Eine Entropie für die Realität

Die beiden theoretischen Physiker Elliot Lieb von der Princeton University (USA) und Jakob Yngvason von der Universität Wien haben ein Entropie-Konzept für die Realität vorgelegt – also für Systeme, die sich nicht im Gleichgewicht befinden, wie z.B. schmelzende Eiswürfel.

Der Physiker Ludwig Boltzmann (1844-1906) hat eine Formel gefunden, mit der er – mithilfe der sogenannten Entropie als Maß für die Unordnung eines Systems – vom Kleinen aufs Große schließen konnte. Konkret konnte er aus dem Verhalten einzelner Atome die Eigenschaften von Gasen vorhersagen. Doch streng genommen gilt Boltzmanns Formel nur für Systeme im Gleichgewicht, also deren Zustand sich nicht ändert. Der Großteil der Materie im Universum ist allerdings nicht in einem solchen Gleichgewicht.

In der nun veröffentlichten Arbeit gehen Elliot Lieb (Princeton University) – er wurde dazu anlässlich seiner Wahl zum Mitglied der Royal Society eingeladen – und Jakob Yngvason von der Universität Wien einer grundlegenden Frage der Thermodynamik nach: einer allgemeinen Definition des Begriffs "Entropie". Dieser Begriff wurde vom deutschen Physiker Rudolf Clausius Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt. In vielen Systemen strebt die Entropie einem Maximum zu, der maximalen Unordnung. Wissenschaftlich formuliert ist dies im Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.

Anschaulich wird die Zunahme der Entropie beim Schmelzen eines Eiswürfels: Dabei wird die geordnete Struktur der Eiskristalle in die ungeordnete Struktur von Wasser mit einer regellosen Bewegung der einzelnen Wassermoleküle übergeführt.

Energieumwandlung und Entropie

"Die Entropie spielt bei allen Energieumwandlungen, sowohl in Physik, Chemie als auch in Biologie, eine fundamentale Rolle", erklärt Jakob Yngvason, Gruppensprecher der Mathematischen Physik an der Fakultät für Physik der Universität Wien. Vereinfacht gesagt misst das Produkt von Entropie und Temperatur jenen Teil der Energie eines Systems, der nicht in nutzbare Arbeitsleistung umgewandelt werden kann.

Weil ja laut Zweitem Hauptsatz der Thermodynamik die Entropie eines isolierten Systems stets zunimmt, muss daher die Energie des Systems immer mehr an Wert verlieren. "Diese Erkenntnis und das quantitative Maß des Verlustes an nutzbarere Energie durch den Zuwachs an Entropie ist insbesondere für die Energiewirtschaft von größter Bedeutung", so der Physiker.


Jakob Yngvason ist Gruppensprecher der Mathematischen Physik an der Fakultät für Physik und stv. Direktor der Forschungsplattform Erwin Schrödinger-Institut für Mathematische Physik (ESI) der Universität Wien.
Website von Jakob Yngvason



Lieb und Yngvason haben nun Möglichkeiten analysiert, die Definition der Entropie auf Systeme, die sich nicht im Gleichgewicht befinden, zu erweitern.
"Unser Hauptergebnis ist, dass es im allgemeinen keine eindeutige Erweiterung gibt", so Jakob Yngvason. Es könnten aber für solche Systeme immer zwei Entropien definiert werden, "die gemeinsam die Rolle der Gleichgewichtsentropie übernehmen, indem sie die Umwandelbarkeit von Energie in nützliche Arbeit eingrenzen". (APA)

Das Paper "The entropy concept for non-equilibrium states" erschien am 31. Juli 2013 im Journal "Proceedings of the Royal Society A".