"Meine Forschung": Das Recht der Wiener Hofbediensteten
| 20. März 2015Als größter Arbeitgeber organisierte sich der Wiener Kaiserhof selbst. Drei der wichtigsten Funktionen – die Rechtsprechung, der Strafvollzug und das Quartierwesen – erfüllte dabei das Obersthofmarschallamt. Dieses untersucht nun die Doktorandin Yasmin-Sybille Rescher anhand von Primärquellen.
Mehr als 2.000 Angestellte waren beim Wiener Hof beschäftigt: Als Türsteher, Koch oder Wäscherin dienten sie dem Kaiser und seiner Familie. Dieses Dienstverhältnis war mit einem gesonderten Rechtstatus verbunden. Alle höfischen FunktionsträgerInnen konnten nur vor dem kaiserlichen Gericht angeklagt werden und auch nur bei Hof in Arrest gestellt werden. Außerdem hatten sie das Recht, günstig zu wohnen: Denn die HausbesitzerInnen waren verpflichtet, dem Hof ein Drittel ihres Wohnraumes verbilligt anzubieten.
Das Obersthofmarschallamt – das kleinste höchste Hofamt
Diese drei Aufgaben – Gerichtsgewalt, Strafvollzug und Quartierverteilung – übernahm das Obersthofmarschallamt. Bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es das höchste Amt in der Verwaltungseinheit des kaiserlichen Hofes. Im 16. und 17. Jahrhundert rückte es jedoch an die dritte Stelle der vier obersten Hofämter, die für die Versorgung des Kaisers und dessen Familie zuständig waren. Insgesamt gab es rund 35 Personen in den drei unterschiedlichen Kompetenzbereichen. "Damit war das Obersthofmarschallamt mit Abstand das kleinste oberste Departement am Wiener Hof", erklärt die Historikerin Yasmin-Sybille Rescher.
Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.
Das Amt wurde vom sogenannten Obersthofmarschall geleitet, bei dem es sich immer um einen Adeligen – z.B. aus der Fürstenfamilie Schwarzenberg – handelte. Aufgrund der Zugehörigkeit zum Kaiser mussten die obersthofmarschallischen Funktionsträger auch zeremonielle Aufgaben übernehmen – etwa den Empfang von Gesandten an der Treppe der Residenz. Bis auf eine veraltete Monographie und einige Arbeiten über Teilfunktionen des Obersthofmarschallamtes ist das Departement bis heute jedoch unerforscht geblieben.
Auch niedrige Funktionsträger sind wichtig!
Da bislang vorwiegend die Person des Kaisers bzw. die Adeligen im Mittelpunkt der Forschung standen, sind unter anderem die Funktionsträger des Obersthofmarschallamtes weiße Punkte auf der historischen Landkarte. Daher untersucht Yasmin-Sybille Rescher nun anhand von Primärquellen primär die niedrigeren und mittleren Funktionsträger. "Immerhin waren sie es, die die Aufgaben ausführten und ihre Kenntnisse mit einfließen ließen: Nicht nur der adelige Quartiermeister oder der studierte Gerichtsassessor – auch Personen aus dem mittleren und niedrigen Stand hatten wichtige, verantwortungsvolle Aufgaben.", erklärt die Doktorandin.
Am Beginn ihrer Dissertation erhebt Yasmin-Sybille Rescher alle Personen, die im Obersthofmarschallamt zwischen 1658 (Regierungsbeginn Leopold I.) und 1780 (Regierungsende und Tod Maria Theresia) eine Funktion innehatten. "Erst dann kann ich die Fragen nach Ausbildung und Aufstiegsmöglichkeiten beantworten", so Rescher: Welche internen Aufstiegsmöglichkeiten gab es? Konnten die Funktionsträger in andere Ämter – oder gar von einem niedrigen in ein hohes Amt – wechseln?
Heinrich Wilhelm von Starhemberg war von 1637 bis 1670 Obersthofmarschall und versuchte während seiner Amtszeit mehrfach das Amt personell auszubauen. Seine Mühen waren jedoch vergebens. Dennoch prägte er das Amt nicht nur durch seine lange Amtszeit maßgeblich. (Kupferstich aus dem Bildarchiv der ÖNB, Stecher: Aubry, Peter (2) Datierung: 1640 / 1666)
Die Anlaufstelle für Funktionsträger
Für die Historikerin ist das Obersthofmarschallamt deshalb so spannend, weil es drei verschiedene Funktionsgebiete hatte, die zugleich voneinander abhängig und doch eigenständig waren. "Ein Beispiel ist das Quartieramt: Seine Aufgaben hatten in erster Linie nichts mit dem Gericht oder dem Strafvollzug zu tun. Doch wenn Konflikte auftraten, wurde das Gericht – und damit auch die Strafvollzugsorgane – eingeschaltet", erklärt Rescher.
Außerdem war das Obersthofmarschallamt in der Karriere eines höfischen Funktionsträgers mindestens einmal Anlaufstelle: Wenn die Funktionsträger nicht zu Lebzeiten um ein Quartier angesucht hatten, straffällig geworden waren oder jemanden angeklagt hatten, kamen sie trotzdem zum Obersthofmarschallamt: Denn dieser war Testamentsverwalter und Erbschaftsregler. So waren die Besitztümer der verstorbenen Funktionsträger Thema in den Erbschaftsverhandlungen und der Funktionsträger nun doch beim Obersthofmarschallamt vorstellig – wenn auch nur "post mortem".
In der Wissenschaft oft verkannt, schenkt Rescher dem Obersthofmarschallamt in der bald fertiggestellten Dissertation verstärkte Aufmerksamkeit. Neben dem oben geschilderten Personal, stehen dabei Praxis und Entscheidungsfindungen im Mittelpunkt ihrer Untersuchung: "Ich möchte zeigen, dass das Departement in seiner Gänze ganz und gar nicht ein Amt ohne Einfluss war, sondern sehr wohl Durchsetzungsvermögen und Einfluss innerhalb des Hofstaates hatte."
Yasmin-Sybille Rescher, geboren am 27. Mai 1985 in Köln, hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Universität Wien studiert. Seit 2010 schreibt sie ihre Dissertation mit dem Titel "Herrschaftssicherung und Ressourcenverteilung am Wiener Hof. Das Obersthofmarschallamt im 17. und 18. Jahrhundert" am Institut für Geschichte.