Krieg der Bilder

Zerbombte Städte, Besatzungsmächte, heimkehrende Kriegsgefangene – Pressefotos aus der Nachkriegszeit wirken ebenso bedrückend wie faszinierend. Das FWF-Projekt "War of Pictures" wirft einen spannenden Blick auf die AkteurInnen, Hintergründe und Propagandastrategien der Pressefotografie nach 1945.

"Die Nachkriegsjahre waren für die Pressefotografie in Österreich eine ungemein prägende Zeit", erklärt Fritz Hausjell, Leiter des FWF-Projekts "War of Pictures" und stellvertretender Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im zerstörten, verarmten Land gab es damals zunächst schlicht nicht genug Papier, um Zeitungen zu drucken. Die vereinzelten Blättchen bestanden nur aus wenigen Textseiten. "Als dann wieder ausreichend Druckmaterial zur Verfügung stand, rückten die Bilder rasch ins Zentrum des Interesses. Die Bevölkerung wollte sich nach den Leiden des Krieges schließlich möglichst schnell wieder auf andere Gedanken bringen – und Fotografie war hierfür ein besonders geeignetes Medium", erläutert der Forscher.

Um den wachsenden Bildhunger ihrer LeserInnen stillen zu können, griff die heimische Presse vielfach auf Material zurück, das von verschiedenen FotografInnen im Auftrag der Besatzungsmächte produziert wurde. Mit den USA, Russland, Frankreich und Großbritannien traten gleich vier Nationen an, um über eigene Bilderdienste und Publikationskanäle die Medienlandschaft mitzugestalten. Nicht ganz uneigennützig versteht sich, denn schließlich galt es mithilfe der sorgfältig ausgewählten Illustrationen auch das jeweils eigene politische und kulturelle Weltbild zu propagieren.

Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Staatsgrenzen von 1938 wurden wiederhergestellt und das Land in vier Besatzungszonen unterteilt. Nur im 1. Wiener Gemeindebezirk wurde eine "Internationale Zone" errichtet, in der gemeinsame Militärstreifen der vier Besatzungsmächte die "öffentliche Ordnung" überwachten. (Foto: Johann und Fritz Basch, "Die Vier im Jeep reichen sich die Hände", 14. September 1955, Archiv Brüder Basch, Oberösterreichische Nachrichten, A 2342, Umschlag 26)

Blick hinter die Kulissen

Doch wie sah diese visuelle Propaganda konkret aus, was waren Themen, AkteurInnen und vor allem: welche Besatzungsmacht konnte den "Krieg der Bilder" für sich entscheiden? All diesen Fragen gingen die Projektmitarbeiterinnen Margarethe Szeless und Marion Krammer  in den letzten vier Jahren in einem interdisziplinären FWF-Projekt nach. Ihre Recherche führte die Wissenschafterinnen sowohl in Archive der Österreichischen Nationalbibliothek als auch nach Washington, Moskau und Paris. Doch die mühevolle und zeitintensive Detektivarbeit hat sich gelohnt.

"Uns ist es nicht nur erstmals gelungen, alle MitarbeiterInnen der alliierten Bilderdienste sowie selbständige österreichische PressefotografInnen dieser Ära zu ermitteln, sondern auch einen bislang ungeahnten Blick hinter die Kulissen der Bildpolitik der Besatzungsmächte zu werfen", fasst Szeless die Ergebnisse zusammen. Insgesamt knapp 60.000 Fotos aus fünf verschiedenen Illustrierten, die im Zeitraum zwischen 1945 und 1955 in Wien erschienen, wurden systematisch erfasst, ausgewertet und in Datenbanken so aufbereitet, dass sie konkreten Themen oder BildautorInnen zugeordnet werden können.

Breit gefächerte Themen …

Die Themen auf den Pressefotos der Nachkriegsjahre waren breit gefächert. Zu sehen gab es etwa viele Bilder aus dem Sport- und Kulturbereich – insbesondere der Theater- und Kabarettszene –, Aufnahmen von Prominenten sowie Reportagen aus exotischen Ländern. "Vieles diente der Ablenkung und Unterhaltung. Oft wurden auch persönliche Schicksale gezeigt, etwa von Heimkehrern aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft", beschreibt Szeless. Politische Berichterstattung oder gar eine Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen habe hingegen kaum stattgefunden: "In den ganzen zehn Jahren zwischen 1945 und 1955 haben wir nur einen einzigen Bericht zu Ausschwitz gefunden."

Viele Fotomotive wie die "Trümmerfrauen", die den Wiederaufbau der zerbombten Städte selbstlos vorangetrieben haben sollen, entpuppten sich als visuelle Klischees. "Die freiwillige Beteiligung am Trümmerräumen war in Wirklichkeit nicht weit verbreitet. Auf Drängen der Alliierten wurden insbesondere NationalsozialistInnen zur Gemeinschaftsleistung zwangsverpflichtet", stellt Margarethe Szeless klar. (Foto: Howard R. Hollem (USIS), "War damaged Polizeipraesidium in Vienna", 1946. Inst. f. Publizistik/Wien)

… und eine präsente Vergangenheit

"Deutlich präsenter war die NS-Vergangenheit hingegen, wenn man die Biografien der PressefotografInnen der Nachkriegszeit genauer unter die Lupe nimmt", betont Marion Krammer. An die 200 der damals tätigen AkteurInnen hat die Forscherin für ihre Dissertation im Rahmen des Projekts ausgeforscht. Das Resultat ist ernüchternd: "Rund die Hälfte der FotografInnen war bereits während der NS-Zeit einschlägig tätig. Von den Personen, die 1947 in die österreichische Berufsvereinigung für Pressefotografie aufgenommen wurden, waren sogar nur zwei zuvor keine Mitglieder beim Reichsverband der Deutschen Presse gewesen", erläutert Krammer. Im Berufsverband trafen die Ex-Nazis auf politische KZ-Häftlinge und geflüchtete MigrantInnen. "Die Zusammenarbeit war daher auch von vielen Konflikten geprägt", so die Expertin.

"Coca-Colonisation"

Den "Krieg der Bilder" konnten letztendlich vor allem die USA für sich entscheiden. Die "Pictorial Section", so der offizielle Name des US-Bilderdienstes, hatte nämlich wesentlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, den eigenen Service auszubauen und zu professionalisieren, als die übrige Besatzungskonkurrenz. Hinzu kommt, dass sie mit der Bilderbeilage im "Wiener Kurier" den auflagestärksten Publikationskanal nutzen konnten. "Die offensive Kulturpolitik der Amerikaner – auch als 'Coca-Colonisation' bezeichnet – war auch deshalb so erfolgreich, weil die Verantwortlichen zu einem Trick griffen: Sie boten der heimischen Presse ihr Material kostenlos an", ergänzt Szeless.

Die zentrale Figur, die den Stil der damaligen Pressfotografie und damit auch deren weitere Entwicklung in Österreich entscheidend geprägt hat, war der Leiter der "Pictorial Section", Yoichi Okamoto. "Der Kriegsberichterstatter, der später als White-House-Fotograf Karriere machte, war letztlich ein Glücksfall für den österreichischen Fotojournalismus. Er hat nicht nur einen professionellen MitarbeiterInnenstab aufgebaut und ausgebildet, sondern mit der Etablierung eines modernen Fotografie-Stils einen nachhaltigen Einfluss auf die österreichische Bildkultur ausgeübt, der bis heute spürbar ist", sind Krammer und Szeless überzeugt. (ms)

Zwischen 1948 und 1954 waren 19 junge österreichische Fotojournalisten beim US-amerikanischen Bilderdienst angestellt und lernten von Yoichi Okamoto das Handwerk der modernen "Life"-Fotografie. (Foto: USIS, Yoichi R. Okamoto, "Leiter der Fotosektion des Wiener Kurier, bei einer Besprechung mit seinen Mitarbeitern", Juli 1952. ÖNB/Bildarchiv Wien, US 10.087/9)

Das FWF-Projekt "'War of Pictures'. Pressefotografie in Österreich 1945-1955" unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell, stellvertretender Vorstand des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, läuft vom 1. Februar 2014 bis zum 31. Dezember2017. Projektmitarbeiterinnen sind Mag. Marion Krammer und Mag. Dr. Margarethe Szeless, beide vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Als Kooperationspartner fungieren das Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, das Photoinstitut Bonartes (Wien), das Center Austria an der University of New Orleans, die Inge Morath Foundation (New York), die Galerie Fotohof (Salzburg) und Dr. Maria Fritsche von der Norwegian University of Science and Technology (Trondheim).