Arbeit, Beruf oder nur ein Job?

Prekäre Arbeitsverhältnisse und unsichere Arbeitsplätze – heute wird viel über die Erosion normaler Arbeitsverhältnisse diskutiert. Doch was ist "normale Arbeit" und seit wann gibt es diese? Wie Arbeit zur Arbeit wurde, das untersucht die Historikerin und ERC-Starting-Grantee Sigrid Wadauer.

"Lachend und scherzend, die schweren Arbeitsstunden vergessend, geht’s nach Hause … Ich gehe hinaus aufs Feld und mache dort ein wenig Landarbeit, das ist für mich der schönste Feierabend…" So beschreibt eine Frau 1930 ihren Alltag. Ihr Sprachgebrauch zeigt, wie unklar der Begriff "Arbeit" war – und immer noch ist. Das, obwohl seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Tätigkeiten immer mehr als Arbeit formalisiert und durchgesetzt wurden.

Perspektivenwechsel

Die Veränderungen von Arbeit – vor allem am Beispiel Österreichs – untersuchte Sigrid Wadauer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte gemeinsam mit sieben ProjektmitarbeiterInnen in einem hochdotierten START- bzw. ERC-Starting-Projekt: Das Ziel war die konsequente Historisierung von Arbeit. Bisher wurde in der Geschichtsforschung die Entwicklung von Arbeit meist aus Sicht des Staates und der Politik betrachtet. "Wir haben die umstrittenen Grenzen von Arbeit untersucht, indem wir statt 'der Arbeit' die Auseinandersetzungen um Arbeit zum Gegenstand gemacht haben", erklärt Sigrid Wadauer die neue Perspektive, die sie in dem Projekt – das seit 2008 läuft und Ende dieses Jahres abgeschlossen wird – eingenommen hat.




Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Österreich Versicherungsschutz schrittweise eingeführt - bei Arbeitsunfähigkeit durch Alter, Krankheit, Invalidität oder bei Arbeitslosigkeit. Mit dem Einzug sozialer Rechte gingen auch die Debatten über soziale Pflichten bzw. die Pflicht zur Arbeit einher. Wer gilt als arbeitslos, als arbeitsscheu und wer als arbeitsunfähig? Welche Konsequenzen sind mit Nicht-Arbeit verbunden? (Foto: Mann mit Leiter, ÖNB/Spiegel)



Beruf(ung) Hausfrau


Einhergehend mit der neuen Sozialpolitik wurde Arbeit normalisiert – sie wurde immer mehr zur "Staatssache". Damit entstand ein neues Verständnis von Beruf: "Beruf im Sinne von Gewerbe gibt es ja schon seit Jahrhunderten. In dieser Zeit setzte sich aber die Meinung durch, dass jeder – vor allem aber die Jugend – einen Beruf haben soll und dafür eine Eignung, Neigung, bestimmte Ausbildung und Stabilität braucht", erzählt Wadauer und ergänzt: "Andrerseits war der Beruf nicht nur Pflicht, sondern auch ein Glücksversprechen." Deshalb bezog sich sehr viel darauf. "Alles sollte zum Beruf werden, aber viele Lebensunterhalte passten nicht in diese Vorstellungen von Arbeit und Beruf. So etwa der häusliche oder landwirtschaftliche Dienst sowie die Tätigkeiten im Haushalt", berichtet die Historikerin.

Von Arbeit und Nicht-Arbeit


Wo fängt Arbeit an, wo hört sie auf? Die Grenzen zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit waren und sind unklar. Im Alltag schrieb man dem Begriff "Arbeit" zwar verschiedene Bedeutungen zu – gleichzeitig setzte sich aber das Bewusstsein durch, dass nur berufliche Lohnarbeit "wirkliche" Arbeit sei. Wadauer holt ein beispielhaftes Zitat aus lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen aus der Zeit hervor: "Nun war Vater wieder für uns da, aber leider bekam er keine Arbeit mehr. Er half auch Mutter beim Wäscheschwemmen, arbeitete viel im Garten, sodass wir immer reichlich mit Gemüse versorgt waren. Sehr viel Zeit verbrachte er mit politischer Arbeit." Die Veränderungen von Arbeit können also nicht einfach als Verengung des Arbeitsbegriffes, als endgültige Ex- oder Inklusion verstanden werden. Vielmehr handelte es sich um eine Umorganisation – um die Durchsetzung neuer Unterscheidungen und Hierarchisierungen.

An der Grenze zur Kriminalität




Wadauer und ihr Team haben nicht das zum Ausgangspunkt genommen, was man lange Zeit als typische "Arbeiterklasse" verstanden hat. Sie beziehen alle ein, welche auf verschiedene Arten versuchten, ihren Lebensunterhalt zu organisieren: "Von offiziell anerkannten Arbeiten bis hin zu Unterhaltstrategien, die zum Teil kriminalisiert wurden, Tätigkeiten, die an Bettelei grenzen bzw. offiziell keine 'wirtschaftliche' Tätigkeit darstellen." (Foto: Deutsches Bundesarchiv)



Das Projekt hat die Geschichte von Arbeit nicht auf offizielle Erwerbsarbeit reduziert. Die HistorikerInnen haben verschiedene Variationsspektren – wie des Dienstes, der Nutzung von Arbeitsämtern und der Arbeitssuche sowie der Unterhaltung als Erwerb – analysiert. "Ich beschäftige mich unter anderem mit verschiedenen Arten von Selbstständigkeit, die wenig Kapital und keine formelle Qualifikation erforderten und die aus der Geschichte von 'Arbeit' meist ausgeschlossen werden", so Wadauer. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie untersucht, wo und wie die staatliche Bürokratie, die verschiedenen Berufsvertretungen oder jene, die einen Unterhalt suchen, ihre Grenzen ziehen.

Sozialschmarotzer im 19. Jahrhundert


Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde Arbeitslosigkeit als marktbedingte soziale Tatsache entdeckt bzw. erfunden. Der "arbeitsscheue Vagabund" wurde zu einem wichtigen Gegenbegriff zum unfreiwilligen Arbeitslosen. "Die ersten Maßnahmen zur Bekämpfung der Vagabundage waren die Einrichtung von Herbergen und Arbeitsvermittlung, um die Arbeitsscheuen institutionell von den Arbeitssuchenden zu trennen", erzählt die Historikerin.

Die "Sozialschmarotzerdebatte" gab es also schon damals: Nur der Arbeitswillige sollte unterstützt werden – und die Möglichkeit, offiziell arbeitslos zu sein, war klar an die berufliche Erwerbstätigkeit geknüpft. Mit der Einführung der Arbeitslosenversicherung 1920 ging auch eine systematischere Arbeitsmarktverwaltung einher. Der Status des "arbeitlos-seins" wurde formalisiert – und durch die Arbeitslosenunterstützung als kollektives Schicksal begriffen. "Wir haben die verschiedenen Arten, diese neuen Einrichtungen zu nutzen sowie Maßnahmen, Menschen ohne Arbeit – freiwillig oder zwangsweise – in Arbeit zu bringen, untersucht", erzählt Wadauer.



Bis Anfang des 20. Jh. wurde auf Gemeindeebene ausgehandelt, wer bedürftig ist: Bei Armut oder Bettelei konnten Staatsbürger in die österreichische Heimatgemeinde abgeschoben werden. Für die Arbeit – im neuen Sinn – wird der Staat und ein nationaler Arbeitsmarkt zum Bezugspunkt. Mit den Migrations- und Arbeitsbeschränkungen (Inlandarbeiterschutzgesetz 1925), wurde es für Ausländer schwer, Arbeit anzunehmen. (Foto: Deutsches Bundesarchiv)



Geschichtsbild korrigieren

"Unser heutiges Verständnis von Arbeit und Beruf wurde in dieser Zeit stark geprägt." Über Versicherungen, gesetzliche Voraussetzungen und die Formalisierung von Ausbildung wurde offiziell durchgesetzt was "Arbeit" ist. "Gewisse Entwicklungen können wir nur verstehen, wenn wir zurückblicken", so Wadauer.

Wenn heute also von "Prekarisierung" die Rede ist, so beziehen wir uns auf eine gewisse Vorstellung von "Arbeit": ein Leben lang im selben Beruf in derselben Firma bis zur Pension. "Dieses sehr spezifische Bild von Arbeit galt nur für kurze Zeit und nicht für alle – und es galt vor allem für Männer. Die traditionelle Forschung zur Arbeitergeschichte hat viele Arten, einen Lebensunterhalt zu organisieren ausgeklammert", betont Wadauer, die mit dem groß angelegten Projekt ein gewisses Korrektiv dazu liefern will: Wenn man Arbeit verstehen will, muss man auch verstehen, wie und wogegen diese durchgesetzt wurde. (ps)

Das Projekt "The Production of Work. Welfare, Labour-market and the Disputed Boundaries of Labour (1880-1938)" hat 2008 unter der Leitung von Mag. Dr. Sigrid Wadauer als FWF-START-Projekt begonnen und wurde von ihr im Rahmen eines hochdotierten ERC-Starting-Grants weitergeführt. Es endet im Oktober 2013. ProjektmitarbeiterInnen sind Dr. Thomas Buchner, Mag.a Sonja Hinsch, Dr. Alexander Mejstrik, Dipl. Sozialwiss. Jessica Richter, MSc, Mag. Georg Schinko, Mag.a. Irina Vana und Mag. Peter Angerer.