Eine Perücke aus Natur
| 16. Januar 2013Glatzen in der Landschaft – so nennt Irene Lichtscheidl von der Universität Wien jene kahlen Stellen inmitten blühender Vegetation, wo aufgrund von Schwermetallen im Boden nichts wächst. Mangels schützender Pflanzendecke bläst der Wind giftigen Metallstaub übers Land: eine Gefahr für Mensch und Tier.
Heute gibt es in Europa – bis auf wenige Ausnahmen, etwa im gold- und bleireichen Rumänien – so gut wie keinen aktiven Metallbergbau mehr. Seine Nachwirkungen sind jedoch noch vielerorts zu spüren: Die Stellen, an denen Erz zu Tage gebracht bzw. geschmolzen und weiterverarbeitet wurde, aber auch die Lagerhalden mit "taubem" Gestein – wenig erzhaltiges Abbaumaterial –, sind teilweise noch Jahrhunderte später kahl und vegetationslos.
Auf der Halde eines ehemaligen Kupferbergbaus am Fuß der Rax (NÖ) trainieren Studierende der Universität Wien im Rahmen eines Projektpraktikums die Methoden der Freiland-Ökologie. Die "Glatze" ist beinahe völlig unbewachsen, obwohl der umgebende Wald gesund ist und der Bergbau bereits vor mehr als 100 Jahren eingestellt wurde. (Foto: Irene Lichtscheidl) |
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Gefährliche Glatzen
Gefährlich sind diese Kahlstellen deshalb, weil sie offen liegen und der metallhaltige Staub mit dem Wind auf Weiden, Äcker und Hausgärten gelangt und Flüsse und Grundwasser vergiftet: "Man atmet ihn mit der Luft, isst ihn mit dem Gemüse oder trinkt ihn mit dem Wasser – das birgt Gesundheitsrisiken", erzählt die Zellphysiologin Irene Lichtscheidl von der Core Facility Cell Imaging and Ultrastructure Research der Universität Wien: "Ein Beispiel: Im rumänischen Baia Mare, wo frühere Bergbautätigkeiten riesige, vegetationslose Halden aus feingemahlenem Erzmaterial zurückgelassen haben, ist die Lebenserwartung durchschnittlich zwölf Jahre geringer als im Rest des Landes; viele Kinder leiden unter Krebs, Nerven- und Atemwegserkrankungen."
Metallbergbau mit Folgen: Baia Mare (Rumänien) kam im Jahr 2000 in die Schlagzeilen, als der Damm einer Golderz-Aufbereitungsanlage brach und mehrere hunderttausend Kubikmeter mit Schwermetallen versetzte Cyanidlauge die Gegend überschwemmte. Hier wächst nichts mehr. Über die Theiß erreichten die Schadstoffe die Donau und schließlich das Schwarze Meer – eine der schlimmsten Umweltkatastrophen Europas. (Foto: Irene Lichtscheidl) |
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"Metallfressende Pflanzen"
Dennoch gibt es Pflanzen, die auch auf Schwermetallhalden gedeihen – ja, sich sogar auf diese unwirtlichen Bedingungen spezialisiert haben: "Sogenannte Metallophyten haben Strategien entwickelt, mit dem Metall im Boden umzugehen", erklärt die Forscherin, "entweder indem sie das Metall gar nicht erst aufnehmen, also die Giftstoffe bei der Nährstoffaufnahme ausschließen, oder indem sie das aufgenommene Metall durch bestimmte Proteine unschädlich machen – also sozusagen im eigenen Organismus 'verstecken'."
Eine dritte Strategie verfolgen die "Hyperakkumulator"-Pflanzen: Diese saugen die Metalle regelrecht auf und lagern sie in den Blättern ab. Lichtscheidl und ihr Team suchten im 2012 abgeschlossenen EU-Projekt "UMBRELLA" nach Pflanzen, die man verwenden könnte, um kontaminierte Böden zu begrünen und dadurch langfristig – und kostengünstig – zu sanieren.
Mikroorganismen und Pflanzen zusammenbringen
Hier kommen Mikroorganismen ins Spiel: "Wir haben nicht nur untersucht, welche Pflanzen in betroffenen Gebieten vorkommen und auf welche Weise sie mit den Schwermetallen umgehen, sondern uns auch die jeweilige Bodenzusammensetzung und die mikrobiellen Gemeinschaften rund um die Wurzeln angeschaut", erklärt Lichtscheidl. Ziel war es u.a. herauszufinden, ob manche Pflanzen mithilfe bestimmter Mikroorganismen besser auf den giftigen Böden wachsen – und ob es möglich ist, die Begrünung der Glatzen durch eine gezielte "Impfung" mit diesen Bakterien zu beschleunigen.
Dazu beprobte und untersuchte das UMBRELLA-Team – ein Konsortium aus MikrobiologInnen, BotanikerInnen, GeologInnen und ModelliererInnen aus acht europäischen Ländern – alte Schwermetallhalden im deutschen Ronneburg, im italienischen Montevecchio (Sardinien), im rumänischen Baia Mare, in Trzebionka in Polen, in Ystwyth – einem Flussbecken in Wales (GB) – sowie in der schwedischen Region Bergslagen.
Im nächsten Schritt führten die BiologInnen im Glashaus im Universitätszentrum Althanstraße sogenannte "Potexperimente" durch: In Töpfen mit giftiger Erde aus den Forschungsgebieten, einige davon mit verschiedenen Mikroorganismus-Cocktails "geimpft", züchteten sie Metallophyten – u.a. Gräserarten, Sonnenblumen und Königskerzen – und verglichen deren Wachstum. "Es hat sich gezeigt, dass die Zusammensetzung der Erde dabei eine entscheidende Rolle spielt – der Zusatz von Mikroorganismen wirkt sich also nur in bestimmten Bodenstrukturen positiv aus", so Projektmitarbeiter Wolfram Adlassnig.
Nachhaltige Wissenschaft
Die ForscherInnen konnten feststellen, dass es quer durch Europa immer die gleichen Arten sind, die giftige Schwermetallhalden besiedeln. Noch ist die Suche aber nicht abgeschlossen: "Wir sind optimistisch, dass wir ausreichend Pflanzen finden bzw. bereits gefunden haben, die wir auf entsprechend aufbereiteten und strukturierten Böden gezielt anbauen können", so Irene Lichtscheidl.
Von den Erfahrungen im EU-Projekt ausgehend forschen die WissenschafterInnen nun auch in Nicaragua und in Peru, um dort weitere Arten kennenzulernen, die gut auf giftigen Böden wachsen – und abzuklären, ob ein Anbau solcher Pflanzen in Europa überhaupt möglich wäre. "Denn es sollten Pflanzen sein, die sich nicht unkontrolliert verbreiten und andere Vegetation verdrängen."
Im EU-Projekt UMBRELLA war das Projektteam an der Universität Wien für die Untersuchung der Struktur und Funktion von Pflanzenzellen zuständig. Die ForscherInnen um Irene Lichtscheidl (im Bild; Foto: Gregor Eder) haben spezielle lichtmikroskopische Techniken weiterentwickelt, die es ermöglichen, die Strukturen von lebenden Zellen zu beobachten. "Wir untersuchen unter anderem, wie die Pflanzenzellen auf Stress durch Schwermetalle reagieren", so die Leiterin der Core Facility Cell Imaging and Ultrastructure Research, die aus den Forschungsgruppen "Cell Physiology and Scientific Film Lab" und "Electron Microscopy Lab" besteht. Durch Fluoreszenz- und Elektronenmikroskopie wird ermittelt, wo sich die Metalle innerhalb der Zelle absetzen. Ziel ist es, den Transport der Schwermetalle im pflanzlichen Organismus nachzuzeichnen und die Entgiftungsmechanismen der Pflanzen besser zu verstehen. Weitere Informationen |
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Überhaupt steht der Aspekt Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda: "Metall-akkumulierende Pflanzen eignen sich wegen der eingelagerten Gifte nicht als Tierfutter. Doch wenn es sich um Pflanzen mit viel Biomasse handelt, könnte man sie nach ihrem Einsatz als 'Metallverbraucher' kontrolliert verbrennen, dabei Bioenergie produzieren und vielleicht sogar Metalle aus der Asche rückgewinnen", erzählt Irene Lichtscheidl ihre Vision.
Aber das ist noch Zukunftsmusik. Mittelfristig geht es darum, die "Glatzen in der Natur" mit Vegetation zu bedecken, um das Verblasen von Giftstaub und die Auswaschung ins Wasser zu verhindern und die Gefahr fürs erste zumindest zu lokalisieren. (br)
Dieser Artikel erschien im aktuellen Forschungsnewsletter. |
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Das EU-Projekt UMBRELLA (Using MicroBes for the Regulation of heavy metaL mobiLity at ecosystem and landscape scAle) lief von 2009 bis 2012 unter der Koordination der Universität Jena; das Teilprojekt an der Universität Wien leitete Ao. Univ.-Prof. Dr. Irene Lichtscheidl, Leiterin der Core Facility Cell Imaging and Ultrastructure Research an der Fakultät für Lebenswissenschaften. Projektpartner: ENEA (Italien), Bangor University (Großbritannien), Luleå University of Technology (Schweden), Universitatea din Bucuresti (Rumänien), Uniwersytet Jagiellonski (Polen), Forschungszentrum Dresden-Rossendorf e.V. (Deutschland), Örebro University (Schweden), Universidad de Valladolid (Spanien), Universita Degli Studi di Cagliari (Italien), Aberystwyth University (Großbritannien), AGES (Österreich) und Kwazar (Polen).