Biodiversitäts-Kollaps im östlichen Mittelmeer

Nahaufnahme von Mollusken

Die meisten heimischen Arten sterben regional aus, während sich eingeführte tropische Arten rasch vermehren

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Paolo G. Albano vom Institut für Paläontologie der Universität Wien hat den dramatischen Zusammenbruch der Biodiversität im östlichen Mittelmeerraum mit bis zu 95 Prozent der heimischen Arten beziffert. Die Studie wurde im Journal "Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences" veröffentlicht.

Die Küstengewässer Israels gehören zu den wärmsten im Mittelmeer. Die meisten marinen Arten waren hier historisch gesehen an ihrer Toleranzgrenze in Bezug auf hohe Wassertemperaturen. Diese Grenze wurde durch den Anstieg der Meerestemperatur in den letzten Jahrzehnten klar überschritten, wie eine aktuelle internationale Studie unter der Leitung von Paolo Albano vom Institut für Paläontologie aufzeigt: Die Temperatur übersteigt infolge des Klimawandels das, was die mediterranen Arten aushalten können – die heimische Biodiversität stirbt dort, regional gesehen, daher großteils aus.

Das Team um Paolo Albano konnte das regionale Aussterben für marine Mollusken beziffern, also jene Gruppe der Wirbellosen, die u.a. Schnecken und Muscheln umfasst. Dafür wurde entlang der israelischen Küste die historische Artenvielfalt anhand der leeren Schalen auf dem Meeresboden rekonstruiert und mit dem derzeitigen Vorkommen verglichen. So konnten die Forscher*innen einen dramatischen Rückgang der Arten nachweisen.

Rückgang der Biodiversität in jüngster Zeit
Am stärksten betroffen sind demnach die seichten Lebensräume in Tauchtiefen: Hier konnte das Team von bis zu 95 Prozent jener Arten, deren Schalen in den Sedimenten vorhanden waren, keine lebenden Individuen mehr finden. Die Studie deutet darauf hin, dass der größte Teil dieses Verlustes in jüngster Zeit, möglicherweise erst in den letzten Jahrzehnten, stattgefunden hat.

Auch von den Arten, die lebend gefunden wurden, konnten die meisten nicht genug wachsen, um sich fortzupflanzen – "ein klares Zeichen dafür, dass sich der Zusammenbruch der Artenvielfalt weiter fortsetzen wird" – so Paolo Albano. Im Gegensatz dazu gedeihen die tropischen Arten, die über den Suezkanal einwandern, prächtig: Das warme Wasser, das sie im östlichen Mittelmeer vorfinden, ist für ihre Ansiedlung sehr gut geeignet, und tatsächlich kommen sie in großen Populationen und mit voll fortpflanzungsfähigen Individuen vor.

"Für jeden, der es gewohnt ist, im Mittelmeer zu schnorcheln oder zu tauchen, ist das Unterwasser-Szenario in Israel nicht wiederzuerkennen", erklärt der Biodiversitätsforscher Albano: "Die häufigsten einheimischen Arten fehlen, während im Gegensatz dazu die tropischen Arten überall sind."

Die Zukunftsaussichten für das Mittelmeer sind der Studie zufolge schlecht: Selbst wenn die Kohlendioxid-Emissionen heute gestoppt würden, würde sich das Meer noch lange weiter erwärmen. Dafür sorgt die Trägheit des Systems, quasi der lange Bremsweg der Erderwärmung. 

Demnach ist es also sehr wahrscheinlich, dass sich der Biodiversitätskollaps weiter nach Westen ausbreiten und verstärken wird; außerdem könnte derselbe Prozess in anderen, noch nicht untersuchten Gebieten des östlichen Mittelmeers auch bereits ablaufen. Lediglich im Gezeitenbereich, wo Organismen in gewissem Maße an Temperaturextreme vorangepasst sind, und in tieferen und damit kühleren Meeresregionen, dürften die einheimischen Arten noch überleben – zumindest für einige Zeit.

Sofortiges Handeln nötig
"Doch die Zukunft ist düster, wenn wir nicht sofort handeln, um unsere Kohlenstoff-Emissionen zu reduzieren und die Lebensräume im Meer vor anderen Belastungen zu schützen, die zum Verlust der Artenvielfalt beitragen", warnt Paolo Albano. "Die bereits eingetretenen Veränderungen in den wärmsten Gebieten des Mittelmeers sind möglicherweise nicht umkehrbar, aber wir könnten große Teile des restlichen Meeresbeckens retten!"

Methodisch war die Studie auch aufgrund ihres interdisziplinären Charakters interessant: "Diese Ergebnisse sind durch die Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund entstanden", erklärt Martin Zuschin, Leiter des Instituts für Paläontologie an der Universität Wien und Ko-Autor der Studie. "Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Ökolog*innen und Paläontolog*innen liefert einzigartige neue Einsichten darüber, wie der Mensch die Biodiversität beeinflusst."

Publikation in Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences:
Albano P.G., Steger J., Bošnjak M., Dunne B., Guifarro Z., Turapova E., Hua Q., Kaufman D.S., Rilov G., Zuschin M.: Native biodiversity collapse in the Eastern Mediterranean. Proceedings of the Royal Society B, 2021. 
DOI: 10.1098/rspb.2020.2469 

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. Paolo Albano

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