Die Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit

Einer der vielen dunklen "Schatten" in der Geschichte der Wiener Philharmoniker in der Zeit des Nationalsozialismus wurde von den ZeithistorikerInnen Oliver Rathkolb, Bernadette Mayrhofer und Fritz Trümpi von der Universität Wien bereits gelichtet. Oliver Rathkolb erklärt die nächsten Schritte.

Sie arbeiten bereits seit längerem an der Geschichte der Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit. Was sind für Sie die Punkte, die jetzt noch offen sind und als nächstes zu beforschen wären?
Oliver Rathkolb: Ich bin überzeugt, dass das schon ein wichtiger Schritt war, ich glaube aber, man kann nie einen Schlussstrich ziehen. Jetzt müssen wir die Texte, die wir geschrieben haben, gemeinsam noch vertiefen, erweitern und auch gerade im biografischen Bereich nachschärfen. Dazu wurde eine intensive Provenienzforschung begonnen, das ist sicher auch ein wichtiger Bereich. Die Arbeit geht in einer Reihe von Aspekten weiter.

Woran liegt es, dass jetzt plötzlich doch immer wieder noch Dokumente auftauchen?
Rathkolb: Das ist für mich nichts Überraschendes. Die Philharmoniker sind ständig umgezogen, die Archive wurden geteilt und das Material wurde 2008 vom Dachboden der Staatsoper einfach in ein Eck des Kellers getragen. Die Archivarin hat die Dinge noch einmal umgegraben und dann dieses spannende Material gefunden.

Wie wichtig ist die erneute Überreichung des Ehrenringes an den nationalsozialistischen Wiener Reichsstatthalter Baldur von Schirach nach seiner Entlassung 1966?
Rathkolb: Es wäre ein ziemlich schreckliches Indiz, wenn das vom Orchester beschlossen worden wäre. Aber wir haben wirklich alles probiert, Zeitzeugen befragt und Unterlagen analysiert. Dann kam der Zeitzeuge, der die Geschichte als Einzelhandlung von Helmut Wobisch sehr plausibel und glaubwürdig erzählt. Den letzten Schlussstein muss man aber noch suchen und hoffentlich finden.

Momentan wird die Handhabung von Ehrenzeichen an Nationalsozialisten nicht nur bei den Wiener Philharmonikern, sondern auch an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften diskutiert. Clemens Hellsberg, Vorstand der Philharmoniker, möchte das Orchester entscheiden lassen. Wie sollte man ihrer Einschätzung nach damit umgehen?
Rathkolb: Es ist schon sehr wichtig, hier noch einmal deutlich zu machen, dass jene, die in einer totalitären Zeit ausgezeichnet wurden, in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz mehr haben. Es ist auch eine symbolische Geste. Für mich ist es aber wichtig, dass das nicht in einer symbolischen PR-Aktion erfolgt, sondern tiefer geht. Jetzt ist auch genug Material am Tisch, um dann in der Generalversammlung der Philharmoniker diese Entscheidung zu treffen

Haben Sie das Gefühl, dass jetzt mehr Bereitschaft vorhanden ist, sich der Vergangenheit zu stellen?

Rathkolb: Ich habe schon 2011 mit diesem Projekt begonnen, weil wir eigentlich auf den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs 2014 hingearbeitet haben. Ich sehe das daher nicht so auf Knopfdruck. Was den Umsetzungsdruck aber sicherlich beschleunigt hat, war die öffentliche Debatte, die teilweise auch ziemlich aus dem Ruder gelaufen ist. Für mich persönlich war das dann der Impetus, ein Buchmanuskript zur Seite zu legen, denn ich wehre mich massiv gegen eine politische Instrumentalisierung der Zeitgeschichte. Das ist leider etwas, was in letzter Zeit immer stärker wird und da müssen Historiker dagegenhalten. Ich bin dafür, Geschichte offenzulegen, aber dagegen, daraus politisches Kleingeld zu schlagen. (APA/red)

Auf der Website der Philharmoniker ist ab sofort eine detaillierte Aufarbeitung der NS-Zeit abrufbar.



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