Ananas: Wenn Genomik auf Ethnobotanik trifft

Die noch unreife Ananas wächst am Boden und hat eine rötliche Frucht.

Die Züchtungsgeschichte der Ananas ist komplexer als vermutet

Die Ananas ist eine der beliebtesten tropischen Früchte. Ihre Entstehungsgeschichte begann vor über 3.500 Jahren in Südamerika. Eine Arbeitsgruppe um Christian Lexer vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien konnte nun als Teil einer internationalen Forschungsgruppe nachweisen, dass die Genome moderner Ananassorten die genetische "Signatur" von zwei völlig verschiedenen Entwicklungen enthalten: Einerseits der Züchtung durch indigene Ureinwohner Südamerikas in nur wenigen Schritten, und andererseits der massiven Hybridisierung zwischen Varietäten und Arten.

Die meisten unserer Getreide- und Gemüsesorten werden aus Samen gezogen, während die meisten Obstsorten klonal vermehrt werden, zum Beispiel durch Stecklinge, Schösslinge oder Veredelung durch Pfropfung. Die Entstehung von Obstsorten ist daher oft ein Wechselspiel aus klonalen und kreuzungs-basierten Vorgängen. Im Extremfall kann sie sogar in einem einzigen Schritt erfolgen, wenn die züchterische Selektion abgeschlossen ist, sobald in der Natur eine geeignete Pflanze zur Vermehrung gefunden wurde. Ein derartiger Vorgang setzt ein gewisses Ausmaß an genetischer Vielfalt im Genpool wilder Arten voraus.

Die Ananas stammt aus Südamerika, ethnobotanische Funde weisen auf ein Alter von mehr als 3.500 Jahren hin. Ananas wird klonal durch Schösslinge vermehrt, zum Beispiel direkt aus den Kronen der Früchte. Wie viele andere Bromeliengewächse neigen Vertreter dieser Gattung auch zur "Hybridisierung", d.h., natürliche und künstliche Kreuzungen sind auch zwischen weitschichtig verwandten Varietäten und Arten noch möglich. Solche Vorgänge schaffen viele neue, biologisch oder landwirtschaftlich interessante Merkmale und können auch so genannte "springende Gene" aktivieren, die ihrerseits neue Mutationen in den Genomen der Pflanzen auslösen.

Den EvolutionsgenetikerInnen des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien gelang es nun gemeinsam mit KollegInnen aus den USA, China, Frankreich, Australien und der Schweiz nachzuweisen, dass beide Mechanismen an der Entstehung führender, moderner Ananassorten beteiligt waren: Erstens die klonale Vermehrung über Jahrtausende hinweg und zweitens die Hybridisierung seit Dutzenden oder gar Hunderten von Generationen bei manchen Sorten, sowohl vor als auch nach der Ankunft von Christoph Kolumbus in der Neuen Welt sowie durch Züchtung im 20. Jahrhundert.

Der Nachweis gelang, da beide Mechanismen charakteristische Muster in Genomen hinterlassen, die mit aufwändigen bioinformatischen Methoden identifizierbar sind: lange homozygote (=genetisch einförmige) DNA-Abschnitte in Richtung der Chromosomen-Enden im Fall von klonaler Vermehrung mit Selektion seltener Mutationen („mitotische Selektion“), und ein genomisches "Mosaik" im Fall von Hybridisierung.

Quasi als Werkzeug erstellte das ForscherInnen-Konsortium auch eine völlig neue Genomsequenzkarte für die "rote Ananas" Ananas comosus Varietät bracteatus, eine seltene Form, die von indigenen Einwohnern Südamerikas als Quelle von Pflanzenfasern und als Zierpflanze kultiviert wurde. Ein Vergleich des Gen-Repertoires dieser seltenen Art mit der weltweit kultivierten modernen Form (Ananas comosus Varietät comosus) erlaubte es, die genetische Basis von einer breiten Palette von Merkmalen wie etwa Zuckergehalt oder Fruchtfärbung zu ermitteln, in denen sich die beiden Formen unterscheiden.

"Die Geschichte der weltweit verbreiteten Nahrungs- und Kulturpflanze Ananas ist komplexer als bisher vermutet und geht in einem hohen Ausmaß zurück auf Kulturleistungen von indigenen Einwohnern Südamerikas sowie auf menschlich ausgelöste Selektion von Genvarianten aus dem Genpool wilder Pflanzenarten", resümiert Christian Lexer.

Publikation in "Nature Genetics":
The bracteatus pineapple genome and domestication of clonally propagated crops

Li-Yu Chen, Robert VanBuren, Margot Paris, Hongye Zhou, Xingtan Zhang, Ching Man Wai, Hansong Yan, Shuai Chen, Michael Alonge, Srividya Ramakrishnan, Zhenyang Liao, Juan Liu, Jishan Lin, Jingjing Yue, Mahpara Fatima, Zhicong Lin, Jisen Zhang, Lixian Huang, Hao Wang, Teh-Yang Hwa, Shu-Min Kao, Jae Young Choi, Anupma Sharma, Jian Song, Lulu Wang, Won C. Yim, John C. Cushman, Robert E. Paull, Tracie Matsumoto, Yuan Qin, Qingsong Wu, Jianping Wang, Qingyi Yu, Jun Wu, Shaoling Zhang, Peter Boches, Chih-Wei Tung, Ming-Li Wang, Geo Coppens d’Eeckenbrugge, Garth M. Sanewski, Michael D. Purugganan, Michael C. Schatz, Jeffrey L. Bennetzen, Christian Lexer, Ray Ming. Nature Genetics 2019,
https://www.nature.com/articles/s41588-019-0506-8 

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Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Lexer

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