Meteorologie: Wie behaglich war das Jahr 2012?

Derzeit leider klirrend kalt – bald wieder drückend heiß: Wenn MeteorologInnen von Behaglichkeit sprechen, meinen sie die thermischen Empfindungen des Menschen auf Umweltbedingungen. Meteorologe Dieter Mayer von der Universität Wien hat sich angesehen, wie behaglich das Jahr 2012 in Österreich war.

Die drei – meteorologisch betrachtet – angenehmsten Gegenden in Österreich sind das Mur- und Mürztal zwischen Leoben und Kapfenberg, das Salzachtal im Bezirk Hallein sowie der Landstrich zwischen Dornbirn und dem Bodensee. Das fanden WissenschafterInnen vom Institut für Meteorologie und Geophysik mit Hilfe des hier entwickelten Wetteranalysetools VERA heraus. Dabei zeichneten die ForscherInnen für jede Stunde im Jahr 2012 – dieses Jahr hatte 366 Tage und 8.784 Stunden – meteorologische Daten auf. Aus diesen Informationen wurde dann für alle österreichischen Orte mit mehr als 5.000 Einwohnern die "Gesamt-Behaglichkeit" ausgerechnet.

Wir Warmblüter

Für eine optimale Funktionsweise unserer Organe ist die Aufrechterhaltung einer gewissen Kerntemperatur – ca. 37 Grad Celsius – erforderlich, was aufgrund der unterschiedlichen äußeren Bedingungen nur über eine ausgeklügelte Thermoregulation möglich ist. So wird die von Stoffwechselprozessen erzeugte Wärmeenergie teilweise über Strahlung und bei Bedarf auch über die Verdunstung über die Haut abtransportiert, hingegen kann durch Kältezittern bei zu großem Energieverlust wieder Wärme gewonnen werden. All diese Regulierungsmaßnahmen führen zu einem thermischen Diskomfort, je nach Vorzeichen spricht man von Kälte- und Hitzestress. Natürlich hängt dies auch noch von weiteren Einflussgrößen wie Bekleidung und körperlicher Aktivität und zudem auch noch von Alter und Geschlecht ab.

Gefühlte Temperatur

Für uns von Interesse sind nun die meteorologischen Faktoren, welche die Skala vom extremen Kältestress über Behaglichkeit bis zum extremen Hitzestress aufspannen. Dafür spielt neben der Lufttemperatur auch die Windgeschwindigkeit sowie die Luftfeuchtigkeit eine bedeutende Rolle. Bewährt hat sich die Einführung von sogenannten äquivalenten bzw. gefühlten Temperaturen. Dabei werden die gemessenen Werte von Temperatur und Windgeschwindigkeit bzw. Luftfeuchtigkeit zu einer fiktiven Temperatur zusammengefasst.


Unterschied zwischen gefühlter und gemessener Temperatur bei variabler Windgeschwindigkeit und konstanter Luftfeuchtigkeit (links) sowie bei variabler Luftfeuchtigkeit und konstanter Windgeschwindigkeit (rechts). Im Diagramm sind die Werte für unterschiedliche Temperaturen zwischen -20 und +40 °C dargestellt. Links kann man den Windchill-Effekt entnehmen, wonach sich beispielsweise 0°C bei 10 m/s Windgeschwindigkeit um 25°C kälter anfühlen, also wie -25°C. Die Auswirkung der Feuchte wird erst bei hohen Temperaturen schlagend, so fühlen sich 40°C bei 70% Luftfeuchtigkeit wie  52°C bei Standardbedingungen an, der Temperaturzuschlag beträgt also 12°C. Diese Beispiele sind durch schwarze Punkte markiert.

Thermische Komfortklassen

Die aus gemessener Temperatur, Windgeschwindigkeit und Luftfeuchtigkeit berechnete gefühlte Temperatur wird standardmäßig in die drei Gruppen Kältestress, behaglich und Hitzestress unterteilt, wobei für Kälte- und Hitzestress eine Untergliederung mit den vier Abstufungen leicht, mäßig, stark und extrem vorgenommen wird. Wie die Komfortklassen den einzelnen Abschnitten der gefühlten Temperatur zugeordnet werden, geht aus folgender Tabelle hervor:


Zusammenhang zwischen den thermischen Komfortklassen (obere Zeile) und den Intervallen der gefühlten Temperatur (unten).


Von den Messwerten zu den Karten mit den Behaglichkeitsklassen


Wie gelangt man nun einerseits zu einer flächigen Analyse der stündlichen Komfortklassen und wie daraus zu einem für das gesamte Jahr repräsentativen Ergebnis? Das am Institut für Meteorologie und Geophysik entwickelte Wetteranalysetool VERA (Vienna Enhanced Resolution Analysis) verarbeitet stündlich Messwerte der Parameter Temperatur, Luftfeuchte, Luftdruck, Wind und Niederschlag von etwa 1.500 europäischen Stationen, wobei auf das dichte Beobachtungsnetz von Österreich ca. 200 Stationen entfallen. VERA analysiert diese Daten unter Einbindung von Zusatzinformationen auf ein feines regelmäßiges Gitter. Daraus resultieren u.a. Felder für die Temperatur in den Tälern und Niederungen, die Luftfeuchte sowie die Windgeschwindigkeit, woraus wiederum die gefühlte Temperatur und daraus die Komfortklassen für jeden Punkt eines Gitters mit einer Auflösung von bis einen Kilometer Gitterdistanz berechnet werden. Kennt man die Koordinaten der einzelnen Städte, Märkte und Dörfer, so lassen sich ohne großen Aufwand wahlweise die Werte der gefühlten Temperatur oder der Komfortklassen abgreifen.

 
Verteilung der Behaglichkeitsklassen für Österreich anhand zweier extremer Wetterverhältnisse. Links wurde ein markanter Termin der außergewöhnlichen Kälteperiode vom Februar 2012, rechts der Höhepunkt von einer von mehreren Hitzewellen des Sommers 2012 herausgegriffen. Man erkennt sehr deutlich, dass vor allem der Osten und Nordosten Österreichs unter starken Kältestress leidet, vom starken Hitzestress ist in diesem Fall der Bereich von Unterkärnten bis ins Weinviertel betroffen. Auch wenn dies nur zwei Einzeltermine sind, so spiegeln sie durchaus die typischen Verteilungen der Behaglichkeitsklassen wider.

D
ie Ergebnisse

Wo befinden sich nun die behaglichen und wo die weniger behaglichen Gegenden in Österreich? Grundsätzlich lässt sich sagen, dass windschwache Gebiete mit nicht zu kalten Wintern und nicht zu heißen und schwülen Sommern behaglicher sein werden als jene Landstriche, wo sowohl schwül-heiße Sommertage als auch klirrend-kalte und stürmische Wintertage und -nächte auftreten.

Bei einem Blick auf die österreichischen Landeshauptstädte erkennen wir eindeutig eine Dominanz der westlichen Bundesländer. Auf einer Skala von 0 bis 100 erreicht Bregenz einen Wert von 83.5, dahinter folgen Salzburg und Innsbruck mit normierten Behaglichkeitsindizes von 81.8 und 77.8. Nur ganz knapp dahinter folgen die südlichen Hauptstädte Graz und Klagenfurt. Im Vergleich dazu nehmen die Landeshauptstädte im Nordosten Österreichs Indizes zwischen 40 und 50 ein.

 
Top 5 der Landeshauptstädte bezüglich Behaglichkeit aufgrund der Daten von 2012. Die dritte Spalte gibt den normierten Behaglichkeitsindex an (bester aufgetretener Wert mit 100, schlechtester mit 0 identifiziert). Die weiteren Spalten geben Aufschluss über die Häufigkeit der Termine mit den oben genannten 9 Komfortklassen in Prozent.


Erweitert man die Betrachtung auf alle Orte mit einer Einwohnerzahl über 5000, so kristallisiert sich als besonders behagliche Gegend der Großraum Leoben, Bruck an der Mur und Kapfenberg in der Obersteiermark heraus. Die zweite größere Gegend mit hohem thermischen Komfort erstreckt sich entlang der Salzach durch den Bezirk Hallein mit Kuchl an der 2. und der Stadt Hallein an der 5. Stelle. Vervollständigt wird die Liste mit den fünf behaglichsten Orte durch Höchst am Bodensee in Vorarlberg, welches den 3. Rang belegt und in der angenehm temperierten Zone zwischen Dornbirn und dem Bodensee angesiedelt ist.

 
Auflistung der fünf behaglichsten Orte (mindestens 5.000 Einwohner) Österreichs für 2012. Trofaiach im obersteirischen Vordernbergtal zeichnete sich 2012 durch völliges Fehlen von Zeiten mit starken und extremen Kälte- oder Wärmestress aus.

Zum Abschluss sei noch einmal betont, dass sich die Auswertung nur auf das Jahr 2012 bezieht. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die generelle Verteilung der Behaglichkeit auch für einen längeren Zeitraum wie einer 30-jährigen Klimanormalperiode Gültigkeit besitzt.


Dipl.-Ing. Mag. Dr. Dieter Mayer ist am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien tätig.