Wie Acidobakterien unter widrigen Bedingungen überleben
06. Juli 2021Bodenbakterien verfügen über erstaunliche Strategien, um sich mit Energie zu versorgen.
Böden sind einer der vielfältigsten Lebensräume auf unserem Planeten. In jedem Gramm Boden leben mehrere tausend mikrobielle Arten. Ein Großteil der hier lebenden Mikroorganismen befindet sich in einer Art Ruhezustand, um Stressfaktoren wie Trockenheit und Nährstoffknappheit zu bewältigen. Ein internationales Team unter der Leitung von Dagmar Woebken und Stephanie A. Eichorst von der Universität Wien hat untersucht, wie die im Boden weit verbreiteten Acidobakterien unter widrigen Bedingungen überleben können. Zwei kürzlich in den Fachzeitschriften "The ISME Journal" und "mSystems" veröffentlichte Studien beschreiben diese Überlebensstrategien.
Die Lebensumstände, die Mikroorganismen in Böden vorfinden, sind unvorhersehbar und herausfordernd. Nährstoffe und Sauerstoff sind häufig über längere Zeit knapp. Acidobakterien schaffen es, diesen Extrembedingungen zu trotzen. Weltweit sind sie in einer erstaunlichen Menge und Vielfalt in Böden vorzufinden. "Da sie so weit verbreitet sind, gehen wir davon aus, dass die Acidobakterien für die mikrobielle Gemeinschaft und damit auch für das ökologische Gleichgewicht in Böden eine zentrale Rolle spielen", erklärt Stephanie A. Eichorst, Mikrobiologin am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat ein internationales Team um Eichorst und ihre Kollegin Dagmar Woebken die Erfolgsstrategien dieser Bodenmikroben untersucht.
Acidobakterien nutzen geringste Sauerstoffmengen mittels unerwarteter Enzyme
In ihrer aktuellen Studie zeigen die Forscher*innen, dass Acidobakterien erstaunlich effizient darin sind, Energie aus Sauerstoff zu gewinnen. In Experimenten konnten die Mikrobiolog*innen der Universitäten Wien, Cádiz (Spanien) und Aarhus (Dänemark) mit Kolleg*innen der Joint Microbiome Facility – einem Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien – nachweisen, dass die Bodenbakterien sogenannte "niedrigaffine terminale Oxidasen" nutzen können, um geringste Mengen an Sauerstoff zu veratmen. Terminale Oxidasen werden zur Energiegewinnung eingesetzt und können in Enzyme mit niedriger Affinität (unter Verwendung höherer Konzentrationen von O2) und jene mit hoher Affinität (unter Verwendung niedriger Konzentrationen von O2) unterschieden werden. "Bisher ist man davon ausgegangen, dass Mikroorganismen Enzyme mit einer hohen Affinität zu Sauerstoff brauchen, um auch in Umgebungen mit geringstem Sauerstoffgehalt atmen zu können", erzählt die Erstautorin der Studie, Daniela Trojan. "Unsere Experimente haben jedoch überraschend gezeigt, dass sie dafür auch niedrigaffine Enzyme nutzen können." Da sauerstoffarme Lebensräume auf der Erde weit verbreitet sind, sind diese Ergebnisse auch für andere Forschungsbereiche relevant.
Acidobakterien fangen atmosphärischen Wasserstoff ab, um Hungerperioden zu überleben
Die Forscher*innen haben damit bereits eine zweite Überlebensstrategie der erfolgreichen Bodenbakterien entschlüsselt. Eine vorhergehende Analyse – im The ISME Journal veröffentlicht – hat aufgedeckt, dass Acidobakterien extrem niedrige Konzentrationen molekularen Wasserstoffs oxidieren. "Das ist ein Mechanismus, um in Zeiten der Kohlenstofflimitierung, also des Nährstoffmangels, zu überleben", erklärt Dagmar Woebken, die sich in einem Projekt, das durch einen ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrates gefördert wird, mit Überlebensstrategien von Bodenmikroorganismen beschäftigt. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass Acidobakterien die zweithäufigste Gruppe von Mikroorganismen sind, die diese Fähigkeit in verschiedenen Böden besitzen – ein Kernergebnis dieser Studie. In Zusammenarbeit mit Kolleg*innen der Universität Wien und der Monash Universität in Melbourne (Australien) konnten die Forscher*innen diesen Befund mit Acidobakterien-Stämmen im Labor bestätigen. "Unsere Daten unterstützen eindrucksvoll die zunehmende Erkenntnis, dass atmosphärische Gase wie Wasserstoff von Bakterien als Energiequelle zum Überleben genutzt werden können", fasst Andrew Giguere, einer der Co-Erstautoren der Studie, zusammen.
Methodenkombination für ein vollständiges Bild und neue Erkenntnisse
Um die Fähigkeit von Mikroorganismen, im widrigen Lebensraum Boden zu überleben, adäquat zu untersuchen, kombinierten die Wissenschafter*innen mehrere Analyseansätze. "Mit nur einem Ansatz hätten unsere Ergebnisse anders ausfallen können. Erst die Kombination von Methoden und Technologien, die uns sowohl hier als auch bei den kooperierenden Universitäten zur Verfügung standen, hat es uns ermöglicht, über unsere ursprüngliche Annahme hinauszugehen", sagt Eichorst. "Konkret hat uns das Ergebnis, dass Acidobakterien Enzyme mit niedriger Affinität für die Atmung bei niedrigem Sauerstoffgehalt nutzen können, überrascht, weil es gängigem Lehrbuchwissen widerspricht", erzählt Woebken. Beide plädieren deshalb dafür, molekularbasierte Analysen mit der klassischen Mikrobiologie zu kombinieren. Auf diese Weise sei es möglich, die Lebensweisen der Bodenbakterien und damit auch die Mechanismen, die zur mikrobiellen Biodiversität im Boden beitragen, zu verstehen.
Publikation in mSystems:
"Microaerobic lifestyle at nanomolar O2 concentrations mediated by low-affinity terminal oxidases in abundant soil bacteria." Daniela Trojan, Emilio García-Robledo, Dimitri V. Meiera, Bela Hausmann, Niels Peter Revsbech, Stephanie A. Eichorst & Dagmar Woebken. mSystems (2021), DOI: 10.1128/mSystems.00250-21
Publikation in The ISME Journal:
"Acidobacteria are active and abundant members of diverse atmospheric H2-oxidizing communities detected in temperate soils." Andrew T. Giguere*, Stephanie A. Eichorst*, Dimitri V. Meier, Craig W. Herbold, Andreas Richter, Chris Greening & Dagmar Woebke. The ISME Journal (2021), 15: 363–376. *Co-Erstautor*innen. DOI: 10.1038/s41396-020-00750-8. Epub 2020 Oct 6.
Wissenschaftlicher Kontakt
Assoz.-Prof. Dr. Dagmar Woebken
Division of Microbial Ecology (DOME) Centre for Microbiology and Environmental Systems Science, University of ViennaUniversität Wien
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