Evolution in Echtzeit: Wie sich Bakterien an ihre Wirte anpassen
18. August 2020Bakterien werden zunehmend infektiöser, wenn sie von Zelle zu Zelle wechseln müssen, um zu überleben
Bakterien, die in tierische Zellen eindringen, um sich dort zu vermehren, sind in der Natur weit verbreitet. Wir kennen sie als Krankheitserreger von Menschen und Tieren. In der Umwelt findet man sie häufig innerhalb von Einzellern. Ein Forschungsteam um Matthias Horn am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien konnte nun im Labor nachvollziehen, wie sich diese Bakterien im Laufe der Zeit an ihre Wirtszelle anpassen und immer infektiöser werden. Ursache dafür: Änderungen im Genom und bei der Genexpression, vor allem bei Genen, die die Interaktion der Bakterien mit ihren Wirten steuern und jenen, die für den Bakterienstoffwechsel verantwortlich sind. Die Studie erscheint aktuell in "PNAS".
Im Labor des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften der Universität Wien wurden über 14 Monate hinweg so genannte "Parachlamydien" bei ihrer Evolution beobachtet, eine Gattung der Umweltchlamydien, wie sie in Wasser oder Erde vorkommen. Im Gegensatz zu ihren humanpathogenen Verwandten sind sie für den Menschen nicht infektiös. Sie leben in Einzellern und sind auf Nährstoffe ihrer Wirte angewiesen. Daher haben sie im Laufe der Zeit Mechanismen perfektioniert, um in Wirtszellen einzudringen und sich dort vermehren zu können.
Theoretische Vorhersagen im Labor bestätigt
Die Parachlamydien dienen den Forscher*innen als Modellsystem, um die Anpassungen wirts-abhängiger Bakterien zu untersuchen. Das dafür durchgeführte Evolutionsexperiment umfasste 500 Bakteriengenerationen, was einer Zeitspanne von ca. 15.000 Jahren beim Menschen entspricht. Um theoretische Vorhersagen zur Entwicklung von Infektiosität zu überprüfen, wurden die Bakterien unter zwei verschiedenen experimentellen Bedingungen im Labor gehalten. In einem Teil des Experiments waren die Bakterien auf eine häufige Infektion neuer Wirtszellen angewiesen, um zu überleben. Im anderen konnten sie sich auch dauerhaft innerhalb ein und derselben Wirtszelle vermehren. Die Ergebnisse zeigen: Können die Bakterien innerhalb einer Wirtszelle bleiben und dafür sorgen, dass sie bei der Zellteilung des Wirts auch in den Tochterzellen der Wirte weiterleben, verändert sich ihre Infektiosität nicht. Bakterien werden jedoch zunehmend infektiöser, wenn sie von Wirtszelle zu Wirtszelle wechseln müssen, um zu überleben.
Anpassungen der Bakterien auf molekularer Ebene
Die Forscher*Innen um Matthias Horn und den Erstautor der Studie, Paul Herrera, gingen einen Schritt weiter in ihren Experimenten. Sie untersuchten die Gene der Bakterien zu Beginn des Evolutionsprozesses und verglichen diese mit den Genen nach 500 Bakterien-Generationen. Dabei zeigte sich, dass sich die Gene der beiden Bakteriengruppen an 1.161 Stellen deutlich unterscheiden.
Diese genetischen Informationen alleine waren jedoch noch nicht ausreichend, die Unterschiede in der Infektiosität zu erklären. Erst die anschließende Analyse der Genexpression – also der Verwendung der knapp 2.500 Gene während der Infektion – ergab: Die infektiösen Bakterien, die zwischen Wirtszellen wechseln müssen, zeigten Veränderungen bei der Expression von Genen für den Infektionsmechanismus und für bestimmte Stoffwechselwege, die für das Überleben außerhalb der Wirtszellen wichtig sind.
"Der Übertragungsweg spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Infektiosität wirtsabhängiger Bakterien. Der beobachtete Anstieg der Infektiosität beruht auf einer Vielzahl genetischer Unterschiede und starken Veränderungen in der Genexpression. Sie führen dazu, dass die Wirtszellen leichter infiziert werden und die Bakterien außerhalb der Wirtszelle besser überleben können", resümiert Matthias Horn.
Publikation in "PNAS":
Molecular causes of an evolutionary shift along the parasitism-mutualism continuum in a bacterial symbiont
Paul Herrera, Lisa Schuster, Cecilia Wentrup, Lena König, Thomas Kempinger, Hyunsoo Naa, Jasmin Schwarz, Stephan Köstlbacher, Florian Wascher, Markus Zojer, Thomas Rattei, Matthias Horn
DOI: 10.1073/pnas.2005536117
Wissenschaftlicher Kontakt
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Rückfragehinweis
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