"Meine Forschung": Gute Laune gegen Migräne?
| 24. Juli 2012Im Alltag ist es oft erforderlich, Gefühle in Schach zu halten. Zu ändern, wie man über das denkt, was ein Gefühl auslöst, kann dabei hilfreich sein. Mit der Frage, ob der Umgang mit Gefühlen für Migränikerinnen Bedeutung für ihr Befinden hat, beschäftigte sich Dorothea König in ihrer Dissertation.
In der Forschung zu Schmerz und Emotion beschäftigte man sich bisher vor allem damit, wie Betroffene den Schmerz und die mit ihm zusammenhängenden Gefühle bewältigen. Im Rahmen ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation richtet Dorothea König den Fokus darauf, wie Migränikerinnen mit ihren Gefühlen umgehen, die sie in schmerzfreien Zeiten erleben. Denn der Einsatz von gesunden Formen der Emotionsregulation kann negative Gefühle reduzieren, positive Gefühle steigern und spielt für das psychische Wohlbefinden eine wesentliche Rolle. Eine bessere allgemeine Gefühlslage wirkt sich wiederum günstig darauf aus, wie Schmerz empfunden wird.
Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.
Schmerz, Stimmung und Gefühle
Es ist nicht verwunderlich, dass sich Schmerz negativ auf die Stimmung auswirken und das psychische Befinden der Betroffenen beeinträchtigen kann. Umgekehrt können aber auch Stimmung und Gefühle das Schmerzempfinden beeinflussen, wie dies verschiedene Studien zeigten: Negative Stimmung erhöht den Schmerz. Es gibt jedoch auch Hinweise, dass sich gute Stimmung und angenehme Gefühle günstig auf die erlebte Schmerzstärke auswirken.
Umbewerten als gesunde Strategie der Emotionsregulation
Emotionsregulation umfasst jene Prozesse, die beeinflussen, wie eine Person ihre Gefühle erlebt und zum Ausdruck bringt. Emotionsregulation bedeutet beispielsweise, dass man sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen lässt, sondern sie steuert – etwa indem man sich ablenkt oder die Gefühle umbewertet.
Bei der Strategie der Umbewertung wird eine Situation, die für die Entstehung eines Gefühls relevant ist, in einem anderen Licht betrachtet. Dadurch verändern sich emotionale Bedeutung und emotionale Reaktion. Ein Beispiel dafür wäre etwa, wenn ein bevorstehender Vortrag vom Redner weniger als Stress, sondern mehr als interessante Herausforderung gesehen wird.
Die Strategie der Umbewertung wirkt sich positiv auf das eigene Gefühlserleben und den zwischenmenschlichen Kontakt aus. Emotionale Empfindungen gehen immer auch mit veränderten Körperreaktionen einher. Studien zeigten, dass sich unangenehme Körperreaktionen bei negativen Gefühlen, insbesondere die Beanspruchung des Herz-Kreislauf-Systems, beim Einsatz von Umbewertung deutlich mehr reduzieren als im Vergleich zu anderen Strategien der Emotionsregulation. Das weist darauf hin, dass sich Umbewertung langfristig günstig auf die Gesundheit auswirken kann.
Ein neuer Fragebogen wurde entwickelt
Bei der Konzeption der Dissertation wurde deutlich, dass es Bedarf an Fragebögen gibt, die sowohl negative als auch positive Gefühle berücksichtigen und verschiedene Regulationsstrategien erfassen. So wurde im ersten Teil der Dissertation das Emotionsregulations-Inventar ERI entwickelt. Getrennt für negative und positive Emotionen misst es verschiedene Strategien des Umgangs mit Gefühlen. James Gross, Professor an der Stanford University, ist international für seine umfassenden Forschungsarbeiten zur Emotionsregulation höchst anerkannt. Sein Modell ist die Basis für die Entwicklung des neuen Fragebogens. Das ERI war das Kernstück der Datenerhebung in der Migräne-Studie, die den zweiten Teil der Dissertation bildete.
Vergleich von Migränikerinnen mit Nichtmigränikerinnen
In der Migräne-Studie wurden 120 Patientinnen und 120 Nichtmigränikerinnen befragt, die einander hinsichtlich Alter und Bildungsstand entsprachen. Die deutlichsten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen, so das Hauptergebnis der Studie, zeigten sich bei der Umbewertung negativer Gefühle: Die Migränikerinnen wandten diese Strategie selbst unter Berücksichtigung ihres erhöhten Levels an Depressivität, Ängstlichkeit und Ärger signifikant seltener an als Nichtmigränikerinnen.
Implikationen für die klinisch-psychologische Praxis
Gerade für MigränikerInnen wäre es vorteilhaft, Umbewertung häufiger einzusetzen. Denn nach heutigem Kenntnisstand entsteht Migräne in einem Zusammenspiel von Faktoren, die Blutgefäße, Muskulatur und das zentrale Nervensystem betreffen. Diese aber lassen sich, wie Studien zeigen, beeinflussen. Da man weiß, dass Umbewertung die kardiovaskuläre Beanspruchung beim Erleben von Gefühlen reduziert, stellt das aktive Training kognitiver Umbewertung einen wesentlichen Ansatzpunkt für klinisch-psychologische Interventionen bei Migräne dar. Das Fazit der Dissertation lautet daher im Allgemeinen und insbesondere für Migränepatientinnen: Reappraisal matters. Ob die Studienergebnisse spezifisch für MigränikerInnen sind oder auch für andere SchmerzpatientInnen gelten, wird derzeit in Folgeuntersuchungen überprüft.
Die Dissertation von Dorothea König wurde im Juni 2012 von der Dr. Maria Schaumayer Stiftung ausgezeichnet. Für ihr Poster Reappraisal matters: Emotion regulation in migraine patients and matched controls erhielt Dorothea König den ersten Preis bei der Posterausstellung der JungwissenschafterInnen, die am 25. Juni 2012 an der Fakultät für Psychologie stattfand.
Mag. Dr. Dorothea König (Foto: A. Samson) ist Klinische und Gesundheitspsychologin und seit März 2012 Senior Lecturer am Institut für Angewandte Psychologie: Gesundheit, Entwicklung und Förderung der Fakultät für Psychologie. Ihre Dissertation trägt den Titel "Die Regulation von negativen und positiven Emotionen. Entwicklung des Emotionsregulations-Inventars und Vergleich von Migränikerinnen mit Kontrollpersonen".
Literaturtipp zum Thema von Dorothea König: Gross, J. J. & Thompson, R. A. (2007). Emotion regulation: Conceptual foundations. In J. J. Gross (Ed.), Handbook of emotion regulation (pp. 3–24). New York, NY: Guilford. (zur Online-Version)