Was das Genom des Lungenfischs über die Landeroberung der Wirbeltiere verrät

Mit Hilfe neuester DNS-Sequenziertechnologien konnte ein internationales Team von Wissenschafter*innen mit Oleg Simakov von der Universität Wien das Genom des Australischen Lungenfisch vollständig beschreiben. Es ist das größte bislang sequenzierte und (vollständig) assemblierte Tiergenom und gibt wertvolle Einblicke in die genetischen und entwicklungsbiologisch-evolutionären Innovationen, die die Besiedlung des Landes durch Wirbeltiere möglich machten. Die Studie erscheint aktuell in Nature.

Lungenfische sind die nächsten lebenden Fischverwandten des Menschen. Sie haben noch viel von einem Fisch, aber auch schon einiges von Landwirbeltieren wie den Menschen. Der vor 150 Jahren entdeckte Australische Lungenfisch (Ne-oceratodus forsteri) ist ein "lebendes Fossil", das anderen bis vor 100 Millionen Jahren lebenden Lungenfischen (Ceratodus) täuschend ähnlich ist. Deren "fleischige" Flossen haben eine anatomische Knochenanordnung, die schon erkennbar derjenigen in den menschlichen Gliedmaßen gleicht. Damit bewegen sich die australischen Lungenfische wie Salamander.

Lungenfische ähneln immer noch unseren Fischvorfahren, die das Wasser verließen
Lungenfische haben eine extrem lange Evolutionsgeschichte. Sie gehören zu den wenigen überlebenden "Fleischflossern" (Sarcopterygii), von denen viele längst ausgestorben sind. Aus einer dieser ausgestorbenen Linie von Fleischflossern gingen die Landwirbeltiere oder Tetrapoden hervor, also alle Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. Lungenfische ähneln immer noch den Fischen jener Zeit, die erfolgreich das Wasser verließen. Das macht das Studium ihres Genoms so wichtig. Allerdings haben Lungenfische Genome, die zu den größten aller Tiere zählen. Das Genom des australischen Lungenfischs ist fast 14 Mal größer als das des Menschen und weist viele Wiederholungen auf, was es bisher technisch unmöglich machte, es zu entziffern.

Wai Yee Wong und Oleg Simakov vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien haben nun herausgefunden, dass bis zu 90 Prozent des Genoms aus sogenannter "repetitiver" DNS besteht, in der Genomik auch manchmal als "dunkle Materie" bezeichnet, da noch sehr wenig darüber bekannt ist. Wai Yee Wong, PhD-Studentin an der Universität Wien, wies nach, dass ein großer Teil dieser "Materie" evolutionär erst vor kurzem zum Genom des Lungenfisches dazukam, was die Entschlüsselung besonders kompliziert machte. Nur mit Hilfe neuester DNS-Sequenziertechnologien und Algorithmen konnte das interdisziplinäre Team aus Österreich und Deutschland die vollständige Sequenzierung des australischen Lungenfisch-Genoms vornehmen.

Die vollständige Sequenzierung des Genoms des Australischen Lungenfischs mit einer Gesamtgröße von 43 Milliarden DNS-Nukleotiden ermöglichte es, die evolutionäre Schlüsselposition der Lungenfische als nächste lebende Verwandte der Tetrapoden zu bestätigen. Weiteres konnten die Forscher*innen die Hypothese bestätigen, dass der Lungenfisch näher mit den Landwirbeltieren verwandt ist als der Quastenflosser, der über 50 Jahre lang als der dem Menschen nächste noch lebende Fischverwandte galt.

Die Besiedlung des Lands erfordert eine Reihe evolutionärer Innovationen
Die Studie rekonstruiert die Landeroberung unter mehreren Aspekten wie etwa der Evolution der Gliedmaßen aus Flossen, der Luftatmung, des Geruchssinns oder der Fortpflanzung. Das Team zeigte, dass es gleiche Gene gibt, die beim Menschen die Embryonalentwicklung der Lunge steuern und diese Funktion auch bei Lungenfischen diese Funktion haben. "Die Lunge von Lungenfischen ist entwicklungsgeschichtlich daher auf die gleiche Herkunft zurückzuführen wie die der Landwirbeltiere, einschließlich des Menschen", so Axel Meyer von der Universität Konstanz, einer der Hauptautoren der Studie.

Die Genfamilien, die dem Riechen in der Luft dienen, sind stark gewachsen, und die Entwicklung der Flossen ist schon in vielen Aspekten vergleichbar mit der Embryologie unserer Hände. Die Architektur der Finger und auch von Elle und Speiche ist bereits in der Flosse des Lungenfischs angelegt, wofür dieselben Gene wie bei den Menschen verantwortlich sind.

Die "Signatur" des gemeinsamen evolutionären Ursprungs blieb erhalten
Das Team an der Universität Wien hatte die Struktur des Lungenfischgenoms untersucht und mit den Genomen anderer Tiere verglichen. Dabei kam Überraschendes heraus: Trotz der Genomexpansion durch die repetitive DNS ist die Anordnung der Gene auf den Chromosomen evolutionär überraschend konservativ, was es ermöglicht, den Zustand des Urwirbeltier-Chromosomensatzes zu rekonstruieren. Somit ist die genetische Organisation und Homologie, quasi die "Signatur" des gemeinsamen evolutionären Ursprungs, erhalten geblieben.

"Unsere Befunde erweitern das Verständnis für diesen entscheidenden evolutionären Fortschritt und damit der "Eroberung des Landes" im Devon vor 420 Millionen Jahren", erklärt Oleg Simakov vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien.

Publikation in Nature:
Axel Meyer, Siegfried Schloissnig, Paolo Franchini, Kang Du, Joost Woltering, Iker Irisarri, Wai Yee Wong, Sergej Nowoshilow, Susanne Kneitz, Akane Kawaguchi, Andrej Fabrizius, Peiwen Xiong, Corentin Dechaud, Herman Spaink, Jean-Nicolas Volff, Oleg Simakov, Thorsten Burmester, Elly M. Tanaka, Manfred Schartl. 2020 Giant Lungfish genome elucidates the conquest of land by vertebrates. Nature. Doi: 10.1038/s41586-021-03198-8

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. Oleg Simakov

Department for Molecular Evolution and Development
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