Geschichtliche und sportpolitische Wendepunkte in Südafrika

Walter Sauer verbindet nicht nur eine wissenschaftliche Geschichte mit Südafrika, sondern auch eine persönliche. Während seiner Studienzeit in der Anti-Apartheid-Bewegung aktiv, war er 1994 als Ehrengast bei der Amtseinführung Nelson Mandelas anwesend. "Seitdem", so sagt er, "bin ich mit Südafrika verbunden geblieben." Im Interview sprach der Sozialhistoriker über die Geschichte und die heutige Situation Südafrikas, die Rolle Österreichs während der Apartheid und die Bedeutung des Sports bzw. des Fußballs beim "Nation Building" des Landes.

Redaktion: Die Freilassung Nelson Mandelas am 11. Februar 1990 stellte die Weichen für die heutige Entwicklung Südafrikas. Welche weiteren Wendepunkte waren in der Geschichte des Landes entscheidend?
Walter Sauer: Während der Apartheid wurde behauptet, es hätte vor Ankunft der Weißen kein Leben in Südafrika gegeben. Es gab aber bereits tausende Jahre vorher Geschichte und Kultur, was zum Beispiel Höhlenmalereien belegen. Die Ankunft der EuropäerInnen Anfang des 16. Jahrhunderts würde ich als ersten geschichtlichen Wendepunkt festsetzen, gefolgt von der Gründung der holländischen Kolonie in Kapstadt ein Jahrhundert später. 1815 wurde diese Kolonie von den Briten übernommen und ausgedehnt.

Mit der Entdeckung des enormen Diamanten- und Goldvorkommens wurde Südafrika 1870/80 weltpolitisch und vor allem wirtschaftlich interessant. Die Briten setzen sich hier als führende Macht durch, und Südafrika wurde eine autonome staatliche Einheit im Rahmen des Britischen Weltreichs. Das bedeutet u.a., dass die Weißen damals bis auf wenige Ausnahmen das alleinige Wahlrecht hatten.

Redaktion: Ab da an entwickelte sich die Politik der rassistischen Diskriminierung?
Sauer: Genau. Als Nicht-EuropäerIn durfte man keine qualifizierten Berufe mehr ausüben, nicht überall wohnen, etc. Der nächste Wendepunkt trat dann 1948 auf, als die Schwesterpartei der NSDAP, die Nationale Partei (NP), in Südafrika an die Regierung kam. Das war der Beginn dessen, was man im engeren Sinne Apartheid nennt - die flächendeckende Diskriminierung von Menschen nicht europäischer Herkunft per Gesetz. Während bei uns der Grundsatz der Gleichheit in der Verfassung verankert ist, war es dort umgekehrt - in der Verfassung verankert war die Ungleichbehandlung von Menschen nach ihrem Aussehen.

Redaktion: Sie beschäftigen sich wissenschaftlich insbesondere mit der Beziehung zwischen Österreich und Südafrika. Wie sah diese während der Apartheid aus?
Sauer: Das offizielle Österreich war ein großer Handelspartner Südafrikas. Bis 1970 war die österreichische Innen- und Außenpolitik sehr konservativ, so dass man auch im politischen Sinne Südafrika unterstützt hat. Das Thema Apartheid führte deshalb in Österreich zu einem innenpolitischen Kampf. Da kam dann die Anti-Apartheid-Bewegung ins Spiel. Unsere Aufgabe war es, die Kollaboration österreichischer Eliten mit den Apartheid-Eliten zu stören. 1985 erreichten wir den ersten Ministerratsbeschluss für Sanktionen gegen Südafrika.  

Redaktion: Und wie sieht die Lage in Südafrika heutzutage aus?

Sauer: Es wird natürlich viel versucht, um die Auswirkungen der Apartheid zu bewältigen. Unterprivilegierte Gebiete wurden mit Strom- und Wasserleitungen ausgestattet, der Wohnungsbau wurde unterstützt, etc. Aber bis der Rassismus nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist, dauert es natürlich lange. Meinem Gefühl nach gehen die Kinder damit leichter um als die Erwachsenen, für sie ist die Hautfarbe kaum ein Thema mehr.

Walter Sauer zur WM:



Verfolgen Sie die WM?
Freilich.
Gibt es einen Favoriten?
Die südafrikanische Nationalmannschaft "Bafana Bafana", aber die haben natürlich ernsthaft betrachtet keine Chance.
Ihr Traumfinale?
"Bafana Bafana" gegen Italien.

Redaktion: Welche Rolle spielte Sport bei der gesellschaftspolitischen Entwicklung des Landes?   
Sauer: Früher war es so, dass teure Sportarten wie Rugby oder Cricket eher von Weißen betrieben wurden. Für Fußball hingegen brauchte man keine kostspielige Ausrüstung. Das war der Sport der Armen, der Schwarzen. Zudem hatten Vereine auch eine politische Komponente. Organisationen und Gewerkschaften wurden schon früh für Schwarze verboten, weshalb unter dem Deckmantel "Sportverein" oft getarnte Widerstandsorganisationen steckten. In den 1970er Jahren wurde allerdings auch die Sportgesetzgebung ziemlich rassistisch. Sport wurde fortan zum Kampffeld für Gleichberechtigung, und die Sportpolitik zu einem politischen Problem. Heutzutage ist das zum Glück vorbei. Fußball ist nun Nationalsport.

Redaktion: Ist die rassische Diskriminierung also heute vollständig aus der Sportwelt verschwunden?
Sauer: Per Gesetz gibt es keine Diskriminierung mehr, im wahren Leben sieht das natürlich wieder anders aus. Ein Beispiel: Ein Freund von mir aus Kapstadt, Schwarzer, spielt unglaublich gerne Golf. Er geht jeden Samstagvormittag auf einen schicken Golfplatz eines Clubs, der früher nur Weiße aufgenommen hat. Sie können ihm das Spielen heutzutage nicht mehr verbieten, aber es redet dort niemand mit ihm. Die soziale Diskriminierung besteht mitunter weiterhin.

Redaktion: Wird die Fußball-WM da Abhilfe schaffen und zu einer besseren Integration von schwarzer und weißer Bevölkerung beitragen können?
Sauer: Die SüdafrikanerInnen hoffen dies natürlich. Ich denke, es ist förderlich, da Südafrika durch die WM als Teil der Weltgemeinschaft wahrgenommen wird. Auch wirtschaftlich haben bereits einige Zweige von dem anstehenden Großereignis profitiert. Ich denke, die WM ist vor allem auf psychologischer Ebene extrem wichtig für Südafrika. (mw)

Univ.-Prof. Dr. Walter Sauer lehrt am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich  der Geschichte Afrikas, den österreichisch-afrikanischen Beziehungen und der Afrika-Rezeption in der Kulturgeschichte Österreichs. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (SADOCC), das unter anderem eine öffentliche Bibliothek zum Südlichen Afrika im 4. Wiener Gemeindebezirk betreibt.


Buchtipp:
Kathrin Zuser: Bafana Bafana. Fußball und Nation Building in Südafrika. Wien 2009.