Ägäis: Erdkruste bewegte sich anders als vermutet
| 23. Februar 2012Langsam, aber stetig verändert sich die Beschaffenheit der Erdkruste – und damit der Boden unter unseren Füßen. Ein Team um Bernhard Grasemann untersuchte die geologische Struktur der westlichen Kykladen und zeigte, dass das bisherige Modell der unterirdischen Bewegungen einer Überholung bedarf.
Im Rahmen eines vierjährigen FWF-Projekts befasste sich Bernhard Grasemann vom Department für Geodynamik und Sedimentologie mit der geologischen Struktur der westlichen Inseln der Kykladen in der südlichen Ägäis. "Diese Region ist im Gegensatz zu den östlichen und nördlichen Inseln von der Wissenschaft bisher ein wenig stiefmütterlich behandelt worden", so der Geologe. Im Osten und Norden der Inselgruppe wurden schon in den 1980er und 90er Jahren große Störungsstrukturen entdeckt. Diese sogenannten "Abscherungshorizonte" sind Störungen, also Vorgänge, bei denen Gesteine, die ursprünglich tief in der Erdkruste gelegen haben, durch Erdbeben an die Oberfläche gelangt sind. Die Strukturen zeigen eine starke Dehnung – eine Extension – dieses Teils der Erdkruste an.
Die Art der Verformung lässt darauf schließen, dass das Gestein vor ungefähr zehn Millionen Jahren Richtung Norden geschoben wurde. Seitdem gehen alle gängigen Modelle zur Bewegung der tektonischen Platte im ägäischen Raum von einer "nordgerichteten Extension" aus. "Wir haben aber auf den Westkykladen ein gigantisches Störungssystem gefunden, das die Erdkruste in Richtung Süden abgeschoben hat", erklärt der Projektleiter. Das Team stellte fest, dass diese "spiegelverkehrte" Bewegung etwa zur gleichen Zeit stattfand, wie die Bewegungen nach Norden im nordöstlichen Teil der Inseln. Diese Entdeckung hat zu einem völlig neuen Modell von der Extension der ägäischen Platte geführt – denn nun ist klar, dass die Platte damals gleichzeitig in Richtung Norden und an einer anderen Stelle nach Süden hin gedehnt wurde.
Alte Systeme, neue Erkenntnisse
"Das ist deshalb spannend, weil solche Bewegungen aktuell auch unter dem griechischen Festland im Bereich des Golfs von Korinth ablaufen", so Grasemann. Diese Vorgänge sind dafür verantwortlich, dass es in der Region immer wieder zu starken Erdbeben kommt. Da diese Bewegungen aber in etwa zehn Kilometern Tiefe ablaufen, können sie nicht wissenschaftlich untersucht werden. Die Geologen haben nun eine ähnliche Entwicklung festgestellt, die zwar vor sehr langer Zeit stattgefunden hat, an der sich aber die Deformationen ablesen und die Mechanismen dahinter studieren lassen. Der Forscher erklärt: "Um solche Abläufe direkt anschauen zu können, muss man auf alte Systeme zurückgreifen."
Für ihre Untersuchungen musste das Team Karten mehrerer Inseln überarbeiten oder komplett neu zeichnen. Die Proben der Gesteine aus den Störungsstrukturen untersuchten sie mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Kollegen konnten die Zeitpunkte ihrer Entstehung genau
datiert werden.
Eine Frage der Symmetrie
Die Ergebnisse der Forschung haben direkte Auswirkungen auf eine "alte Diskussion" unter WissenschafterInnen, die sich mit Plattentektonik befassen: Grundsätzlich stellt sich nämlich die Frage, ob die Extension einer Platte symmetrisch – also mit zwei gegen gerichteten Störungssystemen – oder asymmetrisch abläuft. "Bisher hat die Ägäis immer als Beispiel für eine asymmetrische Extension gegolten, unsere Ergebnisse haben aber gezeigt, dass es sich auch hier um ein symmetrisches System handelt", schließt Grasemann. (APA/red)
Das Paper "Miocene bivergent crustal extension in the Aegean: Evidence from the western Cyclades (Greece)" (Autoren: Bernhard Grasemann, David A. Schneider, Daniel F. Stöckli, Christoph Iglseder) erschien am 14. Dezember 2011 im Fachjournal "Lithosphere". |
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