Woher kommen die Geschlechtsunterschiede des menschlichen Beckens?

Ein Vergleich mit Schimpansen liefert überraschende Einsichten

Das Becken ist jener Teil des Skeletts, bei dem die größten Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern auftreten. Der Geburtskanal im weiblichen Becken ist weiter, und die Gestalt des weiblichen Beckens macht so die Geburt von unseren großen Babys mit ihren besonders großen Köpfen erst möglich. Dies macht sich z.B. die Forensik bei der Geschlechtsbestimmung von menschlichen Skeletten zunutze. Bisher wusste man nicht, wann diese Unterschiede in der menschlichen Evolution entstanden sind. Barbara Fischer von der Universität Wien und ihre Koautor*innen veröffentlichten nun in einer Studie in Nature Ecology & Evolution neue Erkenntnisse über das evolutionäre Entstehen der Geschlechtsunterschiede im Becken. 

Beckenfossilien menschlicher Vorfahren sind sehr selten, da das Becken meist nicht gut erhalten bleibt. Daher war es bisher nicht klar, ob dieses Muster der Beckenunterschiede gleichzeitig mit dem aufrechten Gang, oder erst später, mit dem Auftauchen des großen menschlichen Gehirns, entstanden ist. "Wir haben nun herausgefunden, dass das Muster der Beckenunterschiede tatsächlich viel älter ist, als bisher angenommen", so die Evolutionsbiologin Barbara Fischer.

Die Biolog*innen von der Universität Wien, dem KLI für Evolutions- und Kognitionsforschung und der Universität Calgary verglichen Beckenunterschiede beim Menschen mit jenen beim Schimpansen, der nächstverwandten noch lebenden Art des modernen Menschen. Schimpansen haben eine weitaus einfachere Geburt als Menschen, da ihre Neugeborenen kleiner sind. "Dazu untersuchten wir 3D-Daten des Beckens der beiden Arten und fanden heraus, dass diese das gleiche Muster von Geschlechtsunterschieden im Becken besitzen, trotz der großen Artunterschiede", so Fischer. Das Gesamtausmaß der Unterschiede war beim Schimpansen aber nur halb so groß wie beim Menschen. Dass das Muster bei Menschen und Schimpansen so ähnlich ist, weist darauf hin, dass es bereits beim gemeinsamen Vorfahren der beiden Arten vorhanden war. Das bedeutet, dass alle ausgestorbenen Menschenarten, wie z.B. die Neandertaler, vermutlich ebenfalls dasselbe Muster im Becken besessen haben.

Tatsächlich gibt es viele Säugetierarten, z.B. Fledermäuse oder manche Primaten, die sogar größere Neugeborene relativ zu ihrem Geburtskanal zur Welt bringen als der Mensch, und die dazu Anpassungen im weiblichen Becken besitzen. Gleichzeitig gibt es andere Säugetierarten, z.B. Katzen oder Opossums, die winzige Neugeborene haben und bei denen dennoch gewisse Beckenunterschiede zwischen den Geschlechtern vorkommen, die dem menschlichen Muster ähneln. Dies weist darauf hin, dass es sich dabei um ein altes, evolutionär konserviertes Säugetiermuster handelt. "Wir denken, dass der moderne Mensch dieses Muster der Beckenunterschiede nicht neu entwickelt, sondern von frühen Säugetieren geerbt hat, die dasselbe Problem hatten wie der Mensch, nämlich sehr große Neugeborene gebären zu müssen." Als sich schließlich im Lauf der menschlichen Evolution das Gehirn vergrößerte, konnte das Ausmaß der Geschlechtsunterschiede im Becken deshalb vermutlich rasch vergrößert werden. Die entwicklungsbiologischen und genetischen Mechanismen, die diese Unterschiede erzeugen, waren nämlich bereits vorhanden und mussten nicht neu enstehen.

Publikation in Nature Ecology & Evolution:
Barbara Fischer, Nicole D.S. Grunstra, Eva Zaffarini, Philipp Mitteroecker (2021)
Sex differences in the pelvis did not evolve de novo in modern humans. Nature Ecology and Evolution, in print.
DOI: 10.1038/s41559-021-01425-z


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