Wie ein Salzriese die Biodiversität im Mittelmeer radikal veränderte

Erstmals Artenverlust durch ökologische Krise vor 5,5 Millionen Jahren quantifiziert

Vor rund 5,5 Millionen Jahren erlebte das Mittelmeer nach der Abtrennung vom Atlantik eine ökologische Krise. Eine internationale Studie unter der Leitung von Konstantina Agiadi von der Universität Wien konnte nun erstmals beziffern, wie tiefgreifend und langandauernd der daraus folgende Biodiversitätsverlust war: Nur 11 Prozent der damals ausschließlich im Mittelmeer heimischen Arten überlebten die Krise, und bis zur Erholung der Artenvielfalt dauerte es mehr als 1,7 Millionen Jahre. Die Studie wurde aktuell im renommierten Fachmagazin Science veröffentlicht.

Die Bewegungen der Erdkruste haben im Laufe der Erdgeschichte immer wieder zur Abtrennung großer Meeresgebiete von den Ozeanen und damit zur Versalzung und Bildung massiver Salzablagerungen geführt. So genannte Salzriesen – Salzablagerungen von Tausenden Kubikkilometern – wurden unter anderem in Europa, Australien, Sibirien oder dem Mittleren Osten entdeckt. Sie stellen eine wertvolle natürliche Ressource dar, die bis heute in Bergwerken abgebaut wird, beispielsweise in Hallstatt oder auch in der Khewra-Salzmine in Pakistan. 

Auch unter dem Mittelmeer findet sich ein solcher Salzriese, der in den frühen 1970ern entdeckt wurde. Diese Kilometerdicke Salzschicht bildete sich vor etwa 5,5 Millionen Jahren nach der Trennung des Mittelmeers vom Atlantik während der Messinischen Salzkrise. In einer in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Studie konnte nun ein internationales Forscher*innenteam – 29 Wissenschafter*innen von 25 Institutionen – unter der Leitung von Konstantina Agiadi von der Universität Wien den Biodiversitätsverlust im Mittelmeer infolge dieser ökologischen Krise und die anschließende Erholung quantifizieren.

Enorme Auswirkungen auf die biologische Vielfalt des Mittelmeers

Nach jahrzehntelanger akribischer Forschung an 12 bis 3,6 Millionen Jahre alten Fossilien aus den an das Mittelmeer angrenzenden Staaten sowie aus Tiefsee-Bohrkernen, zeigte sich, dass sich die Zusammensetzung der Arten nach der Isolierung des Mittelmeers erheblich veränderte: Zwei Drittel (67 %) der zuvor im Mittelmeer heimischen Arten tauchten nach der Krise nicht mehr in den Proben auf. Nur 86 von 779 endemischen Arten (Arten, die vor der Krise ausschließlich im Mittelmeer lebten) überlebten die rasante Veränderung der Lebensbedingungen nach der Trennung vom Atlantik. Die veränderten Übergänge zwischen Atlantik und Mittelmeer, aufgrund derer auch der Salzgigant entstand, führte zu starken Schwankungen in Bezug auf Salzgehalt und Temperatur, beeinflusste aber auch die Wanderungen der Meeresorganismen, die Ströme von Larven und Plankton und störte so zentrale Prozesse des Ökosystems. Infolge dieser Veränderungen starb ein großer Teil der damaligen Mittelmeerarten, darunter auch tropische Riff-bildende Korallen, aus. Nach der erneuten Verbindung mit dem Atlantik und der Invasion neuer Arten wie dem Weißen Hai und der Ozeandelphine, zeigte sich auch ein neuer Verlauf der Biodiversität im Mittelmeer: Die Zahl der Arten nahm von Westen nach Osten ab, wie dies auch heute der Fall ist.

Erholung dauerte länger als erwartet

Da Nebenmeere wie das Mittelmeer wichtige Biodiversitäts-Hotspots sind, war es sehr wahrscheinlich, dass die Salinitätskrise sich stark auswirkte, dies war jedoch bisher noch nicht quantifiziert worden. "Unsere Studie stellt die erste statistische Analyse einer so großen ökologischen Krise dar", erklärt Konstantina Agiadi vom Institut für Geologie. Zudem wurden erstmals auch die Zeiträume zur Erholung von einer solchen Umweltkrise quantifiziert – und die sind tatsächlich länger als erwartet: "Die Biodiversität in Bezug auf die Anzahl der Arten erholte sich erst nach mehr als 1,7 Millionen Jahren", erklärt die Geowissenschafterin.

Die Autor*innen schlagen zudem in ihrem Artikel ein Modell vor, das Klima und geologische Prozesse mit spezifischen Auswirkungen auf marine Ökosysteme durch die Bildung von Salzriesen in Verbindung bringt und auch auf andere Regionen der Welt übertragen werden könnte.

"Die Ergebnisse werfen eine Reihe neuer spannender Fragen auf", erklärt Daniel García-Castellanos von Geosciences Barcelona (CSIC), der Senior Scientist der Studie: "Wie und wo haben 11% der Arten die Versalzung des Mittelmeers überlebt? Wie haben frühere, größere Salzformationen die Ökosysteme und das Erdsystem verändert?" Diesen Fragen will das Forschungsteam in Zukunft noch nachgehen, unter anderem auch im Rahmen des neuen Cost Action Network "SaltAges", in dem die sozialen, biologischen und klimatischen Auswirkungen von Salzriesen untersucht werden.

Originalpublikation:

Agiadi et al. (2024) The marine biodiversity impact of the Late Miocene Mediterranean salinity crisis. Science.
DOI: 10.1126/science.adp3703

Video:

Das Video verdeutlicht ein Modell, das erklärt, wie das Mittelmeer durch das Absinken einer lithosphärischen Platte (vor etwa 6 Millionen Jahren) in den Erdmantel abgeschnitten wurde und anschließend teilweise austrocknete. Vor etwa 5,33 Millionen Jahren überstieg der Meeresspiegel des Atlantiks dann die Landbrücke bei Gibraltar und löste die rasche Wiederbefüllung des Mittelmeers aus (siehe auch). C: CSIC - Daniel García-Castellanos

Abbildungen: 

Abb. 1: Meeressedimente mit zahlreichen Mikrofossilien aus dem späten Miozän, vor etwa 8 bis 7 Millionen Jahren. Fisch-Otolithen, Muschel- und Schneckenschalen, Moostierchen und mikroskopische Muscheln zeugen von der Anwesenheit zahlreicher Organismen in diesem Gebiet, die in dieser Studie analysiert wurden. C: Konstantina Agiadi

Abb. 2: Rekonstruktion einer Meereslandschaft des frühen Pliozäns (vor etwa 5,1 - 4,5 Millionen Jahren) nahe der Toskana (Italien), die den Monodontiden Casatia thermophila und die Sirene Metaxytherium subapenninum zeigt – zwei der vielen Arten, deren Überreste erst ab der Wiedereröffnung der Pforte zum Atlantik im Mittelmeer auffindbar waren.  (Künstlerische Darstellung von C: Alberto Gennari)

Abb. 3: Das Ende der Messinischen Salinitätskrise vor ca. 5,3 Millionen Jahren ist durch eine deutliche Veränderung der am Mittelmeerboden abgelagerten Sedimente, hier in der Gegend von Pissouri auf Zypern, gekennzeichnet. C: Konstantina Agiadi

Abb. 4: Konstantina Agiadi an der Küste von Laganas auf Zakynthos, Griechenland, wo das Ende der Messinischen Salinitätskrise sich in den Ablagerungen zeigt. C: Konstantina Agiadi

Abb. 5: Abguss einer Muschelschale aus einem 6,5 Millionen Jahre alten Sediment auf Kreta (Griechenland). Das Forschungsteam analysierte das Vorkommen von Organismen wie diesem, um ihre umfassende Analyse zu vervollständigen. C: Konstantina Agiadi

Fördergeber: Diese Forschung ist ein Ergebnis des Projekts "Late Miocene Mediterranean Marine Ecosystem Crisis" (ReMarE), gefördert vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF).  

Links: Cost action network SaltAges

Lesen Sie mehr zur Umweltgeschichte der Ozeane im Wissenschaftsmagazin Rudolphina

Wissenschaftlicher Kontakt

Dr. MSc. Konstantina Agiadi

Institut für Paläontologie
1090 - Wien, Josef-Holaubek-Platz 2 (UZA II)
+30 6937193560
konstantina.agiadi@univie.ac.at

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