Sprachen lernen via Video-Chat

Warum in die Ferne schweifen: Dank neuer Kommunikationstechniken können Sprachlernende vom Wohnzimmer aus mit Leuten in aller Welt plaudern. Wie solche "Online-Tandems" den formalen Sprachunterricht ergänzen können, untersucht erstmals ein Forschungsteam rund um Eva Vetter von der Universität Wien.

Jede oder jeder Zweite in Europa kann sich in einer Fremdsprache – meist Englisch – unterhalten. In Hinblick auf eine zweite Fremdsprache sieht es hingegen schlechter aus: Nur jede vierte Person beherrscht eine solche. "Die Rahmenbedingungen für das Erlernen einer dritten Sprache sind in Europa – und besonders in Österreich – leider nicht optimal", bedauert die Sprachwissenschafterin Eva Vetter.

Auch die Europäische Kommission hat sich die Förderung der Mehrsprachigkeit in Europa zum Ziel gesetzt. Hilfe kommt dabei von der Universität Wien: "Das aktuelle internationale Projekt 'L3-Lernen in Online-Tandems' schließt hier eine Lücke und schafft zusätzliche Möglichkeiten, sich eine Fremdsprache anzueignen", so Projektkoordinatorin Vetter, stellvertretende Vorständin der Sprachlehr- und -lernforschung an der Universität Wien.

Neue Möglichkeiten schaffen

Dabei geht es konkret um drei Sprachen, die häufig als Drittsprache gelernt werden: Deutsch, Spanisch und Chinesisch. "Im Rahmen der Sprachlehr-
und -lernforschung haben wir den Vorteil, dass wir nicht an eine Sprache gebunden sind: Die Sinologie sowie die Romanistik sind mit an Bord und wir arbeiten somit fächerübergreifend", freut sich die Projektleiterin. Im Rahmen des Lifelong-Learning-Projekts initiieren, begleiten und beforschen die WissenschafterInnen der Universität Wien gemeinsam mit PartnerInnen in Spanien, Deutschland und China rund 300 Tandempartnerschaften zwischen ihren Studierenden.

"Wir suchen dafür nicht nur 'Native-Speaker'. Jeder und jede, der oder die eine der drei Sprachen im täglichen Leben verwendet und eine bildungssprachliche Kompetenz hat, ist im Tandem willkommen. Sprich: Alle Studierenden in den Sprachkursen – mit oder ohne Deutsch als Erstsprache – können die Studierenden in Spanien beim Deutschlernen unterstützen", betont die Fachdidaktikerin, die bereits seit Jahren schwerpunktmäßig zu Mehrsprachigkeit forscht.


 

Das Tandemlernen ist eine Erweiterung des klassischen Sprachkurses: Das non-formale Lernen im Tandem ergänzt das formale im Kurs. Aber unter welchen Bedingungen liefert diese Kombination den bestmöglichen Lernfortschritt? Für die Antwort auf diese Forschungsfrage analysieren die SprachwissenschafterInnen rund um Eva Vetter die Audio- und Videoaufnahmen der Tandemgespräche – die Studierenden müssen jeweils fünf Sitzungen pro Semester festhalten –, sowie das Feedback der Studierenden. Daraus entsteht am Ende ein pädagogisches Konzept für das Tandemlernen als Ergänzung zum formalen Sprachunterricht sowie ein umfassendes Handbuch über Online-Kommunikation für LehrerInnen.



Hemmungslos plaudern

Doch wie funktionieren "Online-Tandems" nun genau? Vorab organisieren die SprachlehrerInnen der verschiedenen Länder Tandempaare zwischen ihren Studierenden. Diese registrieren sich auf "Skype" oder "oovoo", und dann wird über Video geplaudert. "Das Prinzip des Tandemlernens ist, dass sich die Lernenden informell unterhalten, so wie sie es im Urlaub in Spanien oder China machen würden", erklären Ruth Pappenheim und Javier Bru Peral vom Institut für Romanistik. Das – aus didaktischer Sicht – Interessante dabei ist, dass die Studierenden voneinander "abhängig" sind und kooperieren müssen.

Immerhin sind sie nicht nur für das eigene Lernen verantwortlich, sondern auch für das Lernen des Partners. Durch das Fehlen der Hierarchie "Lehrender/Lernender" haben die Studierenden außerdem weniger Hemmungen beim freien Sprechen: Wenn auf demselben Niveau korrigiert wird, schwindet die Angst, Fehler zu machen. "Online kann ich Fragen stellen, die ich im Unterricht nicht stellen würde", erzählt z.B. ein Studierender. "Im Vergleich zu den traditionellen Lehrsituationen gibt es zur Fehlerkorrektur in Tandems aber noch sehr wenig Forschungsarbeiten", betont Eva Vetter, stellvertretende Leiterin des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität Wien.

Kultureller Austausch

Die Herausforderung beim Online-Tandem ist, den "goldenen Mittelweg" zwischen freiem und geregeltem Sprechen zu gehen, betont Yasmin El-Hariri, die sich in ihrer Forschung insbesondere mit der Frage der Aufgabenentwicklung befasst. Über welche Themen sich die Studierenden austauschen, ist nur grob vorgegeben. Es hängt einerseits vom Sprachniveau und anderseits vom aktuellen Unterrichtsthema ab: Vom Studentenleben über Wissenschaft, kulturelle Unterschiede, gängige Klischees in Bezug auf das jeweilige Land bis hin zu Umgangssprache und Redewendungen ist alles dabei.

"Dabei hat sich herausgestellt, dass junge SpanierInnen Formen verwenden, die ich als Kolumbianerin niemals sagen würde, weil sie bei uns als Schimpfwörter gelten", schmunzelt Projektmitarbeiterin Ruth Pappenheim vom Institut für Romanistik der Universität Wien.


"Beim Erlernen einer  Sprache kommt man anfangs langsam voran. Dass ich mit einem Native Speaker spontan plaudern konnte, hat mich überzeugt, dass ich weiterkommen werde", so eine Studierende. Eine andere Teilnehmerin erzählt: "Da mein Partner seine Mails mit 'Tschüss'  beendete, wurden Grußformen Thema unserer Gespräche." 



Der kulturelle Austausch – ein wichtiger Faktor beim Erlernen einer Sprache – spielt eine wichtige Rolle in den Tandems. Das ist vor allem im Austausch mit chinesischen Studierenden interessant. "In China kennt man höchstens Vienna, während man mit Österreich wenig anfangen kann", so Projektmitarbeiterin Yan Li vom Institut für Ostasienwissenschaften/Sinologie. An der chinesischen Xiangtan University freue man sich über die Gelegenheit, das Gelernte im Austausch mit deutschsprachigen TandempartnerInnen zu festigen. Das gilt auch für die Chinesisch-Studierenden in Österreich: "In Wien gibt es zwar eine chinesische Community, wobei die meisten aber Dialekt und kein Mandarin sprechen", erklärt Yan Li.

Lehrende und Lernende

Online-Tandems funktionieren auch, wenn die Sprachniveaus verschieden sind. Auf diese Weise können die Studierenden in die Rolle des Tutors schlüpfen und LehrerIn und SchülerIn zugleich sein. Das Konzept ist deshalb vor allem für zukünftige SprachlehrerInnen spannend. "Wir erhalten u.a. ein Gefühl dafür, welche Fehler z.B. Spanischsprachigen beim Deutschlernen unterlaufen", berichtet ein teilnehmender Studierender. So entwickeln die angehenden Lehrenden einen forschenden Blick für die Sprache der Lernenden. "Da wir am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien die fachdidaktische Forschung im Bereich Lehren und Lernen von Sprachen ausbauen wollen, ist das Projekt besonders spannend für uns", erklärt Vetter, die das Konzept der Online-Tandems auch direkt in die Schulen tragen möchte.

Doch in erster Linie ist Online-Tandem ein Lifelong-Learning-Projekt: "Denn durch die Tandemerfahrung geben die Lehramtsstudierenden ihren zukünftigen SchülerInnen die Idee weiter, nicht nur für eine Prüfung, sondern fürs Leben zu lernen", betont die Forscherin. So lassen sich per Online-Tandem nicht nur geographische und sprachliche Distanzen überwinden – auch das gängige Bild des Lehrenden und Lernenden wird neu gedacht. (ps)
 


Dieser Artikel erschien im
Forschungsnewsletter März 2014.

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Das von der Europäischen Kommission geförderte Projekt "L3-Lernen in Online-Tandems" läuft von 2013 bis 2016 im Rahmen des EU-Bildungsprogramms für lebenslanges Lernen. Die Projektkoordination liegt bei der Universität Wien, Partneruniversitäten sind die Universidad de Alicante, die Universidad de Barcelona, die Friedrich Schiller Universität Jena, die Wirtschaftsuniversität Wien, und die Universidad Nacional de Educación a Distancia. Unter der Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Eva Vetter, stellvertretende Vorständin der Sprachlehr- und -lernforschung, arbeiten im Projektteam der Universität Wien Lic. Dr. Javier Bru-Peral und Ruth Pappenheim, M.A. vom Institut für Romanistik sowie MMag. Yasmin El-Hariri (Zentrum für LehrerInnenbildung) und Dr. Yan Li (Institut für Ostasienwissenschaften/Sinologie).