Das Spiel mit der Mathematik

Mathematik gilt oft als "trocken" und "weltfremd". Mit "Spielpläne" hat Karl Sigmund das Gegenteil bewiesen: Das Buch, das in den weltweiten Top-Ten der populärwissenschaftlichen Mathematikbücher auf Platz 8 rangiert, zeigt anschaulich, wie und wo mathematisches Wissen überall zum Einsatz kommt.

"Mathematik hat mich schon in der Schule interessiert", erinnert sich Karl Sigmund an seine Jugendjahre. Mit der Begeisterung für sein Lieblingsfach war der gebürtige Niederösterreicher aber wohl eher die Ausnahme als die Regel. Denn die Mathematik kämpft mit einem Imageproblem: Viele bringen das Fach noch aus ihrer Schulzeit mit negativen Erfahrungen in Verbindung und glauben, dass das Hantieren mit Zahlen und Formeln keinerlei praktischen Nutzen bringt. "In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil der Fall", betont der Experte. Mathematische Theorien und Erkenntnisse werden für viele verschiedene Wissenschaftsdisziplinen und praktische Anwendungen gebraucht. Ob Internet-Suchmaschinen, MP3-Player, Prognosemodelle für Wettervorhersagen oder die Fertigung von Autos – ohne Mathematik wären heute viele Dinge, die Menschen im Alltag als selbstverständlich ansehen, gar nicht möglich.

Berührungsängste abbauen

Um zu zeigen, dass Mathematik auch die biologische Evolution durchdringt, hat Sigmund schon im Jahr 1995 ein Buch veröffentlicht, das er als "einmaligen Ausflug ins Populärwissenschaftliche" beschreibt: "'Spielpläne' ist alles andere als ein herkömmliches Mathematik-Lehrbuch. Mir ging es dabei in erster Linie darum, nicht nur fachkundige LeserInnen anzusprechen, sondern ein weitaus breiter gefächertes Publikum." Im Buch werden mathematische Konzepte deshalb in verständlicher und unterhaltender Form vermittelt. Auf komplexeres Vorwissen und "Formel-Verwirrspiele" wird gänzlich verzichtet.


Mit "Spielpläne" landete Karl Sigmund einen beachtlichen Verkaufserfolg: Alleine von der englischsprachigen Ausgabe wanderten mehr als 60.000 Stück über die Ladentische. "Derzeit sind sowohl die englische als auch die deutsche Variante vergriffen. Aber erfreulicherweise sind sie nicht vergessen", erklärt der Verfasser. (Foto: Amazon)



Besonders stolz darf der österreichische Mathematiker darauf sein, dass sein Werk kürzlich im britischen Guardian von Fachkollege und Schriftsteller Ian Stewart auf Platz acht der Top-Ten der populärwissenschaftlichen Mathematikbücher der Welt gereiht worden ist. "Dass ich der einzige nicht-englischsprachige Autor bin, der unter den besten zehn zu finden ist, hat meiner Eitelkeit schon etwas geschmeichelt", schmunzelt Sigmund.

Spieltheorie und Evolution


Inhaltlich betrachtet liefert "Spielpläne" einen umfassenden Einblick in die Vielseitigkeit mathematischer Theorien. Die Grenzen zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen verschwimmen dabei zusehends. "Ich sehe die Mathematik hier als 'Dienerin' der anderen Wissenschaften: Sie ist ein Hilfsmittel, mit dem man in vielen anderen Bereichen – etwa den Wirtschaftswissenschaften, der Biologie oder der Physik – Erkenntnisse gewinnen kann", erläutert Sigmund.

Einen besonderen Stellenwert nimmt in diesem Zusammenhang die Spieltheorie ein, die auf Basis von Gesellschaftsspielen wie Schach oder Poker die sozialen bzw. ökonomischen Wechselwirkungen, die zwischen den einzelnen Mitspielern bestehen, zu verstehen versucht. "Die Frage, was passiert, wenn mehrere EntscheidungsträgerInnen das für sich jeweils Beste machen, ist nicht nur aus mathematischer Sicht sehr interessant. Die Mathematiker haben die Spieltheorie zwar erfunden, mittlerweile hat sie sich aber in einigen Fächern bereits selbständig gemacht", so der Experte.

Die konkreten Beispiele für mathematische Anwendungen, die im Buch genannt werden, sind ebenso spannend wie zahlreich: Der Autor behandelt Themen wie Bevölkerungswachstum, den Vorteil sexueller Fortpflanzung, die Theorie der molekularen Evolution oder selbstreplizierende Netzwerke. Die Spieltheorie erklärt tierische Verhaltensweisen wie die Beißhemmung der Wölfe, Konflikte innerhalb einer biologischen Art, die Evolution der Kooperation oder die Frage des Geschlechterverhältnisses. "Die Erkenntnis, dass sich vieles in der Evolutionsbiologie mathematisieren lässt, war vielen LeserInnen neu. Aber schon der Grundgedanke des Darwinismus – "Survival of the Fittest" – ist letzten Endes eine mathematische Idee, die sich formalisieren lässt", meint Sigmund.


Die Selektion – das zentrale Prinzip in Darwins Evolutionstheorie – bedeutet die natürliche Auslese der überlebenstüchtigsten Individuen. (Foto: flickr.com/peaceman494)



40 Jahre Mathematik


Der 67-jährige Familienvater kann mittlerweile auf eine lange und ergiebige wissenschaftliche Karriere in seinem Lieblingsfach zurückblicken. Diesem ist er nun bereits über 40 Jahre lang treu ergeben. "Die Mathematik hat in dieser Zeit enorm an Bedeutung gewonnen und erlebt gegenwärtig eine echte Blütezeit. Sei es in den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft oder in den praktischen Anwendungen – es ist eigentlich unvorstellbar, was heute beispielsweise in einem Gerät wie einem iPhone an mathematischen Ideen steckt. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Trend in Zukunft noch weiter fortsetzen wird", resümiert Sigmund. (ms)

Univ.-Prof. Dr. Karl Sigmund ist Professor für Mathematik an der Fakultät für Mathematik. Im Laufe seiner Karriere war er u.a. Präsident der Österreichischen Mathematischen Gesellschaft, Herausgeber der Monatshefte für Mathematik, wirkliches Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der ÖAW, Mitglied der Leopoldina und Vizepräsident des FWF. 2006 wurde er von der Tageszeitung "Die Presse" und dem ORF als "Österreicher des Jahres" in der Sparte Forschung prämiert.

2010 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften und die Ehrendoktorwürde der Universität Helsinki. 2011 wurde er mit der Blaise-Pascal-Medaille in Mathematik ausgezeichnet.