Deutschlernen per Mausklick

"R-O-T" – Laut für Laut erklingt das Wort aus den Kopfhörern. Die Rede ist von "DigLin", einem Computerprogramm zur Literalitätsförderung, das Karen Schramm und Marta Dawidowicz im Rahmen eines aktuellen EU-Projekts am Institut für Germanistik der Universität Wien entwickeln.

Wenn sich Drittstaatangehörige dauerhaft in Österreich niederlassen möchten, müssen sie Deutschkenntnisse auf B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen nachweisen. Doch wie sollen Menschen, die nicht oder nur begrenzt in ihrer Erstsprache lesen oder schreiben können, diese Hürde bewältigen? Karen Schramm und Marta Dawidowicz von der Universität Wien möchten mit ihrer Lernsoftware "DigLin" (kurz für: Digital Literacy Instructor) insbesondere diese Zielgruppe unterstützen. Nach ihrer Erfahrung wünschen sich die Betroffenen, denen sich oft erstmalig eine Chance zum Lesen- und Schreibenlernen bietet, hochwertige Bildungsangebote.

Lernen am Bildschirm

Seit 2013 arbeiten Karen Schramm und Marta Dawidowicz an der Entwicklung des Computerprogramms "DigLin", das selbstgesteuertes Lernen am Bildschirm ermöglicht. Visuelle, akustische und animierte Elemente gestatten es Menschen, die noch nicht lesen oder schreiben können, mit der Software zu arbeiten. Die Arbeitsanweisungen sind mit Hilfe eines Videos erklärt oder in den stark vertretenen MigrantInnensprachen des jeweiligen Landes – z.B. Kurdisch und Arabisch – eingesprochen. "Eine Besonderheit ist das integrierte Feedback", freut sich die junge Germanistin Marta Dawidowicz, "wenn Lernende beispielweise die einzelnen Buchstaben F-o-t-o zu dem Wort "Foto" synthetisieren, schlägt ein farbiger Balken aus und indiziert so die Nähe des Gesagten zum gebräuchlichen Wortklang."


Lernende können per Maus die Buchstaben bewegen und so das Schreiben auf Wortebene selbstgesteuert üben. "Im Fremdsprachenunterricht werden Computerprogramme häufig eingesetzt, in der zweitsprachlichen Basisbildung gehören wir jedoch zu den ersten, die auf Lernsoftware zurückgreifen", so Karen Schramm über ihr aktuelles Projekt.


Länderübergreifende Produktentwicklung

Das EU-Projekt wird in vier Ländern – Österreich, Großbritannien, den Niederlanden und Finnland – zeitgleich durchgeführt. Das Lernprogramm ist bereits für alle teilnehmenden Länder und deren Sprachen fertiggestellt.

In einer dreimonatigen Probephase wird das Programm nun im Unterricht getestet. Die wissenschaftliche Begleitstudie basiert insbesondere auf Fragebögen – eingesprochen und am PC abrufbar –, die ein Stimmungsbild der Lernenden geben. Eingabeprotokolle und Videoaufnahmen sollen ihren Lernverlauf aufzeigen. "Es geht uns um eine qualitative Untersuchung – wir wollen die Software mit Hilfe der Lernenden und ihrer Erfahrungsberichte stetig verbessern", so Karen Schramm.

Doch es ist nicht nur ein Austausch mit den Lernenden geplant – auch Lehrende sollen in einer Fortbildung an die speziellen Bedürfnisse der Zielgruppe herangeführt und mit dem Programm vertraut gemacht werden. "Der Arbeitsprozess mit "DigLin" wird zu verschiedenen Zeitpunkten gefilmt und anschließend mit den SprachlehrerInnen analysiert", erklärt Marta Dawidowicz das Vorgehen.

Computerliteralität als Mehrwert


Menschen, die schriftunerfahren sind, sind selten mit Computern vertraut. "DigLin" ist daher einfach und intuitiv gestaltet. "Die Arbeit mit der Software trägt zur Steigerung der Lese- und Schreibkompetenzen auf Wortebene bei. Darüber hinaus lernen die NutzerInnen den Umgang mit einem PC kennen und gewinnen so an Selbstbewusstsein, um den Alltag in unserer digitalen Welt zu bestreiten", so Karen Schramm über den Mehrwert der Lernsoftware. Das Programm steht den Lernenden kostenfrei im Internet zur Verfügung, das heißt aber noch lange nicht, dass alle Sprachinteressierten privaten Internetzugang haben bzw. alle Schulen mit Computern ausgestattet sind. "Zumindest in Deutschland werden Computer noch immer erschreckend selten in den Unterricht eingebunden – das muss sich ändern!"

Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Wien

Karen Schramm ist seit April 2014 Professorin für Deutsch als Fremdsprache am Institut für Germanistik. Sie lehrte bereits an universitären Einrichtungen in Südkorea sowie den Vereinigten Staaten und arbeitete zuletzt am Herder-Institut der Universität Leipzig als Professorin für Deutsch als Fremdsprache mit dem Schwerpunkt Didaktik und Methodik. Dort lernte sie Marta Dawidowicz kennen, die "DigLin" auch in Wien weiterhin unterstützt und als prae-doc Assistentin ein Dissertationsprojekt zu DaF-Lehrkompetenzen verfolgt.

Das Masterstudium Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist mit ca. 500 Studierenden eines der meistgewählten Fächer der Universität Wien: "Die hohe Zahl an Studierenden ist eine Herausforderung, doch ich freue mich darauf, jeden einzelnen Studenten und jede einzelne Studentin kennenzulernen", strahlt die Professorin. (hm)

Das dreijährige Projekt "Digital Literacy Instructor (DigLin) von Prof. Dr. Karen Schramm und Projektmitarbeiterin Marta Dawidowicz M.A. MA vom Institut für Germanistik der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät läuft bis zum 31. Dezember 2015 und wird vom "Longlife Learning Programme" der EU gefördert. KooperationspartnerInnen sind die University Newcastle upon Tyne (Großbritannien), University of Jyväskylä (Finnland), Radbourg Universiteit Nijmegen (Niederlande) und Friesland College (Niederlande).