So erforschen wir in einem Team neuartige Chlamydien, die in Protozoen leben und haben zwei Arbeitsgruppen, die sich Darmmikroorganismen in Maus und Mensch widmen."
Ohne Stickstoffkreislauf kein Leben: Mikroorganismen wandeln Ammoniak zu Nitrit und Nitrat um. Bis heute ist dieser hochkomplexe Vorgang der Nitrifikation trotz seiner globalen Bedeutung unzureichend erforscht. Diesem Manko nimmt sich Michael Wagner in seinem ERC-Projekt "NITRICARE" an – und setzt dazu das Spezialmassenspektrometer NanoSIMS ein (im Bild: Michael Wagner am NanoSims mit Arno Schintlmeister und David Berry; Foto: Frederik Schulz, Universität Wien). Zum Artikel |
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Schutz der Grundlagenforschung
Trotz der vielen Schnittstellen zu angewandter Forschung ist Michael Wagner Grundlagenforscher aus Leidenschaft. "Ich freue mich zwar sehr, wenn unsere Forschung Anwendungen findet, mich interessiert aber in erster Linie das Verstehen. Und ich möchte auch auf den ersten Blick exotisch erscheinenden Fragestellungen nachgehen können, wenn sie mich interessieren, da hierbei oft die spannendsten Ergebnisse erzielt werden", betont er.
Grundlagenforschung sei ein wesentlicher Teil menschlicher Kultur und das Fundament für angewandte Forschung und müsse von der Politik und der Gesellschaft geschützt und gezielt gefördert werden: "Sie ist der empfindlichste Teil der Forschungslandschaft, weil ihre Relevanz in der Öffentlichkeit nicht immer leicht vermittelbar ist und ihre positive Wirkung für die Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft Zeit braucht", so Wagner, der aber auch ein Leben abseits der Wissenschaft hat: "Mich interessieren hundert andere Sachen, und obwohl ich mit einer Wissenschafterin liiert bin, reden wir zu Hause selten über Forschung", lacht er. Die Neugierde und seine Mission – "das Verstehenlernen" – werden ihn aber nie loslassen. (ps)