In der Diaspora daheim
| 22. Juli 2015Adams Bodomo vom Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien untersucht die Lebensumstände der afrikanischen Diaspora, erst in China und nun in Wien. Mit der neuen Forschungsplattform "Global African Diaspora Studies" schafft er ein Netzwerk für interdisziplinäre Spitzenforschung.
"Liebe/r Teilnehmer/in, wir sind ein Forschungsteam vom Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien. Das Ziel dieses Fragebogens ist es, linguistischen Kontakt und kulturelle Beziehungen zwischen Afrika und Österreich mit Schwerpunkt auf die afrikanische Community in Wien zu erforschen. Bitte beantworten Sie unsere Fragen, damit wir die Themen besser verstehen können" – mit Fragebögen gewappnet gehen Adams Bodomo und sein Forschungsteam Lebensumständen, Bedürfnissen und Problemen der afrikanischen Diaspora in Wien auf den Grund: "Wir erstellen Sprachen- und Sozialprofile; wir ermitteln, wie sich AfrikanerInnen in die Gesellschaft einbringen und sie bereichern können", so der Sozialwissenschafter.
In Dingen Diaspora kennt sich Adams Bodomo aus: Er hat seine afrikanische Heimat bereits im Alter von 29 Jahren verlassen. Nach einem Linguistik-Studium an der University of Ghana zog es ihn 1988 nach Norwegen, später nach Hong Kong, Stanford, Bayreuth und schließlich an die Universität Wien, wo er seit August 2013 am Institut für Afrikawissenschaften forscht und lehrt.
Eine Forschungsplattform für die afrikanische Community
Der vielgereiste Professor ist nicht der erste, der sich mit afrikanischen Communities beschäftigt, aber er hat an der Universität Wien das erste fächerübergreifende Netzwerk für Global African Diaspora Studies ins Leben gerufen. Die neue Forschungsplattform wurde 2015 eingerichtet.
Die Universität Wien richtet Forschungsplattformen auf Initiative von einzelnen WissenschafterInnen und ForscherInnengruppen ein. Ziel ist es, besonders innovative fächerübergreifende Forschungsvorhaben zu unterstützen. Die Forschungsplattformen fungieren als organisatorische Einheiten zwischen den Fakultäten und Zentren und widmen sich Fragestellungen, die nur interdisziplinär erforscht werden können.
Mit dem Historiker Oliver Rathkolb, dem Ostasienwissenschafter Christian Goebel und der Germanistin Katharina Hartmann hat der Leiter der Forschungsplattform Bodomo tatkräftige Unterstützung der Historisch- und Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultäten mit an Bord.
Synergieeffekte verschiedener Disziplinen
Die "Global African Diaspora Studies Plattform" – kurz GADS – nutzt die Synergieeffekte verschiedener Disziplinen inner- und außerhalb der Universität Wien: "Wir arbeiten zusammen und nicht einzeln in unseren disziplinären Kokons. GADS vernetzt PartnerInnen in den USA, Afrika, China und verschiedenen Ländern Europas", betont der Wissenschafter. So kann die GADS der Politik und Öffentlichkeit aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema Afrika und Diaspora-Communities in einer globalisierten Welt zur Verfügung stellen.
"Wir lokalisieren gerade die afrikanische Community in Wien. Viele Lebensmittelgeschäfte und Afroshops konzentrieren sich im 15. und im 7. Bezirk. Im nigerianischen Barbershop zum Beispiel geht es nicht nur um Frisuren, sondern auch darum, Zeitungen aus der Heimat zu lesen, sich auszutauschen und über Nollywood (das nigerianische Hollywood, Anm. d. Red.) zu reden – das ist Community Life. Warum ich das weiß? Ich habe erst letzte Woche dort meine Haare schneiden lassen", schmunzelt Bodomo.
Wann ist jemand ein/e AfrikanerIn?
"Afrika kann nicht in starren Grenzen erforscht werden, denn Menschen aus Afrika lassen sich in anderen Erdteilen nieder. Um Afrika zu erfassen, müssen wir auch die AfrikanerInnen außerhalb Afrikas verstehen", so Bodomo. Das Thema Diaspora fasziniert ihn schon seit seiner Lehrtätigkeit in China. Er nutzte seine Präsenz vor Ort, um die große Community, primär in den urbanen Gegenden, zu analysieren.
"Es leben um die 500.000 Menschen aus Afrika in China, wobei man sich natürlich immer die Frage stellen muss, wann jemand als AfrikanerIn bezeichnet werden kann", merkt der Wissenschafter kritisch an: "Bestimmt der Reisepass oder das Zugehörigkeitsgefühl die nationale Identität eines Menschen? Solche Fragen erschweren es, quantitative Aussagen zu treffen."
Ebola kennt keine Hautfarbe
Vor qualitativen Aussagen scheut sich die erst junge Plattform nicht: Im renommierten "American Journal of Public Health" beispielsweise haben Lavinia Lin, Brian J. Hall, Levina Chandra Khoe und Adams Bodomo einen Artikel veröffentlicht, der Wogen schlug: über Ebola-Prävention. "Es herrschte eine regelrechte Massenpanik, dass sich Ebola außerhalb Afrikas ausbreiten könne. Im Zuge dessen wurde mit dem Finger auf afrikanische Communities gezeigt, doch wir alle wissen, dass Krankheiten weder Hautfarbe noch Nationalität kennen.
"Der kürzlich erschienene Artikel ist ein Beispiel dafür, wie sich die Forschungsplattform für die Förderungen von NachwuchswissenschafterInnen einsetzt: im Rahmen der GADS entstehen Masterarbeiten und Dissertationen, Studierende erhalten praktische Einblicke in die Feldforschung und Postdoc-Stellen werden geschaffen.
Ein Afrika?
"Afrika ist ein großer Kontinent und sehr divers, es gibt also nicht nur die eine Diaspora. Aber dennoch behaupte ich, dass man von dem Afrika sprechen kann", gibt Bodomo zu bedenken: "Wir beobachten, dass die im Ausland lebenden AfrikanerInnen Netzwerke sozialer Sicherheit aufbauen, oft unabhängig von der regionalen Herkunft. Man unterstützt sich z.B. bei Problemen mit Behörden oder Aufenthaltsgenehmigungen. Häufig wird auch gemeinsam gefeiert; in Wien interessiert uns z.B. die Veranstaltung 'Afrika Tage'. Sie gibt uns die Möglichkeit, unsere Forschung zu präsentieren und zu diskutieren – mit anderen WissenschafterInnen und der breiten Öffentlichkeit."
"Denken mit Magen"
"In meiner Muttersprache Dagaare unterscheiden wir zwei Arten des Denkens: mit dem Kopf, was als sehr europäisch gilt, und mit dem Magen", erklärt Bodomo: "Die eine Form basiert auf Kognition, die andere auf Emotion." Auf den Magen hört Bodomo auch in seiner Tätigkeit als Wissenschafter: Für seine Forschung taucht er gerne mal in das Feld ein und nähert sich seinen Themen auf unkonventionelle Art und Weise. So lebte er zum Beispiel in China über längere Zeit mit einem Tai-Volk zusammen, um die Sprache Zhuang zu erforschen. Mit der GADS hat er nun ein Netzwerk für Spitzenforschung aufgebaut, auf dessen Ergebnisse man gespannt sein darf. (hm)
Die Research Platform for Global African Diaspora Studies (GADS) der Universität Wien wurde vom Rektorat mit Beginn des Jahres 2015 eingerichtet. Als Leiter fungiert Univ.-Prof. Dr. Adams Bodomo, BA MA MPhil PhD vom Institut für Afrikawissenschaften der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, PartnerInnen sind u.a. Univ.-Prof. Dr. Christian Göbel, M.A., stv. Vorstand des Instituts für Ostasienwissenschaften der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät und Univ.-Prof. Dr. Katharina Hartmann, Privatdoz. vom Institut für Germanistik der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.