Studie "Wiener Kindergärten und Kindergruppen mit besonderen Bezügen zum Islam"

Die Universität Wien und die FH Campus Wien erstellten im Auftrag der Stadt Wien und des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres eine Studie zu Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien mit einem besonderen Augenmerk auf Fragen der elementarpädagogischen Professionalität "islamischer Kindergärten/Kindergruppen". WissenschaftlerInnen aus der Elementarpädagogik, der Bildungswissenschaft und der Islamischen Religionspädagogikwaren an der Studie beteiligt. Die Durchführung erfolgte über zwei Teilprojekte, deren Ergebnisse am 21. Dezember präsentiert wurden.

Das Teilprojekt „Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung von sogenannten islamischen Einrichtungen“ widmete sich der Frage nach der Prozess- und Orientierungsqualität in elementarpädagogischen Einrichtungen in Wien. Die Frage nach der pädagogischen Qualität im Umgang mit verschiedenen Aspekten von Pluralität, wie Kultur, Sprache und Religion, stand im Zentrum. Sogenannte „islamische“ Kindergärten und Kindergruppen in Wien standen im Fokus des Untersuchungsauftrags. Dafür wurden Kindergärten und Kindergruppen ohne besondere Bezüge zum Islam zu einem Vergleich herangezogen. Die Untersuchung wurde unter der Leitung von Henning Schluß (Universität Wien) und Nina Hover-Reisner (FH Campus Wien) durchgeführt.

Tendenz zur Exklusion – die Gründe sind vielschichtig
Im Ergebnis stellt das Teilprojekt „Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung von sogenannten islamischen Einrichtungen“ fest, dass es zwar Exklusionstendenzen gäbe, diese jedoch weniger von elementarpädagogischen Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam ausgingen. Vielmehr seien diese auf Gründe zurückzuführen, wie bevorzugte Vergabe von Kindergartenplätzen an berufstätige Eltern, erhebliche Zusatzbeiträge privater Träger, aber auch Ablehnung in anderen Kindergärten/-gruppen. Das betrifft keineswegs nur muslimische Kinder, oft aber Kinder mit Migrationshintergrund. Die Untersuchung belegt zudem, dass insbesondere seit 2015 in den Wiener elementarpädagogischen Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam die Zurücknahme und Herausdrängung der Religion aus diesen Einrichtungen zu beobachten ist. Dies sei, aus Sicht der StudienautorInnen, jedoch problematisch: zum einen werde die verfassungsrechtlich gesicherte Religionsfreiheit tangiert, zum anderen aber verschwinde Religion nicht deshalb, weil sie aus diesen Einrichtungen verschwinde. Im Gegenteil, sie sollte bereits im Kindergartenalter als Bildungsgegenstand behandelt werden, um den Umgang mit Verschiedenheiten zu entwickeln.

Ausbildung, Erziehungspartnerschaft und Sprachförderung
Bereits die Pilotstudie Ednan Aslans von 2015 hat darauf aufmerksam gemacht, dass in vielen sogenannten “islamischen” Kindergärten über bewilligte “Nachsichten” statt der entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ausgebildeten PädagogInnen Kräfte eingesetzt waren. Durch die Erweiterung des Teilprojekts – befragt wurden alle Wiener Kindergärten und Kindergruppen – zeigte sich, dass dieser Befund eines Mangels an qualifiziertem Personal kein exklusives Merkmal von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam sei, sondern für alle gelte.

Kommunikationsmängel bei der Erziehungspartnerschaft, also Zusammenarbeit zwischen PädagogInnen und Eltern, seien ebenso kein Alleinstellungsmerkmal von Einrichtungen mit besonderen Bezügen zum Islam. Allgemein liefen die Entwicklungen der vergangenen Jahre immer mehr zugunsten der staatlichen Definition des Erziehungs- und Bildungsauftrages hin. Religion fiel aus den Bildungsplänen für die Kindergärten heraus. Die neuesten Gesetzesentwürfe für Kindergruppen und Kindergärten in Wien scheinen in die Richtung zu gehen, die Orientierung am Elternwillen doch wieder zu stärken, indem sie nun mit den Vorgaben für einen Businessplan starke Auflagen zur „Kundenorientierung“ machen.

Bei der Sprachvermittlung wurden insgesamt Defizite festgestellt. Gerade Einrichtungen mit besonderem Bezug zum Islam betonten ihre Integrationsarbeit und dass bei ihnen ausschließlich Deutsch gesprochen werde. Die Sprachforschung zeige jedoch, dass eine gute Beherrschung der Erstsprache die beste Voraussetzung für das sichere Erlernen einer Zweitsprache ist.

Empfehlungen für die Elementarpädagogik
Aus- und Weiterbildungsformate weiterzuentwickeln, ist angesichts der Ergebnisse der Teilstudie „Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung von sogenannten islamischen Einrichtungen“ unvermeidbar. Es brauche eine gründliche Qualifizierung von PädagogInnen hinsichtlich des Einsatzes von Instrumenten zur Sprachstandserhebung und des Entwickelns und Durchführens von sprachförderlichen Bildungsangeboten. Im Umgang mit dem Islam, aber auch mit anderen Religionen und Weltanschauungen, sei eine Indoktrination entschieden zurückzuweisen. Dazu brauche es jedoch die Sensibilität, zwischen Indoktrination und professionellem pädagogischen Umgang mit Religion zu unterscheiden. Ein dringend notwendiger Schritt für die Elementarpädagogik sei es laut diesem Teil der Studie, einen religionspädagogischen Bildungsplan für den Islam zu erarbeiten. Für die Aufsicht, die sowohl Kontroll- als auch Beratungsinstanz ist, sei anzuraten, klare und rechtlich abgesicherte Kriterien für die pädagogisch-didaktische Arbeit in den Einrichtungen zu entwickeln.

Ednan Aslan (Universität Wien) stellt für das Teilprojekt mit dem Titel „Islamische Kindergärten und
-gruppen. Motive und Strategien der BetreiberInnen im Kontext der Stadt Wien (MA 11) und Erwartungen muslimischer Eltern“ fest: Die Gründung der Kindergruppen und Kindergärten mit islamischem Bezug seien sowohl auf weltanschauliche bzw. religiöse Interessen als auch auf rein kommerzielle Überlegungen muslimischer Geschäftsleute zurückzuführen.

Schutzraum für empfundene gesellschaftliche Benachteiligung
Die islamischen Kindergärten verstehen sich laut Ednan Aslan selbst als Schutzräume für muslimische Kinder und Eltern gleichermaßen vor einer, von diesen empfundenen gesellschaftlichen Benachteiligung und verweisen auf den Beitrag, den sie mit ihrer Tätigkeit zur Integration der Kinder leisten. Antworten auf die Frage nach dem Stellenwert der religiösen Erziehung in den islamischen Einrichtungen fallen je nach Informationsquelle – Interviews, Internetauftritte – unterschiedlich bis widersprüchlich aus.

Nach Veröffentlichung der Pilotstudie sah sich die Stadt veranlasst, Kontrollen zu intensivieren. Die Kinderbetreuungseinrichtungen reagierten unterschiedlich. Während ein Teil religiöse Erziehung und Koranunterricht ohne bestimmten Rahmenplan weiterhin anbietet, verschob ein anderer Teil die religiöse Erziehung in Sonderprogramme (außerhalb der Öffnungszeiten bzw. an Wochenenden). Bei den Eltern genieße das Angebot an religiöser Erziehung und Koranunterricht hohe Wertschätzung; entsprechend heftig falle ihr Widerstand gegen ein Verbot des Islamunterrichts aus. Von den BetreiberInnen werden insbesondere der Beitrag islamischer Kindergärten zur Sprachförderung, die speziellen Angebote für die Eltern, Sprachkompetenzen der MitarbeiterInnen, Arbeitsmöglichkeiten für Frauen mit Kopftuch, die Identitätsbildung in einer islamisch geprägten Umgebung sowie das gute Vertrauensverhältnis hervorgehoben.

Insgesamt sei laut Ednan Aslan ein Wandel in der Förderung islamischer Kindergärten und -gruppen erkennbar. In der Folge werde es jedoch der aufmerksamen Beobachtung der zuständigen städtischen Stellen bedürfen, um die Nachhaltigkeit der getroffenen Maßnahmen zu sichern.

Die Ergebnisse beider Teilprojekte sind im Volltext abrufbar unter www.univie.ac.at bzw. unter https://www.fh-campuswien.ac.at/ 

Update: Die neueste Meldung zur Kindergartenstudie inkl. Chronologie finden Sie hier

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Mag. Cornelia Blum

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